Organisation der schweizerischen diplomatischen Vertretung in der Bizone, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Schweiz. Stand der Importe und Exporte. Boykott der Schweizer Firmen, die auf den Schwarzen Listen stehen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 17, doc. 60
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#3674* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1000/1571 340 | |
Dossier title | Deutschland: Wirtschaftsverhandlungen und Abkommen mit der Schweiz nach dem 8. Mai 1945 (1945–1948) | |
File reference archive | C.45.111.0 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/4428 Interne Notiz des Politischen Departements1 AKTENNOTIZ. KONFERENZIELLE BESPRECHUNG AUF DER HANDELSABTEILUNG BETR. DIE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN MIT DER ANGLO-AMERIKANISCHEN ZONE, VOM 5. MÄRZ 1948, 10.00 UHR
[…] 2
ad 1. Organisation der schweizerischen diplomatischen Vertretung in der Bizone unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen:
Es ist vorgesehen, Herrn Legationsrat Huber mit der Hauptvertretung in Frankfurt/Main zu beauftragen. Da die Bizone nur wirtschaftlich als Einheit besteht und nicht politisch, ist es notwendig, dass das Agreement [sic] separat von Washington und London eingeholt wird. Nach Mitteilung von Herrn de Rham liegen beide Zustimmungen vor. Indessen hat der Bundesrat noch nicht Stellung genommen3. Es ist notwendig, dass der Postenchef so rasch wie möglich bestimmt wird, damit der Kontakt mit den alliierten Behörden in der Bizone nicht verloren geht. Herr Huber legt grossen Wert darauf, dass ihm ein gut qualifizierter Handelsattaché begegeben wird, der in der Lage ist, den Aufbau der Wirtschaftsbeziehungen zu organisieren4. Er sollte daher von der Handelsabteilung kommen. Offenbar haben Herr Daeniker und Herr Hotz in der Sache bereits miteinander Fühlung genommen. Herr Marti wird ebenfalls noch mit Herrn Hotz Rücksprache nehmen. Wenn nichts dazwischen kommt, wird Herr Huber in der zweiten Hälfte April seinen Posten antreten.
ad 2. Frage des Verhandlungspartners? (Kompetenzen der deutschen Verwaltungsbehörden):
Ob mit den alliierten Behörden oder mit einer deutschen Delegation verhandelt werden muss, ist noch nicht klar. Bis jetzt ist gegenüber Herrn von Malzan Zurückhaltung geübt worden. Man ist der Ansicht, dass die Deutschen noch nicht selbständig verhandeln können. Immerhin ist festgestellt worden, dass Herr von Malzan ermächtigt wurde, mit Schweden Verhandlungen zu führen, wohl aber unter Aufsicht der Alliierten. Es ist daher vielleicht nicht ausgeschlossen, dass auch bei den Verhandlungen mit der Schweiz sowohl alliierte wie deutsche Persönlichkeiten anwesend sein werden. Eine nähere Abklärung ist einstweilen noch nicht möglich.
ad 3. Das Aussenhandelsregime der Bizone (Einfuhrregelung, Politik der deutschen Verwaltungsbehörden):
Nach dem heutigen System ist die Abwicklung des Handels mit der Bizone sehr kompliziert. Es müssen etwa 27 Formulare ausgefüllt werden, bis die formelle Seite erledigt ist. Hier wird es notwendig sein, eine Vereinfachung anzustreben, und ferner wird der schweizerische Export sowohl auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Produktion wie auch auf demjenigen der Industrieerzeugnisse zu fördern sein.
ad 4. Schweizerisches Verhandlungsziel:
Es ist notwendig, dass wir von der «One Way»-Regelung zum eigentlichen Warenaustausch gehen. Griechenland hat bereits eine Austauschregelung zugestanden erhalten. Wir müssen uns ebenfalls für eine solche einsetzen.
Der Vertreter des Vorortes5 gibt einen Gesamtüberblick über die heutige schweizerische Wirtschaftspolitik und führt aus, dass wir nun in die rainy days kommen. Das Strohfeuer mit den Krediteinspritzungen ist abgebrannt, und an der Asche können wir uns nicht mehr erwärmen. Die beiden grossen Handelspartner Frankreich6 und England7 haben versagt, und zwar in dem Moment wo das Zahlungsabkommen selbsttragend werden sollte. Es ist notwendig, unsere Politik zu ändern, zwar noch nicht im Sinne einer Schutzpolitik; die Deflationspolitik muss sich noch weiter auswirken. Es ist aber notwendig, den Import nunmehr in den Dienst des Exportes zu stellen. Man muss mit der Exportförderung einsetzen. Die Organisation des Exportes nach Deutschland ist eine Sache auf lange Sicht. Mit der französischen Zone haben wir eine ganz anständige Regelung8. Im Gegensatz dazu liegen mit Bezug auf die Bizone untragbare Verhältnisse vor. Aus Versorgungsgründen haben wir auf den Import für die Bizone nicht mehr Rücksicht zu nehmen. Der Import ist somit nur dann von Interesse, wenn er als Kompensationsobjekt geeignet ist. Wir müssen nach einer Änderung des bestehenden Abkommens trachten, wobei bloss eine Devisenspitze für den deutschen Export zugestanden werden kann. Die Abänderung wird am besten durch direkte Verhandlungen angestrebt9.
Fürsprech Schaffner ist bereit, drastisch dreinzufahren. Wenn die alliierten Behörden unseren Wünschen nicht entsprechen, können wir das Abkommen künden. Man könnte es ohne weiteres auf einen vertragslosen Zustand ankommen lassen. Versorgungsmässig sind wir nicht auf die Bizone angewiesen.
Nach eingehender Diskussion gelangt man zur Ansicht, dass in Form eines Patrouillenrittes abgeklärt werden soll, in welcher Weise eine Lösung möglich ist, und zwar soll dies vor Ende Mai erfolgen, damit allenfalls auf den 1. Juli noch gekündet werden kann.
ad 5. Abklärung der schweizerischen Exportmöglichkeiten.
[ad] 6. Landwirtschaftliche Exportwünsche.
[ad] 7. Entsendung einer Verkaufskommission für Obst und Obstprodukte vorgängig von offiziellen Verhandlungen.
Mit Bezug auf diese Punkte wird eine weitere Abklärung vorgenommen. Mit der Entsendung einer Verkaufskommission sind die einzelnen Vertreter einverstanden.
ad. 8. Sonstige schweizerische Begehren (Pensionen- und Renten- sowie Lizenzentransfer, Finanztransfer, Versicherungszahlungsverkehr, Bahnabrechnungsverkehr, Überweisung von Einnahmen aus dem Luftverkehr, Fallenlassen der schwarzen Listen, Freigabe von vor dem 8. Mai 1945 zur Veredelung nach Deutschland geschickten Rohwaren und Halbfabrikaten).
Es ist der Handelsabteilung bekannt geworden, dass die schweizerischen Firmen, die auf der schwarzen Liste standen, von der Bizone boykottiert wurden10. Die Handelsabteilung hat mit Frankfurt a. Main Fühlung genommen, und mit Bezug auf die übrigen unter Ziffer 8 der Traktandenliste erwähnten schweizerischen Begehren wird es noch mehr Abklärungen bedürfen. Einzelne dieser Begehren dürften heute noch verfrüht sein.
Der Unterzeichnete wies darauf hin, dass man sich im Politischen Departement bewusst sei, dass ein eigentlicher Finanztransfer wohl noch nicht eingeführt werden könne. Es müsse indessen versucht werden, einen ersten Schritt zu tun, speziell mit Bezug auf den Transfer von Pensionen, Renten und Unterstützungszahlungen. Diese Anregung wird sowohl von der Verrechnungsstelle als auch von der Handelsabteilung unterstützt, und die Handelsabteilung wird mit den zuständigen Stellen noch in dieser Hinsicht Fühlung nehmen.
- 1
- E 2001(E)-/1/340. Paraphe: BC.↩
- 2
- An der Sitzung anwesend waren H. Schaffner (nur zeitweise), H. Marti, H. Auer, O. Bichsel (alle Handelsabteilung), A. Huber, J. de Rham (EPD), E. Frey (Vorort), W. Burger (SVS) und J. Egli (EPD, Protokollführer).↩
- 3
- Am 7. April 1948 beauftragte der BR A. Huber mit der schweizerischen Hauptvertretung in der Bizone, vgl. BR-Prot. Nr. 865, E 1004.1(-)-/1/492.Vgl. auch DDS, Bd. 17, Dok. 58, dodis.ch/5582, Anm. 8.↩
- 4
- Zu den verschiedenen personellen Vorschlägen vgl. die Notiz von H. Marti an J. Hotz vom 5. März 1948. Nicht abgedruckt. Schliesslich wurde H. Gasser vom schweizerischen Konsulat in Hamburg nach Frankfurt versetzt.↩
- 6
- Vgl. BR-Prot. Nr. 2978 vom 23. November 1945, E 1004.1(-)-/1/463 (dodis.ch/1327), und BR-Prot. Nr. 1750 vom 31. Juli 1947, E 1004.1(-)-/1/484 (dodis.ch/1583).↩
- 7
- Vgl. BR-Prot. Nr. 550 vom 26. Februar 1946, E 1004.1(-)-/1/466 (dodis.ch/1359).↩
- 8
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 82, dodis.ch/4426. Vgl. auch E 2001(E)-/1/340 und E 7110(-)1967/32/889.↩
- 9
- Erste Verhandlungen wurden vom 19. bis 22. Mai 1948 in Frankfurt geführt, vgl. BR-Prot. Nr. 1294 vom 28. Mai 1948, E 1004.1(-)-/1/493 (dodis.ch/2860).↩
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