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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 17
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#2* | |
Dossier title | Deutschland (1914–1918) | |
File reference archive | 1 |
dodis.ch/43762 La Légation de Suisse à Berlin1 au Chef de la Division du Commerce du Département de l’Economie publique, A.Eichmann 2
Auf Grund unserer Beobachtungen und Besprechungen in den letzten Tagen beehren wir uns, Ihnen folgende Mitteilungen zu machen:1. Allgemein.
Nachdem in den ersten Tagen des Umsturzes allgemeine Unklarheit herrschte und man einen Zusammenbruch der ganzen Organisation befürchtete, ist in dieser Beziehung eine vollständige Beruhigung eingetreten. Die neue Regierung hat den bestehenden Behördenkörper bestätigt, so dass die ausführenden Organe im grossen und ganzen die gleichen bleiben. Während der Kriegsrohstoff-Abteilung bereits eine bestimmte Tätigkeit für die Rohstoffversorgung in der Dauer der Demobilmachung zugewiesen worden ist (der bisherige Chef der Kriegsrohstoffabteilung ist zum Leiter des neu geschaffenen Demobilmachungs-Amtes ernannt worden), sind wir uns über die künftige Stellung und Funktionen der Abteilung für Ein- und Ausfuhr des Kriegsamtes (A 8) noch nicht im Klaren. Das Auswärtige Amt rechnet mit einer baldigen Ausschaltung. Möglicherweise werden einzelne Funktionen dem Reichskommissariat für Aus- und Einfuhrbewilligung übertragen und einzelne Beamte der bisherigen militärischen Wirtschaftsstellen in die zivilen eingegliedert. Grosse allgemeine Richtlinien für die künftige Gestaltung der Handelsbeziehungen sind noch nicht festgesetzt; die neue Regierung hat sich wohl mit diesen ausserpolitischen Fragen noch nicht beschäftigen können. Obschon man in einer Reihe von Fragen, insbesondere Ausfuhr und Durchfuhr, mit einer baldigen neuen Gestaltung rechnen muss, sind wir mit dem Auswärtigen Amt übereingekommen, die Geschäfte genau nach der alten Praxis weiterzuführen und ans Auswärtige Amt weiterzuleiten. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass einzelne Geschäfte dann bei den internen Stellen liegen bleiben, weil eventuell bindende Richtlinien fehlen, jedoch halten wir dieses Risiko für vorteilhafter als ein Zurückhalten sämtlicher Geschäfte. 2. Kohlen.
Im Auswärtigen Amt konnten wir hierüber nichts Entscheidendes vernehmen. Legationsrat Schmitt äusserte sich in anscheinend offiziöser Weise, dass die Schweiz mit der besondern Berücksichtigung, welche sie während des Krieges als neutraler Staat trotz der inländischen Kohlenknappheit genossen habe, jetzt nicht mehr rechnen könne. Mit ändern Worten: Das Interesse, welches Deutschland an der besondern Sympathie der Schweiz während des Krieges gehabt habe, sei durch dessen Beendigung dahingefallen; die Schweiz könne deshalb nicht mehr damit rechnen, dass Deutschland zu Ungunsten seiner eigenen dringendsten Bedürfnisse die Schweiz mit Kohle versorge. Dazu komme jetzt die Berücksichtigung der Haltung der welschen Schweiz während des Krieges. Deutschland werde wohl keine besondere Veranlassung haben, die französische Schweiz mit Kohle zu versorgen, nachdem sich dieser Landesteil während des ganzen Krieges zweifellos deutschfeindlich verhalten habe. Es hat den Anschein, als ob diese Argumentation die Ansicht der alten Regierung vertritt und bereits unter dem alten Regime als Standpunkt nach Einstellung der Feindseligkeiten festgesetzt worden ist. Demgegenüber ist zunächst die Haltung der neuen Reichsleitung abzuwarten. Es sind in dieser Richtung Anhaltspunkte vorhanden, die darauf schliessen lassen, dass die republikanische Spitze der neuen Regierung ein grosses Gewicht auf freundschaftliche Beziehungen zu den bisherigen neutralen Republiken und zwar insbesondere zur Schweiz, legt. Auch dürfte für die neue Reichsleitung die Haltung der französischen Schweiz keinen bestimmenden Einfluss haben, da doch diese mehr dem frühem militärischen System als der deutschen Nation als solchen feindlich gegenüberstanden.
Direkte Erkundigungen beim Reichskohlenkommissar ergeben, dass eine grundsätzliche Entscheidung über die Möglichkeit der Kohlenausfuhr nach der Schweiz bei den fachtechnischen Behörden noch nicht getroffen worden ist und vor Ablauf von 8-14 Tagen nicht zu erwarten ist. Der Vertreter des Reichskohlenkommissars bei der Kohlenausfuhrstelle äusserte sich dahin, dass abgesehen von allen grundsätzlichen Erwägungen, die noch nicht getroffen sind, die Ausfuhr vorläufig an der tatsächlichen Lieferungsmöglichkeit der Zechen scheitere. Hiezu komme jedoch noch ein wesentlicher Punkt; der Reichskommissar wisse zur Stunde noch nicht, welche Interpretation die Waffenstillstandsbedingungen inbezug auf die Verfügungsfreiheit über die Zechen finden werden. Es sei damit zu rechnen, dass er über eine Reihe deutscher Zechen nicht werde verfügen können. Das Auswärtige Amt vertritt in dieser Frage den Standpunkt, dass die nicht kriegerische Besetzung deutschen Gebietes die deutsche Staatshoheit nicht aufhebe und die Integrität des deutschen Wirtschaftsgebietes nicht berühre. Es fragt [sich] jedoch, ob die Entente mit dieser Interpretation einiggehen wird. Möglicherweise wird die Schweiz sich wegen der Sicherung der Kohlenzufuhr aus den deutschen Zechen während der Besetzung an die Entente wenden müssen, was wir natürlich hier nicht zu beurteilen vermögen. Sollten Sie über diesen Punkt Aufklärungen zu geben in der Lage sein, so wären wir Ihnen für Ihre telegraphischen Mitteilungen sehr dankbar. Die Gesandtschaft wird sich ohne Rücksicht auf diesen Punkt der Diskussion bemühen, noch vor endgültiger Stellungnahme der fachtechnischen Stellen auf die neue Regierung unter Verwendung der oben berührten Punkte in dem Sinne einzuwirken, dass die Regierungsspitze sich für die Kohlenversorgung der Schweiz interessiert und die fachtechnischen Stellen zum möglichsten Entgegenkommen an die Schweiz anweist.
P.S. Im Auswärtigen Amt erfahren wir heute Vormittag, dass die neue Regierung die Ämter ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, dass sie ein grosses Gewicht auf die Einhaltung der Verträge mit den neutralen Staaten lege. Die Kohlenversorgung der Schweiz solle demnach im Rahmen der äussersten Möglichkeit erfolgen. Gegenwärtig sei allerdings die Situation sehr unklar; in Anbetracht der Transportschwierigkeiten in den Rheinlanden sei mit einer sofortigen Wiederaufnahme der Kohlenlieferungen nicht zu rechnen. Die Entsendung einer Delegation nach Berlin erscheint dem Auswärtigen Amt heute noch verfrüht, da der Kohlenkommissar noch gar keine Übersicht besitze (vgl. die obigen Ausführungen). Eine Delegation würde heute nur die Versicherung erhalten, dass die Kohlenlieferungen baldmöglichst wieder aufgenommen werden könnten. Legationsrat Schmitt legte besonderes Gewicht darauf, zu sagen, dass die Schweiz möglichst viel weitere Wagen [und Lokomotiven bereitstellen sollte, damit diese sofort bei Eintritt besserer Verhältnisse die Kohlen abholen könnten (vgl. unser heutiges Telegramm Nr. 16 an die Abteilung für Auswärtiges). Betreffend die Interpretation der Waffenstillstandsbedingungen, teilen wir Ihnen mit, dass das Auswärtige Amt noch heute auf dem Standpunkt steht, dass die Besetzung der Rheinlande das Verfügungsrecht über die Kohlengruben nicht berühre. Dieser Punkt sei noch Gegenstand von Verhandlungen der Waffenstillstandskommission. Immerhin ist bemerkenswert, dass der Reichskohlenkommissar einer Mitteilung der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 16. ds. Mts (Nr. 584) zufolge den oberschlesischen Kohlenwerken mitgeteilt hat, dass die Produktion in den schlesischen Gruben in den nächsten Tagen mit allen Mitteln gesteigert werden müsse. «Durch die Waffenstillstandbedingungen fällt die Produktion des Saarreviers und der rheinischen Gruben fort, so dass selbst die Belieferung von Nord- und Süddeutschland durch die schlesische Förderung bestritten werden muss».3. Ausfuhr.
a. Allgemein: Am 10. ds. Mts. berichteten wir3, dass Deutschland ein Gewicht darauf lege, die Ausfuhr baldmöglichst und in möglichst weitem Umfang zu steigern. Zu diesem Zweck sind bereits einige Ausfuhrverbote suspendiert worden, worüber wir Ihnen unterm 15.ds. Mts. telegraphischen Bericht gaben. [...]
b. Eisen: Wie wir unterm 14. ds. Mts. telegraphisch berichteten4, ist das Eisenkontingent aufgehoben. Von der Beseitigung des Bestellscheinverfahrens ist zunächst Umgang genommen worden; jedoch ist uns [in Aussicht gestellt worden, dass die Bestellscheine nunmehr viel rascher erledigt werden können, da eine Reihe fachtechnischer (Materialbeschaffungsstellen, z.B. Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt) Stellen nicht mehr mitzuprüfen hat. Infolge der Einstellung der Rüstungsarbeiten wird auch der Ausfuhr von Qualitätsmaterialien wieder in grösserem Umfang zugestimmt werden können. Der Stellvertreter des zurzeit kranken Oberleutnant Henneberg äusserte sich dahin, dass das Kriegsamt A 8 sozusagen allen Anforderungen werde entsprechen können. Über die Stellungnahme des Kriegsamtes zur Ausfuhr von Fertigfabrikaten konnten wir leider noch nichts Bestimmtes erfahren. Es ist jedoch anzunehmen, dass die chauvinistische und konkurrenzpolitische Prüfung doch nach und nach gemildert werden wird. Übrigens ging diese grösstenteils vom Reichskommissar und den ihm unterstellten Zentralstellen aus, welche Aussicht auf ein längeres Weiterbestehen als das Kriegsamt A 8 haben. Wir haben bereits im Auswärtigen Amt darauf hingewiesen, dass wir mit Sicherheit erwarten, dass diese Art der Beurteilung aufhören werde, das heisst, dass man uns nicht einfach mit den hier entbehrlichen Waren überschwemme und uns diejenigen Maschinen und Geräte vorenthalte, an denen wir ein besonderes Interesse haben. Immerhin ist diese Gefahr auch weiterhin vorhanden und bleibt solange bestehen, als überhaupt die Ausfuhrverbote bestehen. A../510. Schweizerische Umstellung.
Das Auswärtige Amt teilt mit, es sei Veranlassung getroffen, dass die Sicherstellung durch die STS baldigst hinfällig werde. Wir nehmen jedoch an, dass die Ausführung dieser Absicht von der Ausschaltung der Sicherstellung durch die SSS bzw. deren Auflösung abhängig gemacht werde.
Wir wären Ihnen zu grossem Dank verpflichtet, wenn Sie uns hierüber, sowie über alle übrigen wichtigen Umstellungsfragen der Schweiz jeweils Bericht zugehen Hessen, insbesondere würden wir es begrüssen, wenn wir über die beabsichtigten und durchgeführten Ausfuhrerleichterungen und über die Stellungnahme der Entente zu den Verbleibsbestimmungen der SSS sukzessive unterrichtet würden. [...]
- 1
- Ce Rapport est signé: von Albertini.↩
- 2
- (Copie): EVD Zentrale 1914-1918/5-6Situationsbericht 3. Paraphe: KW.↩
- 3
- Non reproduit; cf. EVD KW Zentrale 1914-1918/5-6.↩
- 4
- Non reproduit; cf. EVD KW Zentrale 1914-1918/5-6.↩