Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 8, doc. 3
volume linkBern 1988
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#105* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 58 | |
Titolo dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 21, Teil 2 (1920–1920) |
dodis.ch/44645
Letzter Tage war ich als einziger Nichtdeutscher zu einem Essen geladen, welches der Herr Reichskanzler den Mitgliedern des Kabinetts, dem Bureau des Reichstages und den Führern der bürgerlichen Parteien geboten hat. Da auch der Herr Reichspräsident zugegen war, bot sich mir die willkommene Gelegenheit, wieder einmal dessen Ansichten zu hören über die politische Lage Deutschlands. Im Gegensatz zu früheren Anlässen sprach sich Herr Ebert dieses Mal recht pessimistisch aus und leitete seine Bemerkungen mit der Erklärung ein, dass Deutschland es verlernt habe, auf ein Entgegenkommen von irgendwelcher Seite zu rechnen. «So oft wir uns verleiten Hessen zu erwarten, dass uns eine der bisher feindlichen Regierungen helfen werde, sind wir bitter enttäuscht worden.» Insbesondere lehnte es Herr Ebert ab zu glauben, dass England aufrichtig gewillt sei, dem Elende Deutschlands Rechnung zu tragen. Eine Hilfe von dieser Seite sei nur dann und nur insoweit zu erwarten, als die eigensten Interessen Englands eine solche als geboten erscheinen lassen. Herr Ebert verwies mich unter anderem auf die Tatsache, dass in keinem Lande, ausser in Belgien, die diplomatische Vertretung Deutschlands so schlecht behandelt werde wie in England. Frankreich sei in dieser Richtung viel «anständiger». Ich hebe das hier hervor, weil es noch immer Deutsche gibt, die sich in dem naiven Glauben wiegen, England habe sich zu einer wohlwollenden Gesinnung und Politik gegenüber Deutschland bekehrt.
Wir sind uns klar, sagte der Reichspräsident, dass wir das Kreuz allein tragen und den Kelch bis zur Neige leeren müssen. Das werden und können wir auch tun, wenn man uns nicht gewaltsam daran hindert. Als solche Hinderung bezeichnete er vor allem eine allfällige Besetzung des Ruhrgebietes und die Loslösung Oberschlesiens. Dass die Franzosen den dringenden Wunsch haben, so bald als möglich ins Ruhrgebiet einzumarschieren, steht für Ebert fest und er ist überzeugt, dass sie bereit sind, dem englischen Standpunkt jede nötige Konzession zu machen, um die Zustimmung zur Besetzung des Ruhrgebietes zu erwirken. In diesem Sinne wird hier auch das neueste Ergebnis der Londoner Konferenz gedeutet, wobei die Franzosen scheinbar auf der ganzen Linie nachgeben und vor allem ihre Vorzugsstellung in Griechenland an den englischen Rivalen verloren haben.
Ganz im Sinne der Ansichten des Abgeordneten Schiffer, über welche ich in einem früheren Berichte2 Mitteilung gemacht habe, ist der Reichspräsident der Ansicht, dass die Besetzung des Ruhrgebietes das grösste Unglück wäre, welches Deutschland zur Zeit begegnen könnte, weil dadurch die wirtschaftliche und politische Krisis unmittelbar ausgelöst würde und diese zu einer Katastrophe führen müsste. Wenn nämlich die Besetzung erfolgt, werden die Arbeiter ihre Leistungen wesentlich einschränken, teilweise sogar ganz einstellen, und die Folge davon wird sein, dass ganz Deutschland in eine Kohlennot gerät, welche die ganze Industrie stillegen und den Verkehr einschränken wird. Und wenn auch die Arbeiter noch weiter fördern wollten, unter der Bedingung, dass die Kohle in genügendem Masse nach Deutschland verbracht werde, so würde die Erfüllung dieser Bedingung an dem Widerstande der Besetzungsbehörden scheitern. Ähnlich verheerend für Deutschland werden die politischen Folgen der Besetzung sein. Das Wort, welches Minister Simons in Düsseldorf gesprochen hat, dass die Besetzung als ein «feindseliger Akt» betrachtet würde, war nicht von ungefähr gesprochen. Die deutsche Regierung ist sich in der Tat vollständig klar darüber, dass der Effekt der Besetzung für Deutschland derjenige einer kriegerischen Handlung sein würde. Das deutsche Volk würde sich mehr und mehr mit dem Gedanken vertraut machen, dass der Versailler Vertrag einseitig gebrochen worden sei und deshalb auch deutscherseits nicht mehr gehalten werden müsse. Die Folge davon müsste eine allgemeine Sabotage aller Handlungen sein, welche auf die Erfüllung des Friedensvertrages hinzielen. Und aus diesem politischen und wirtschaftlichen Chaos, in welches das deutsche Volk gestürzt würde, müsste sich der allgemeine Zerfall ergeben, der naturgemäss nicht an der deutschen Grenze Halt machen würde.
Herr Ebert sagte ausdrücklich, dass er selbstverständlich den Gedanken an einen gewaltsamen Widerstand gegen die Ausführung des Friedensvertrages als widersinnig und unmöglich betrachte und sich darüber ganz klar sei, dass jeder Versuch in dieser Richtung Deutschland dem Abgrund entgegenführe, aber, so meinte er, das deutsche Volk wird diese Einsicht nicht haben und wird lieber untergehen wollen, als sich weiter jeder Vergewaltigung zu unterwerfen.
Das zweite Damoklesschwert, welches augenblicklich über Deutschland hängt, ist die Lösung der oberschlesischen Frage. Auch der Reichspräsident ist der Meinung, dass die Abstimmung zu Gunsten Deutschlands ausfallcn werde, wenn auch nur einigermassen Schutz geboten werde gegen den polnischen Terror und wenn man nicht durch die Regelung des Wahlverfahrens der Stimmgabe Gewalt antue. Aber er fürchtet, dass selbst eine für Deutschland günstige Abstimmung der Entente nicht genügen würde, um die polnischen Forderungen abzulehnen. Da bekanntlich der Friedensvertrag den Siegern in dieser Richtung freie Hand lässt, ist nach deutscher Auffassung das Schlimmste zu befürchten. Im besten Falle wird man den Preis für eine allfällige Anerkennung des deutschen Anspruches so hoch stellen, dass Deutschland ihn nicht bezahlen kann. In diesem Sinne wird auch der englische Vorschlag gedeutet, die Frage der Wiedergutmachung nach der Abstimmung in Oberschlesien vorzunehmen: Man will sich für den erwarteten Fall des für Deutschland günstigen Ausganges der Abstimmung eine Waffe verschaffen, um die Höchstforderungen für die Wiedergutmachung durchzusetzen.
Obwohl die vorstehenden Erklärungen des Reichspräsidenten nichts enthalten, was ich nicht schon in anderem Zusammenhang berichtet hatte, schien es mir doch wichtig, Ihnen mitzuteilen, dass nun auch die höchste deutsche Stelle so pessimistisch denkt. Der Pessimismus, mit welchem der Reichspräsident die Lage beurteilte, ist mir in der Tat ganz besonders aufgefallen, weil ich Ebert bisher immer als Optimisten kennen gelernt hatte. Ich frug deshalb auch, ob Deutschland wirklich so grosses Gewicht darauf lege, die Entscheidung über die Höhe der zu leistenden Entschädigung so rasch als möglich herbeizuführen, worauf er mir antwortete: Wir kommen mehr und mehr zur Einsicht, dass von einer Verständigung über die Höhe der Wiedergutmachung zur Zeit gar keine Rede sein kann und halten deshalb auch dafür, dass wir aus einer Verschiebung nur Vorteil ziehen könnten, obwohl wir dadurch in die Unmöglichkeit versetzt werden, an die Aufstellung und Durchführung eines Reorganisationsplanes für unsere Volkswirtschaft heranzutreten. Sie ersehen aus dieser Mitteilung, dass der Gedanke Schiffers, von welchem ich Ihnen früher schrieb, inzwischen Fortschritte gemacht hat: Deutschland wird also nicht drängen und es nicht beklagen, wenn die Genfer Konferenz einigermassen ad calendas graecas verschoben wird. Dagegen wird man nach Brüssel gehen, um zu hören, wie die Sachkundigen über die Leistungsfähigkeit Deutschlands denken. Dies wird man umso eher tun, als nach dem neuesten Londoner Bericht England den Standpunkt durchgesetzt zu haben scheint, dass die Höhe der Wiedergutmachungssumme zu bemessen sei auf Grund der derzeitigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands.
[...] 3
Aus einer Besprechung mit Professor Haguenin, der jetzt Mitglied der «Reparationskommission» ist, notiere ich, dass man in Frankreich sehr beunruhigt sei durch die Ergebnisse der letzten Londoner Konferenz, weil man den Eindruck habe, dass England systematisch Schwierigkeiten heraufbeschwöre, um sich das Zugeständnis eines Defensivbündnisses mit Frankreich gegen Deutschland so teuer als möglich bezahlen zu lassen. In Frankreich stehe man je länger je mehr unter der Furcht vor der Revanche Deutschlands und lasse sich deshalb nur von dem einen Gedanken leiten, ein militärisches Bündnis mit England zu erreichen, durch welches Frankreich unbedingt vor einem deutschen Angriff geschützt werden soll. England sei nicht abgeneigt, ein solches Bündnis einzugehen, wenn der Preis, den ihm Frankreich dafür bezahle, hoch genug sei. Haguenin selbst bedauert diese Lage ganz ungemein, weil er sich sagt, dass Frankreich dadurch die besten Früchte seines Sieges preisgebe, um einem Phantom nachzujagen, das in Wirklichkeit gar nicht bestehe.
Anderseits muss ich darauf hinweisen, dass in Deutschland der Hass gegen Frankreich in den letzten Monaten ungeheure Dimensionen angenommen hat. Ich höre das von Leuten, die das Land vielfach bereisen und finde die Bestätigung dieser Beobachtung in einer Mitteilung, die mir letzter Tage der Reichswehrminister Gessler gemacht hat.
[...]4
Tags
Reame Tedesco (Politica) Reame Tedesco (Economia)