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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 450
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#27* | |
Old classification | CH-BAR E 7350(-)1000/1104 25 | |
Dossier title | Washington (1914–1918) | |
File reference archive | 2.1 |
dodis.ch/44195 Le Ministre de Suisse à Washington, H. Sulzer, au Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess1
Das Wirtschaftsabkommen vom 22. Januar 1919 geht mit Ende September zu Ende. In wie weit die Alliierten das Bedürfnis empfinden werden, dasselbe zu erneuern, wird von der Entwicklung der politischen Verhältnisse abhängen. Unterzeichnet Deutschland den Friedensvertrag, so ist wohl mit diesem Bedürfnis und auch der Berechtigung nach Weiterdauer der wirtschaftlichen Kriegsmassnahmen nicht zu rechnen. Gegenüber allfälligen gegenteiligen Wünschen Frankreichs und England’s wird Amerika energisch den Standpunkt der Rückkehr zu völlig freiem Handel und Verkehr vertreten. Unterzeichnet Deutschland nicht, so wird es sich zeigen, in wie weit die Alliierten noch in der Lage sind, die angedrohte Blockade auch von den Neutralen zu erzwingen.
Vom Standpunkt der Schweiz aus wird sich, wenn überhaupt, die Frage der Erneuerung des Abkommens nur mit Bezug auf Artikel IV - die Tonnage - stellen. Wenn auch ihre Beantwortung zurzeit noch verfrüht erscheint und die Entwicklung der Lage heute noch nicht abzusehen ist, so dürfte es sich dennoch empfehlen, ihr schon jetzt alle Aufmerksamkeit zu schenken und den Lauf der Dinge genau zu verfolgen. Die dabei in Betracht kommenden Fragen sind in der Hauptsache folgende:
1.) Werden die Transportverhältnisse ab 1. Oktober schon so leicht sein, dass der Transport der für die Schweiz bestimmten Überseegüter wieder, wie vor dem Kriege, dem freien Verkehr überlassen werden kann, ohne dass die Schweiz genötigt ist, besondere Dampfer zu chartern?
2.) Falls Frage 1 verneint wird, wird die Schweiz im freien Chartermarkt von Monat zu Monat genügend Tonnage finden, oder wird sie gut daran tun, sich durch langfristige Abkommen jeweils auf mehrere Monate hinaus die erforderliche Tonnage zu sichern?
3.) Kommt in letzterem Falle wieder ein staatliches Abkommen in Betracht, oder können ein oder mehrere Abkommen mit privaten Schiffahrtsgesellschaften abgeschlossen werden?
4.) Sollen diese Abkommen die ganze von der Schweiz benötigte Tonnage umfassen, oder nur einen Teil, z.B. in dem Sinne, dass Charterabkommen nur für die Monopolartikel, insbesondere Getreide, getätigt werden, während Private, Industrie und Handel sich bezüglich der Beschaffung der für ihre Waren nötigen Tonnage selbst überlassen bleiben?
Ich selber habe über diese Fragen keine abgeschlossene Meinung. Die Urteile der Sachverständigen über die Gestaltung der Frachtlage gegen den Herbst und Winter hinein gehen stark auseinander. Eines Teils wird auf die grosse Produktion an Tonnage hingewiesen, welche das Angebot stark erhöhen und eine sinkende Tendenz der Preise herbeiführen wird, andererseits werden die ausserordentlich gesteigerten Bedürfnisse namentlich Europa’s hervorgehoben, das angesichts der zerrütteten Wirtschaft noch auf mindestens ein Jahr hinaus auf starke Nahrungsmittel- und Rohmaterialienzufuhren von Übersee angewiesen ist. Man denke nur an die Bedürfnisse der ausgehungerten Zentral- und Balkanstaaten und insbesondere auch an den empfindlichen Kohlenmangel, der sich auch in den Ländern der Alliierten zeigt und der nur durch Zufuhr aus Amerika einigermassen behoben werden kann. Das einzige Barometer ist der Frachtmarkt; seine Tendenz ist langsam sinkend, aber in keiner Weise darauf hindeutend, dass wir im Herbst auf leichten Tonnagemarkt rechnen können.
Sollte der Eindruck bis zum August fortbestehen, dass eine laufende Beschaffung der Tonnage im Oktober nicht erwartet werden kann, so würde ich in jenem Zeitpunkt mit dem Abschluss eines neuen Abkommens, das uns wenigstens für die wichtigsten Lebensmitteltransporte über den Winter sicher stellt, nicht zögern. Ich zweifle nicht daran, dass es uns möglich sein wird, gegenüber dem jetzigen Abkommen bedeutende Verbesserungen zu erzielen, namentlich auch durch Aufnahme einer Baisse-Klausel, die die Frachtraten dem Markte besser anpasst, als dies unter dem heutigen Abkommen der Fall ist.
Die Gesandtschaft wird dieser ausserordentlich wichtigen Frage im Laufe der nächsten Zukunft ihre volle Aufmerksamkeit schenken und durch Einziehung von Erkundigungen bei massgebenden Instanzen ein klareres Urteil zu gewinnen suchen. Es ist erwünscht, wenn dies auch seitens der Fero mit Bezug auf den europäischen Frachtmarkt geschieht und hierüber rechtzeitig ein Gedankenaustausch erfolgt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir die amerikanische und englische Handelsschiffahrt, eventuell auch Holland und Norwegen, mit einander erfolgreich in Konkurrenz setzen können.
- 1
- Lettre: EVD Zentrale 1914-1918/25-26S/R. Paraphe: KW.↩
Tags
Economic and financial negotiations with the Allies (World War I)