Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS BILATERALES ET LA VIE DES ETATS
II.22. Russie
II.22.1. La question de la reprise des relations commerciales et des intérêts suisses
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 8, Dok. 7
volume linkBern 1988
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001B#1000/1501#3329* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(B)1000/1501 97 | |
Dossiertitel | Handel mit Russland, Schweizerischer Bankverein, Filiale Le Locle (1920–1920) | |
Aktenzeichen Archiv | C.24 • Zusatzkomponente: Russland |
dodis.ch/44649
CONSEIL FÉDÉRAL
Proposition du Département politique du 14 décembre 19201
Proposition du Département politique du 14 décembre 1920
Am 1. Dezember richtete die Filiale Locle des schweizerischen Bankvereins ein Schreiben2 an das politische Departement mit dem sie dieses davon in Kenntnis setzte, dass demnächst eine grosse Sendung Gold, 940 kg, aus Reval in der Schweiz eintreffe. Diese Sendung steht in Verbindung mit einer Uhrenlieferung im Betrage von 700000 Fr. Das vorbezeichnete Geschäft, das zwischen der Schweiz und Estland sich abwickeln soll, ist unter Vermittlung der Londoner Firma Ernst Beck & Co. zu Stande gekommen.
Wir haben Grund anzunehmen, dass es sich im vorliegenden Falle um eine für Soviet Russland bestimmte Warenlieferung handelt, und dass die 940 kg Gold aus dem Reiche Lenins kommen. Dies geht schon mit ziemlicher Deutlichkeit aus dem blossen Umstande hervor, dass sich die Bankfiliale und zwar mit Wissen und aus Auftrag des Mutterhauses verpflichtet fühlte, uns von diesem Geschäfte Kenntnis zu geben. Es handelt sich somit hier offenbar um einen ersten Versuch, entsprechend der neuen Taktik der Sovietregierung unter Umgehung der betreffenden Landesregierungen durch direkte Verhandlungen mit privaten Firmen, Handelsbeziehungen mit dem Ausland anzuknüpfen. Dass sich die Sovietregierung von diesem neuen Verfahren grossen Erfolg verspricht, erhellt aus dem Umstande, dass neuerdings durch eine Vereinbarung mit Estland direkte Zugsverbindungen zwischen Reval, Petersburg und Moskau eingeführt wurden.
Es erscheint uns heute noch verfrüht, prinzipiell der Frage der Wiedereröffnung von Handelsbeziehungen mit Sovietrussland näher zu treten, da unsere Stellungnahme in dieser Angelegenheit zum Teil von einer Reihe Faktoren beeinflusst sein wird, die von uns unabhängig und noch nicht genügend abgeklärt sind. Es liegt zur Zeit für eine derartig prinzipielle Entscheidung auch keine Notwendigkeit vor, und wir halten es deshalb für opportun, vorerst uns einmal unserer Stellungnahme gegenüber solchen Warenlieferungen nach Estland zu fixieren, von denen wir annehmen dürfen, dass sie nach Sovietrussland bestimmt sind.
Die Schweiz hat Estland, das Sovietrussland offiziell anerkannt hat und mit ihm rege Beziehungen unterhält, weder de jure noch de facto anerkannt3; wir stehen mit diesem Lande in keiner vertraglichen Beziehung. Es besteht somit auch keinerlei Verpflichtung zur Gestaltung von Handelsbeziehungen; unsere Entscheidung in dieser Frage wird sich daher naturgemäss nach den Interessen richten, die im Spiele stehen. Allgemein gesprochen dürfte schweizerischerseits kaum ein dringender Wunsch bestehen, nach Estland zu liefern; die politisch unsichere Lage, die tiefe Valuta Estlands resp. Russlands lassen einen regen Handelsverkehr ausgeschlossen erscheinen. Einzelne Branchen und ganz besonders die Uhrenindustrie setzen nun aber trotzdem grosse Hoffnungen auf Lieferungen nach Estland, respektiv über Estland nach Russland. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus ist die Eröffnung neuer Absatzmöglichkeiten, wenn mit der erforderlichen Vorsicht vorgegangen wird, und alle Zahlungssicherheit gewährt wird, zu begrüssen. Da, wie oben erwähnt, in der Hauptsache nur vereinzelte Lieferungen in Frage stehen, es sich also dabei kaum um eine merkliche wirtschaftliche Stärkung Sovietrusslands handelt, könnte man vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus zur Ansicht neigen, es sei in Würdigung der bedrängten Lage unserer Industrie, auf Zusehen hin, versuchsweise derartigen Warenlieferungen keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten.
Sie sehen aus dieser Formulierung, dass das politische Department sich Vorbehalten möchte, seine eventuelle Zustimmung zu derartigen Lieferungen, je nach der Entwicklung der Verhältnisse, wieder zurückzuziehen; es muss sich diese Möglichkeit wahren, weil die Sendungen vom politischen Standpunkt einer Reihe von Bedenken rufen.
Erstens ist die Note, welche die Schweiz seinerzeit der Entente in Beantwortung der Aufforderung zur Teilnahme an die Blockade Sovietrusslands zukommen liess, offiziell nie irgendwelchen nachträglichen Modifizierungen unterworfen worden4; sie stellte in der Hauptsache allerdings nur fest, dass die Wünsche der Entente durch die tatsächlichen Verhältnisse in der Schweiz bereits schon erfüllt seien und enthält kein eigentliches Versprechen über das Verhalten der Schweiz gegenüber Russland in der ferneren Zukunft. Die Note könnte aber immerhin ebenso interpretiert werden und somit als Basis dienen, um gegen die von uns gestatteten Sendungen zu protestieren. In der Antwort auf einen solchen Einspruch könnten wir allerdings darauf hinweisen, dass wir die Blockade der Entente glaubten als nicht mehr bestehend ansehen zu dürfen, in Anbetracht der Verhandlungen Englands mit Handelsdelegierten Russlands und des Getreidetransportes Sovietrusslands nach Italien.
Zweitens besteht in weiten Kreisen der schweizerischen Bevölkerung und derjenigen fremder Staaten die Auffassung, dass keinerlei Handlungen zu dulden seien – auch wenn sie einträglich sein sollten –, die irgendwie dem Fortbestehen des bolschewistischen Regimes günstig sind; darunter reihen [! ohne Zweifel auch indirekt für Russland bestimmte Warenlieferungen. In diesen Kreisen wird die Kunde von verschleierten Warenlieferungen aus der Schweiz nach Russland dem Ansehen der Betroffenen im Auslande, aber der Schweiz überhaupt, nicht sehr förderlich sein.
Drittens könnten im Zusammenhang mit der zur Bezahlung der Waren stattfindenden Goldsendungen aus Russland Verwendungen fremder Regierungen wie auch ausländischen und schweizerischen Privaten erfolgen, die zu unerwünschten Auseinandersetzungen, eventuell Prozessen führen.
Viertens besteht die Gefahr, dass dieser Handelsverkehr als Lockmittel dient, um Propagandagelder in unser Land zu bringen zur Verwendung in der Schweiz oder im befreundeten Ausland. Dass diese Möglichkeit tatsächlich besteht, zeigt zur Genüge die eingangs erwähnte Uhrenlieferung im Werte von 700000 Fr., für die eine Goldsendung nach der Schweiz von 940 kg. Gold im Werte von circa 3 700 000 Fr. vorgesehen ist. Die Aussicht, dass die bolschewistische Propaganda wegen der besonderen Verhältnisse der Schweiz für uns keine Gefahr in sich berge, können wir, namentlich wenn die Propaganda mit sichern Geldmitteln betrieben wird, nicht teilen. Sollte aber das Geld nicht in der Schweiz, sondern im Auslande Verwendung finden, werden wir ernstliche aussenpolitische Schwierigkeiten bekommen.5 Wir weisen darauf hin, dass gerade Frankreich und Amerika, beides Länder, von denen wir wirtschaftlich stark abhängen, die stärksten Gegner des Bolschewismus sind und im Falle von irgendwelchen finanziellen Schiebungen aus der Schweiz zwecks bolschewistischer Propaganda in ihren Staaten strenge Kontrollmassnahmen gegenüber Sendungen aus der Schweiz einführen könnten.
Die geplanten Sendungen nach Estland, respektive Russland, sind demnach mit Vor- und Nachteilen verbunden.
1. Sollten Sie auf Grund vorstehender Ausführungen der Ansicht sein, es sei der Handelsverkehr nach Estland für nach Russland bestimmte Sendungen zu verbieten, so wäre hiezu ein besonderer Bundesratsbeschluss auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten erforderlich. Ein derartiger Beschluss dürfte zwar in sozialistischen Kreisen auf Widerstand stossen, dagegen im allgemeinen bei den übrigen Gegnern der ausserordentlichen Vollmachten kaum grossen Protesten rufen.
2. Sollten Sie zum Schlüsse kommen, dass die Sendungen zu gestatten sind, so wäre unter allen Umständen dringend wünschenswert, eine genaue Kontrolle über die Verwendung des in die Schweiz kommenden Goldes auszuüben. Eine Kontrolle könnte am sichersten dadurch geschehen, dass von den Zollorganen alle Sendungen nach Estland erst nach Bern gesandt und dass sämtliche Zahlungen nur durch Vermittlung der Nationalbank gestattet werden. Gestützt auf die Bundesverfassung, Artikel 102, Ziff. 8, 9 und 10 könnte der Bundesrat ohne Zuhilfenahme der ausserordentlichen Vollmachten eine entsprechende Verfügung treffen.
3. Sollten Sie die Sendung ohne besondere Auflage gestatten, so gedenken wir unsere Antwort an die Bankfiliale in Locle darauf zu beschränken, dass wir den Empfang anzeigen und gleichzeitig neuerdings bestätigen, dass wir im Falle irgendwelcher Schwierigkeiten keinerlei diplomatische Hülfe gewähren können.
4. Bliebe noch die Möglichkeit offen, dass Sie von einer prinzipiellen Entscheidung abgesehen und sich vorläufig auf eine erwünschte Behandlung beschränken; dabei entgingen allerdings die Grosszahl der Lieferungen, resp. Zahlungen, der Kenntnis der Bundesbehörden. In dem uns vorliegenden Spezialfall könnte dann z. B. die Uhrensendung, respektiv die Einfuhr des Gegenwertes in Gold im Betrage von 700 000 Fr., gestattet werden. Weitere Zahlungen könnten zur Dekkung weiterer Lieferungen erfolgen. Alle Zahlungen wären durch Vermittlung der Nationalbank oder eines zuverlässigen Bankinstitutes vorzunehmen.
Wir sind in dieser Frage deshalb ausführlich geworden, weil sich in nächster Zeit voraussichtlich diese Fälle in direktem Handeln mit Russland mehren werden. Ausser Estland haben Finnland, Lettland, Litauen, Georgien und Azerbeidjan mit Sovietrussland Frieden geschlossen; von diesen Staaten aus, die selbst nicht in der Lage sind, namhafte Lieferungen von Industrie- & Handelsprodukten an Russland zu machen, wird die Sovietregierung versuchen, mit denjenigen Staaten in Verbindung zu treten, die im Stande sind, grösseren Anforderungen zu genügen.6
- 1
- (Projet): E 2001 (B) 1/97. Handel in Estland.↩
- 2
- Non retrouvé.↩
- 4
- Cf. DDS 7/2, no 121.↩
- 5
- A ce sujet, voir le memorandum du 4 décembre 1920, rédigé par W. Thumheer, adjoint à la division des Affaires étrangères: Legationssekretär Snow der englischen Gesandtschaft spricht vor, um sich nach der geheimnisvollen Goldsendung, die für die Schweiz bestimmt, vor einiger Zeit in Deutschland beschlagnahmt worden sein soll, zu erkundigen. Er hatte die Angelegenheit früher schon einmal aufgegriffen. Ich antwortete ihm, dass die Angelegenheit noch in Prüfung stehe und stellte ihm eventuell später einen Bericht in Aussicht. Er macht gleichzeitig darauf aufmerksam, dass ein ähnlicher Fall auch aus Holland gemeldet sei. Die Goldsendung hätte sich aber dort schon im Lande befunden, er glaube, man habe sie beschlagnahmt, da man nicht wusste woher sie kam (E 2001 (B) 1/97).↩
- 6
- Cette proposition du Département politique n’a pas fait l’objet d’une délibération du Conseil fédéral. A propos de l’or russe, cf. Doc. no 139.↩
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