Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 146
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#103* | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 20 (1919–1919) |
dodis.ch/43891 La Section de Renseignements de l’Etat-Major général de l’Armée suisse au Département politique1
Am 29. Januar begab ich mich zu Attenberger, Bahnhofstr. 69.11., um zu sehen, ob die deutsche Propaganda in der Schweiz immer noch existiere. Ich fand dort ca. 10 Angestellte, Damen und Herren, welche mit dem Versenden von Propagandadrucksachen beschäftigt waren. Ganze Waschkörbe von solchen standen versandbereit. Auf mein Verlangen übergab man mir ein grosses Paket mit den letzten Propagandaschriften, erklärte jedoch, dass die Propagandastelle in einem Monat aufgelöst werde. Ich verlangte die letzten Hefte der Zeitschrift Der neue Orient, worauf man mich ersuchte, mich an den «Orientverlag» zu wenden, welcher ein Zweigbureau der Berliner «Nachrichtenstelle für den Orient» hier unterhalte, und man gab mir die Adresse: Kaufmann-Merkle, Maneggplatz 5, Agentur und Kommission.
Ich begab mich dann dorthin und erhielt in Abwesenheit des Kaufmann-Merkle von seinem Bureaufräulein, Fräulein Studer, die letzten Hefte der Zeitschrift und einige Propagandabroschüren der Nachrichtenstelle, ferner der «Indischen Nationalpartei», des «Zentralkomitees indischer Nationalitäten in Europa», des «Komitees für Unabhängigkeit von Nordafrika», des «Komitees für Unabhängigkeit von Persien» etc. Fräulein Studer beschwerte sich, dass die schweizerische Post in der welschen Schweiz, namentlich in Genf und Lausanne, Sabotage getrieben habe, indem sie die deutschen Propagandaschriften oft böswillig beschädigte oder beschmutzte und in vielen Fällen gar nicht ablieferte. Obwohl mir hievon nichts bekannt war musste ich ihr natürlich recht geben, und offenbar hat sie ihrem Chef von meinem Besuche erzählt, denn ich erhielt am nächsten Tag eine Karte von Kaufmann, worin er mich aufforderte, bei ihm vorbeizukommen, um mit mir über die Verhältnisse in G. wegen der betreffenden Zeitschrift zu sprechen.
Er teilte mir dann bei meinem Besuche mit, dass er bei der eidgenössischen Oberpostdirektion in Bern wegen der oben erwähnten angeblichen Sabotage Beschwerde führen und sich auf mein Zeugnis berufen werde. Dabei machte mir Kaufmann-Merkle folgende Mitteilungen:
Er besorge den Vertrieb des Neuen Orient nur aus Gefälligkeit, und weil sein Sohn, Dr. Max Rudolf Kaufmann, lange Zeit an der «Nachrichtenstelle» tätig gewesen sei. Ich sah auch in einem hinter dem Bureau gelegenen Zimmer ganze Ballen der Zeitschrift aufgestapelt. Sein Sohn sei früher in Konstantinopel als Journalist und Schriftsteller tätig gewesen und habe unter anderem an der Zeitschrift der deutschen Kolonie, dem Osmanischen Lloyd, mitgearbeitet. Sie seien übrigens Schweizer, allerdings mit deutschen Sympathien. Sein Sohn sei gründlicher Kenner der Türkei und der türkischen Sprache. Bei Ausbruch des Krieges sei er von den Deutschen für den Propagandadienst engagiert worden und habe sich mit dem früheren deutschen Botschafter in Konstantinopel, Marschall von Biberstein, sehr gut vertragen. Mit dessen Nachfolger aber, Baron von Wangenheim, und der deutschen Militärmission in Konstantinopel habe er bald Streit bekommen; ein Brief von ihm, in welchem er die Autokratie der deutschen Säbelrassler in der Türkei und die Umtaufe der deutschen Kriegsschiffe «Göben» und «Breslau» in türkische Kreuzer kritisierte, sei abgefangen und Dr. Kaufmann kurzerhand als missliebiger Ausländer einige Monate in Angora (Kleinasien) interniert worden. Später habe man ihn dann aber wieder als gründlichen Kenner der Türkei für die «Nachrichtenstelle für den Orient», türkische Abteilung, engagiert und er habe in Berlin unter deren Leitern, Dr. Herbert Müller und Professor Mittwoch, bis vor kurzer Zeit gearbeitet. Gegenwärtig sei er Redaktor an der Neuen Allgemeinen Zeitung (früher Norddeutsche A llgemeine Zeitung).
Professor Mittwoch sei den ganzen Sommer 1918 in Zürich gewesen und er, Kaufmann, habe viel mit ihm verkehrt. Die «Nachrichtenstelle» sei ein enormes Unternehmen gewesen, an welchem gegen hundert Orientalen arbeiteten. Dieser Grossbetrieb habe enorme Spesen verursacht. Wegen dieser enormen Spesen und angesichts der momentanen Zwecklosigkeit des ganzen Unternehmens sei beabsichtigt, jetzt nur noch einige Nummern der Zeitschrift erscheinen zu lassen und die Nachrichtenstelle allmählig zu liquidieren. Man habe sie auch umgetauft, weil sie durch die neuesten Ereignisse in Russland und der «Schweiz» zu sehr kompromittiert war; sie heisse jetzt «Orientalisches Institut». Aus Kaufmanns Bemerkungen sah ich, dass er über die Zürcher Bombenaffäre und über den Anteil der Nachrichtenstelle an derselben gut informiert ist. Er äusserte, die deutsche Regierung habe die unverzeihliche Dummheit begangen, indem sie den «Bolschewismus» in Russland grosszog und sich mit den Bolschewiki in Brest-Litowsk an den Verhandlungstisch setzte. Sie sehen dies jetzt selber ein, aber jetzt werde diese Idee Ludendorffs für Deutschland zur Katastrophe. Auch in den Verhandlungen mit italienischen Anarchisten in der Schweiz sehe man unzweifelhaft Ludendorffs Hand; natürlich haben auch die Gesandtschaften und die anderen amtlichen Stellen davon Kenntnis haben müssen, sonst wäre ja der Transport in die Schweiz unmöglich gewesen. In erster Linie aber sei der Generalstab schuld daran und sicher sei, dass Deutschland sich durch diese Sache die letzte Sympathie in der Schweiz verscherzt habe.
Obige Äusserungen bin ich jederzeit bereit, bei einer Konfrontation zu bestätigen.
Für Deutschland wäre es jetzt das Beste, engen Anschluss an Amerika zu suchen, da man sich mit diesem am ehesten wird verständigen können.
Die Mitteilungen über die Nachrichtenstelle ersuchte mich Kaufmann ganz konfidentiell zu behandeln, er wolle überhaupt nicht, dass man erfahre, dass er der Nachrichtenstelle Dienste leiste, da man dies aus Neutralitätsgründen bei Schweizern nicht gerne sehe.
Bemerkung der Nachrichtensektion:
Kaufmann ist Basler aus guter Bürgerfamilie (Schwager von Merkle-Imbach!). Hat vor ca. 10 Jahren als Bankier fallit gemacht und ist dann nach Zürich verzogen.
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