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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 397
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#14* | |
Old classification | CH-BAR E 7350(-)1000/1104 21 | |
Dossier title | Berlin (1914–1918) | |
File reference archive | 2.1 |
dodis.ch/44142
Schon lange hatten wir die Absicht, Ihnen über die gegenwärtig hier schwebenden Verhandlungen zwecks Abschlusses eines neuen Wirtschaftsabkommens mit Deutschland eingehenderen Bericht zu geben. Infolge der ausserordentlichen Arbeitsüberhäufung sind wir bis jetzt nicht dazu gekommen, was Sie entschuldigen wollen.
Der Stand der Verhandlungen ist gegenwärtig ungefähr der folgende:
1. Zunächst hat man sich grundsätzlich geeinigt, dass es sich bei dem beabsichtigten neuen Abkommen nur um einen Vertrag handeln soll, der die gegenseitig auszutauschenden Waren bestimmt und dass man davon Umgang nimmt, in das Abkommen eine Reihe von anderen pendenten Fragen aufzunehmen. Wir dachten zunächst daran, Bestimmungen aufzunehmen, die der Gefahr der Überschwemmung des Schweizermarktes mit billigen deutschen Fabrikaten entgegenwirken sollten und sodann auch unserer Exportindustrie den Absatz in Deutsch land durch Fixierung von Einfuhrkontingenten zu sichern. Nach reiflicher Überlegung haben wir, übrigens im Einverständnis mit den Interessenkreisen, die wir
öfters zu eingehenden Besprechungen eingeladen hatten, von dieser Erweiterung des Abkommens Umgang genommen, indem verschiedene Punkte noch nicht genügend abgeklärt sind und überdies die Verhandlungen selbstverständlich ausserordentlich erschwert und verzögert worden wären. In ähnlicher Weise haben die Vertreter Deutschlands ihre ursprüngliche Forderung, in das Abkommen auch Bestimmungen über die Verlängerung der Deutschland und deutschen Stellen gewährten Kredite, die schon fällig sind oder im Verlaufe dieses Jahres fällig werden, aufzunehmen, zurückgezogen. Über diese Frage der Rückzahlung der deutschen Kredite wird ja übrigens gegenwärtig, wie Sie wissen, in Paris zwischen den Alliierten und den Neutralen verhandelt. Zu irgend einem Abschluss sind die
Verhandlungen, die angesichts der Nervosität der Entente und ihrer grossen Forderungen an die Finanzkraft Deutschlands sehr schwierig sind, bis heute nicht gelangt. Nur soviel ist sicher, dass die Entente von den Neutralen dringend wünscht,
dass sie sämtliche an Deutschland gewährten Kredite bis mindestens zum 15. August d.J. verlängern und dass die Zustimmung zu einem Goldexport seitens
Deutschlands in neutrale Staaten zur Abdeckung solcher Kredite von der Entente verweigert wird.
2. Nach dem projektierten Abkommen würde Deutschland der Schweiz folgendes liefern.
Monatlich 50’000 Tonnen Ruhrkohlen und 12’000 Tonnen linksrheinischer
Braunkohlenbriketts, letzteres unter der Voraussetzung, dass die Entente die Beförderung ermöglicht. Die Kohle würde auf dem Rhein an die oberrheinischen
Häfen transportiert und wäre dort mit schweizerischem Eisenbahnmaterial abzuholen. Sie soll geliefert werden an die neugegründete Schweizerische Kohlengenossenschaft in Basel, die seit 1. April ihre Tätigkeit aufgenommen hat. Zu hartnäckigen und langwierigen Diskussionen gab die Frage des Kohlenpreises
Anlass. Zur Diskussion desselben haben sich deutscherseits die Herren Kommerzienrat Hahn aus Mannheim, Kommerzienrat Stickler aus Konstanz und Direktor Wippern aus Duisburg schon vor ca. 14 Tagen in die Schweiz begeben. Eine
Einigung konnte nicht erzielt werden und es gingen die beidseitigen Kohlenfachleute ziemlich verstimmt auseinander. Wir stellten uns nämlich auf den Standpunkt, dass der absolut unberechtigte Preisaufschlag vom Mai 1918, der in der
Schweiz so ausserordentlich böses Blut gemacht hat, wegfallen müsse, mit ändern
Worten, dass man zu den Preisen des Abkommens vom September 1917 zurückkehre. Diese Forderung wurde deutscherseits als vollkommen unakzeptabel bezeichnet. Die äussersten deutschen Angebote gingen dahin, dass die 50.000 Tonnen in folgende Qualitäten und Quantitäten und zu folgenden Preisen geliefert werden könnten:
20.000 Tonnen Ruhrgrosskoks zu Fr. 120 ab Grube
15.000 Tonnen Steinkohlenvollbriketts zu Fr. 105 -110 ab Grube
5.000 Tonnen Gasförderkohlen zu Fr. 95 ab Grube
5.000 Tonnen Gasnuss zu Fr. 110 ab Grube
5.000 Tonnen Maschinenkohlen zu Fr. 100 ab Grube.
Diese Preise konnten unserseits namentlich mit Rücksicht darauf nicht angenommen werden, dass wir von Frankreich und insbesondere von Belgien Kohle annähernd gleichwertiger Qualität ziemlich viel billiger bekommen können, ohne die für Deutschland vorgesehenen erheblichen Kompensationen in Lebensmitteln leisten zu müssen. Dazu kommt, dass die deutsche Fracht nach wie vor die ausserordentliche Höhe von 31 Franken (Ruhrort bis Schweizer grenze) beibehalten soll, während die belgische Fracht nur auf ca. 20 Franken zu stehen kommt. Als äusserstes Entgegenkommen bezeichneten wir folgende Preise:
[...]2
Auch diese Preise stehen zum Teil noch erheblich über den belgischen Konkurrenzpreisen, wenn sich schon eine gewisse Differenz aus der besseren Qualität der deutschen Koks und Briketts rechtfertigen lässt.
Auf unsere dringenden Vorstellungen hin hat die deutsche Gesandtschaft in Bern die massgebenden deutschen Kohlenlieferanten ganz energisch bearbeitet und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen gesucht, der Schweiz weiter entgegenzukommen. Es scheint, dass dies bis zu einem gewissen Grad gelungen ist und es sollen heute die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Über das Resultat werden wir Ihnen bald-möglichst berichten.
Wir möchten noch beifügen, dass wir in den letzten Tagen bedeutende neue Offerten für Kohlenlieferungen aus Belgien, England und Amerika erhalten haben, die deutlich die Tendenz zeigen, dass man die Schweiz als Kohlenabsatzgebiet zu gewinnen sucht. Allerdings sind die Preise für englische und amerikanische Kohlen angesichts der hohen Frachten recht hohe.
3. Eisen und Stahl. Die deutschen Vertreter hatten sich bereit erklärt, wie bisher monatlich 19’000 t Eisen und Stahl zu Preisen zu liefern, welche zwischen den Interessenten zu vereinbaren wären. Die von uns konsultierten Interessenten legten auf eine solche Verpflichtung deutscherseits keinen besondern Wert, da die Monopolstellung Deutschlands grundsätzlich gebrochen ist und uns gegenwärtig von vielen ändern Ländern diese Waren offeriert werden. Wir beabsichtigen deshalb, in das Abkommen nur eine allgemeine Bestimmung aufzunehmen, wonach Deutschland, ohne dass ein Quantum genannt würde, sein Möglichstes zur Versorgung der Schweiz mit Eisen und Stahl beiträgt.
4. Deutschland liefert die bisherigen Mengen an Kunstdüngern.
5. Lebensmittel. Von der Schweiz wurde die Lieferung der im Abkommen vom Mai 1918 vorgesehenen Lebensmittel weiter verlangt. Dies ist selbstverständlich angesichts der im Inland herrschenden Knappheit - wir erinnern an fleischlose Wochen und Milch- und Käsenot - absolut unmöglich. Im Verlauf der Verhandlungen haben wir uns vorläufig dahin geeinigt, dass die Schweiz monatlich 50 Wagen Milchprodukte und im Herbst wenn möglich maximal 5000 Stück Vieh liefern soll. Überdies würden monatlich mindestens 25 Wagen Reis und 15-20 Wagen Schokolade zugesagt. Daneben kämen noch einige Lieferungen von untergeordneter Bedeutung.
6. Deutsche Durchfuhrverbote. Wir haben von allem Anfang an keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass der Abschluss eines neuen Abkommens zur Voraussetzung habe, dass deutscherseits die lästigen Durchfuhrverbote endlich einmal aufgehoben werden. Gestern haben wir zu unserer grossen Genugtuung dieses Ziel erreicht, indem uns die in Kopie beiliegende Note überreicht worden ist3. Nebenbei gesagt, scheint auch die Frage der deutschen Rückvergütungen für die Hausbrandkohlen, welche auf Grund des letzten Abkommens geliefert wurden, in unserm Sinne gelöst worden zu sein.
Alles in allem ist zu sagen, dass dem Volkswirtschaftsdepartement ein Abkommen auf der skizzierten Basis akzeptabel erscheint, namentlich wenn Deutschland unsern Wünschen hinsichtlich der Kohlenpreise rückhaltlos beipflichtet, und die Kohlenlieferung durch einen eigentlichen Lieferungsvertrag zwischen dem Kohlenkontor und der Kohlengenossenschaft sichergestellt wird. Ob der Bundesrat unserm Antrag beipflichten wird, ist heute noch ungewiss. Selbstverständlich wird sich aus gewissen Kreisen der öffentlichen Meinung auf alle Fälle ein lebhafter Sturm gegen irgend ein Abkommen mit Deutschland erheben, das relativ hohe Kohlenpreise einerseits und die Lieferung von Milchprodukten und Vieh anderseits vorsieht. Wir glauben aber, dass die Aufrechthaltung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland so wichtig ist, dass trotzdem das Abkommen abgeschlossen werden soll.
Endlich fügen wir noch bei, dass die Entente der Schweiz gestattet hat, Lebensmittel und zwar auch solche, die auf der SSS-Liste stehen, nach Deutschland zu liefern. Wir beabsichtigen, von dieser Erlaubnis einerseits dadurch Gebrauch zu machen, dass wir im Abkommen die Lieferung von Reis vorsehen und anderseits dass nebenbei eine Sonderaktion mit der deutschen Zentraleinkaufsstelle in Bern durchgeführt wird, wobei uns Deutschland die ausserordentlich stark auf unsere Lager drückenden Ersatznahrungsmittel, wie Julienne, kartenfreie Mehle, Dörrobst usw. abnimmt, dazu aber auch vollwertige Waren, wie Reis, Fett und Öl, erhält.
Mit diesen Mitteilungen müssen wir heute schliessen und werden Ihnen baldmöglichst über den weitern Verlauf der Dinge berichten.
- 1
- Lettre (Copie): EVD Zentrale 1914-1918/21-2294/F. Wirtschaftsverhandlungen mit DeutschlandDeutschland. Paraphe: KW.↩
- 2
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/44142. Pour le tableau, cf. dodis.ch/44142. For the table, cf. dodis.ch/44142. Per la tabella, cf. dodis.ch/44142.↩
- 3
- Non reproduite.↩
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