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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 6, doc. 443
volume linkBern 1981
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#1244* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 520 | |
Titolo dossier | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 33 (1918–1918) | |
Riferimento archivio | 188 |
dodis.ch/43718
Gleich bei meiner Rückkehr nach Wien habe ich beim Grafen Burian um Audienz nachgesucht, doch wurde er zum Kaiser nach Reichenau befohlen, so dass ich ihn noch nicht sprechen konnte; ich hoffe ihn aber noch vor Abgang des nächsten Kuriers zu sehen.
Heute besuchte mich dagegen der bayerische Gesandte, Baron Tücher, mein alter Freund seit dreissig Jahren, der sich mir gegenüber stets offen ausspricht. Er ist gestern von München zurückgekehrt, wo er dem Besuche Kaiser Karls beim König von Bayern beiwohnte; die Heimreise machte er im kaiserlichen Zuge in Gesellschaft des Grafen Burian. Bei seinem Monarchen ist Tücher Persona gratissima, wird er ihn doch diese Woche zu einem Besuche beim König Ferdinand in Sofia begleiten.
Wir kamen nun natürlicherweise auch auf die Friedensaussichten zu sprechen, und da sagte mir mein Kollege, von dem ich vorausschicken muss, dass er das gerade Gegenteil von einem partikularistischen Bayern ist, ungefähr folgendes: «Natürlich wurde in München nicht nur vom Frieden gesprochen, sondern viel dafür gearbeitet; hier in Österreich lechzt man danach, und bei uns in Bayern will man ihn auch; übrigens in den ändern deutschen Staaten ebenfalls, und zwar sucht man einen wirklichen Verständigungsfrieden, nicht einen Siegfrieden. Einzig die Militärs sind für eine Fortsetzung des Krieges, und zwar speziell die preussischen Offiziere. Man ist aber an der Arbeit, diese Herren zu bekehren, und in diesem Sinne wurden die Unterredungen beim Kaiserbesuche in München und anderswo (also wohl in Dresden, wo Kaiser Karl auch eine Antrittsvisite machte) geführt. Der preussische Offizier meint in seiner arroganten Art, nicht nur mit Franzosen und Engländern, sondern auch mit den Amerikanern fertig zu werden, und dies ist eine gefährliche Geistesverfassung, ein grosser Irrtum. Die Regierungen und die Fürsten sind der Ansicht, dass es für sie an der Zeit sei, Frieden zu schliessen, denn es dürfe im Volke die Meinung nicht zur Geltung kommen, dass die Fürsten das Hindernis zum Frieden seien, sonst könnte der Augenblick nahen, wo das Volk dieses Hindernis ohne Zaudern wegwerfen würde. Dieses Argument den Herren Hindenburg und Konsorten plausibel zu machen, daran arbeiten jetzt unsere Staatsmänner.» Baron Tücher glaubt nicht, dass den Engländern und Franzosen in der gegenwärtigen Offensive ein ausschlaggebender Durchbruch gelingen werde; eine baldige neue deutsche Offensive erscheint ihm aber schon wegen der Volksstimmung unwahrscheinlich. Da er vom Ernste und der Kraft der Amerikaner überzeugt ist, glaubt er auch nicht an einen deutschen Endsieg. Jedenfalls dürfe man es aber nicht dazu kommen lassen, dass das deutsche Volk vielleicht zum Schlüsse mit den Waffen siege, aber dabei zugrunde gehe. Bei der Besprechung der Reise des Königs von Bayern nach Sofia Hess mein Freund auch die Bemerkung fallen, man wisse ganz genau, dass die Entente dort sowohl wie auch in Konstantinopel diplomatisch am Werke sei; Bulgarien und die Türkei hätten ihren Bund mit den Zentralmächten abgeschlossen, in der Meinung, mit dem Sieger, nicht mit der geschlagenen Partei verbündet zu sein; es sei deshalb nicht nur nützlich, durch ehrende Königsbesuche und freundliche Worte den Zaren Ferdinand warm zu halten, sondern es empfehle sich auch sehr, Frieden zu schliessen, solange die strategische und innerpolitische Lage noch relativ günstig sei. Freilich, Tücher ist immer eher Pessimist, aber ich habe doch den Eindruck, dass seine Aussagen die bei den Kaiser- und Königzusammenkünften herrschende Stimmung wiedergeben.
Ich hatte Ihnen anlässlich meines Besuches in Bern über eine Unterredung, die ich mit Herrn Minister Sulzer hatte, referiert. Mein Kollege aus Washington hatte mir interessante Mitteilungen über den Ernst und die Aufrichtigkeit der Absichten des Präsidenten Wilson gemacht und war damit einverstanden, dass ich über diese Konversation in Wien referiere; Sie selbst, Herr Präsident, erklärten Ihre Einwilligung zu diesem Vorgehen und fügten bei, ich dürfe auch zu verstehen geben, dass man in Bern an massgebender Stelle von der Wilsonschen Aufrichtigkeit ebensosehr überzeugt sei. Ich hielt es für angebracht, schon meinem Freunde Tücher meine Unterredung mit Herrn Sulzer zu erzählen. Der bayerische Gesandte fand nun diese Mitteilungen so interessant, dass er mich bat, dieselben auch zu Kenntnis des deutschen Botschafters zu bringen, und zwar ohne Verzug, da der Besuch des Staatssekretärs von Hintze für Dienstag, den 3. September, in Wien erwartet werde. Graf Wedel werde dann auch gleich diesem Letzteren die Ansichten und das Urteil des Herrn Dr. Sulzer weitergeben können.
In Kürze waren meine Erklärungen folgende: Auf meine Frage, was von den wirklichen Absichten des amerikanischen Präsidenten zu halten sei, hat mir Herr Sulzer erklärt, dass seiner festen Überzeugung nach Herr Wilson in seinen bekanntgegebenen Forderungen durchaus aufrichtig sei; er verfolge keine selbstsüchtigen Pläne für Amerika, sondern wünsche eine auf Recht und Gerechtigkeit beruhende Neuordnung des Verhältnisses zwischen den zivilisierten Staaten, heisse man das Gebilde Völkerbund oder anders, und einen Zustand zu schaffen, der die Wiederkehr solch welterschütternder Ereignisse wie der gegenwärtige Krieg verunmöglichen würde. Wilson wolle das Aufkommen einer prädominierenden Weltmacht verhindern und beanspruche eine solche Stellung auch nicht für Amerika (ob im Effekt nicht doch dieses Resultat herauskommen wird, mag dahingestellt bleiben; ich habe aber selbstverständlich diese Seite der Frage unberührt gelassen). Herr Dr. Sulzer fügte bei, dass die Absichten des Präsidenten weder auf eine Zertrümmerung Deutschlands noch auf eine Zerstückelung Österreichs gingen. Da er für jeden Staat einen freien Zugang zum Meere verlange, könne es auch nicht in seinen Absichten liegen, der Monarchie Triest zu entreissen. Allerdings machte Dr. Sulzer darauf aufmerksam, dass - nachdem Herrn Wilsons in voller Aufrichtigkeit bekanntgegebenen Absichten missdeutet worden seien, nachdem man über seine Vorschläge in leichtfertiger Weise hinweggegangen sei (nur Graf Czernin habe in seiner Budapester Rede im vergangenen Winter eine löbliche Ausnahme gemacht, die aber keine weitere Folge hatte und keine Nachahmung fand), nachdem auf gegnerischer Seite annexionistische und intransigente Strömungen Oberwasser gewonnen hätten - der amerikanische Präsident zur Überzeugung gekommen sei, dass die Zentralmächte nur durch Waffengewalt zu einer besseren Einsicht zu bringen seien; die Macht der Vereinigten Staaten mit aller Wucht zur Geltung zu bringen, dazu sei nun das Haupt von deren Regierung fest entschlossen, und wenn die Amerikaner sich etwas vorgenommen haben, so führen sie es auch durch. Auf eine Frage über den Ernst und den Wert der amerikanischen Rüstungen gab mir Herr Sulzer die bestimmtesten Erklärungen, dass es sich in keiner Weise und in keiner Richtung um einen «Bluff» handle: Die Vorbereitungen, namentlich im Schiffsbau, seien ganz ungeheure; wenn es notwendig werden sollte, werde Wilson 10, ja 15 Millionen Mann wirklich herüberschicken.
3. September. Gestern sah ich sowohl den Minister des Äussern als auch den deutschen Botschafter und teilte ihnen den Inhalt meiner Konversation mit Minister Sulzer mit, wobei ich jeweilen Gewicht darauf legte, festzustellen, dass die Unterredung eine ganz zufällige gewesen sei und dass weder mein Kollege noch ich im Aufträge oder im Einverständnis mit der amerikanischen Regierung handelten; Ihre obenerwähnte Übereinstimmung mit der Einschätzung der Wilsonschen Aufrichtigkeit erwähnte ich indessen beiden Herren gegenüber.
Der hiesige Staatsmann sowie der deutsche Diplomat dankten mir beide für meine Mitteilungen, die sie als höchst interessant bezeichneten; ich darf annehmen, dass auch Staatssekretär von Hintze heute davon Kenntnis erhalten wird.
Graf Burian bemerkte, er habe Wilson immer ernstgenommen, und es freue ihn zu erfahren, dass ihn Minister Sulzer auch noch dazu als ganz aufrichtig bezeichne; er stimme ja mit dem Präsidenten in verschiedenen Punkten überein und habe bei seinem Amtsantritte (allerdings nur in einer Vernehmlassung in der Presse, weil ihm eine andere Gelegenheit fehlte) zu den Wilsonschen Vorschlägen Stellung genommen. Meine Mitteilungen seien ihm ein willkommender Beitrag zu seiner Sammlung von Eindrücken, welche ihm erlauben sollen, im richtigen Moment über den Frieden zu sprechen. Er sehne sich wir jedermann hier nach dem Frieden und sei auf der Lauer nach der passenden Gelegenheit; indessen dürfe nicht erwartet werden, dass Österreich-Ungarn je einen Frieden «erbetteln» werde. Der Minister fügte bei, er habe auch niemals die amerikanische Macht unterschätzt, wie es leider die Deutschen getan hätten. Wilson habe sich die Schiedsrichterrolle zugedacht, schon vor seinem Eintritt in den Krieg, aber damals sei die amerikanische Neutralität zuwenig unparteiisch gewesen, um eine objektive Beurteilung der beidseitigen Standpunkte erwarten zu lassen; jetzt werfe der Präsident sein Schwert in die Waagschale; sein Standpunkt sei begreiflich, und er könne vielleicht die Rolle des «arbiter mundi» beanspruchen, da ja auch die Verbündeten ganz auf ihn angewiesen seien; aber Wilson sollte auch trachten, den Standpunkt seiner Gegner zu begreifen. Er, Burian, bemühe sich immer, die Ansichten seiner Feinde zu verstehen, und so begreife er zum Beispiel, freilich ohne sie zu teilen, die Meinung der Franzosen, dass ihnen Elsass-Lothringen zu Unrecht entrissen worden sei und dass sie es zurückgewinnen müssen. Wann der Augenblick gekommen sein werde, neue Schritte in Hinblick auf den Frieden zu unternehmen, sei schwer vorauszusagen; vielleicht wenn die jetzige französisch-englische Offensive sich ausgetobt haben werde und die Alliierten wieder vor einer festen deutschen Linie stünden.
Der deutsche Botschafter seinerseits fasste meine Erzählung so zusammen, dass er sagte: ((Wilson will also Deutschland nicht unbedingt vernichten, er will aber verhindern, dass wir durch das Mittel des deutschen bzw. preussischen Militarismus zur prädominierenden Weltmacht werden.» Merkwürdigerweise formulierte Graf Wedel dieses Resumé in einem Tone, der nicht darauf schliessen liess, dass ihm diese Forderung als exorbitant erscheine. Mit dem, was mir Baron Tücher über die Stimmung in den höchsten Kreisen gesagt, schien mit die Geistesverfassung des Botschafters überhaupt übereinzustimmen.
Über die militärischen Ereignisse an der Westfront erzählte mit Wedel, dass ihm Ludendorff, schon als er vor zirka drei Wochen im Hauptquartier war, sagte, auf die ersten französischen Erfolge hin werde eine ganz ungeheure allgemeine Offensive einsetzen. Man ziehe sich nun überall langsam auf die alte Hindenburg-Linie zurück, die unterdessen ganz ausserordentlich stark ausgebaut werde, und zwar namentlich in der Richtung, dass auch die Tanks nicht in dieselbe werden eindringen können. Über die Hindenburg-Linie hinaus werden die Alliierten nicht kommen; sie werden es versuchen, werden sich aber blutige Köpfe holen. Die auch in der Entente darauffolgende Ernüchterung wird vielleicht dem Moment bezeichnen, wo wieder an den Friedensgedanken näher herangetreten werden kann.
4. September. Ich lege hier einen «Brief aus der Schweiz» der Neuen Freien Presse vom 31. August bei, welcher für unser Land recht wohlwollend lautet; im Ganzen sind seine Ausführungen ziemlich richtig, nur scheint ihm die auffällig österreichfreundliche Haltung des Journal de Genève entgangen zu sein. Ferner sende ich Ihnen einen Artikel der heutigen Arbeiter Zeitung über den Besuch des Staatssekretärs von Hintze; ich hebe unter Hinweis auf die Aussagen Baron Tuchers den Satz hervor: ((Dass, nun die Gegner zum Eintritt in Friedensverhandlungen zu bewegen, bestimmte Voraussetzungen nötig sind, wird den zwei Staatsmännern doch nicht verborgen geblieben sein; und dass es in dem Willen der gros sen Masse der Bevölkerung der beiden Reiche liegt, dass diese Voraussetzungen geschaffen werden, um das grässliche Kriegsmorden endlich zum Stillstand zu bringen, werden sie sich wohl auch sagen.»
Die Friedenssehnsucht ist hier in der Zeit meiner Abwesenheit grösser geworden als vorher, und wenn auch die Worte «Frieden um jeden Preis» und «Separatfrieden», die man hie und da von wenigen unmassgebenden Personen hört, auch nicht der allgemeinen Stimmung entsprechen, so ist es doch charakteristisch, dass es Leute gibt, die heute diese Worte auszusprechen wagen. Die immer schlimmer werdende Teuerung (seit dem Monat Juli ist der Laib Brot à ca. 1 lA Kilo von 72 Heller auf eine Krone 56 Heller gestiegen, das Kilo Rindfleisch von 20 auf 27 Kronen gestiegen) ist natürlich nicht dazu angetan, das Durchhalten zu erleichtern. Wenn nichtsdestoweniger die Stimmung keine schlechtere ist und Volksbewegungen ausgeschlossen erscheinen, so ist das einerseits auf den gutmütigen österreichischen Charakter, andererseits auf den Umstand zurückzuführen, dass die Fabrikarbeiter ganz ausserordentlich hohe Löhne beziehen. Die meisten Industrien arbeiten für den Krieg, und der Staat kommt ihnen in jeder Weise entgegen. Die Arbeiter verdienen von (im Minimum) 200 bis zu 300 Kronen in der Woche, daneben wird ihnen von der Fabrikleitung täglich eine Mahlzeit zum jetzt lächerlichen Preise von K. 2.- verabfolgt, welche zum Beispiel im hiesigen Arsenal aus Suppe, Fleisch (täglich), Gemüse und Kartoffeln besteht; in der grossen Brauerei Dreher zahlen die Arbeiter sogar nur K. 1.- für eine solche Mahlzeit; ausserdem wird ihnen Gelegenheit gegeben, Nahrungsmittel für ihre Familien zu Vorzugspreisen zu erwerben (z. B. Pferdefleisch à K. 8.- das Kilo). Ganz schlimm ist die Lage für den Mittelstand und die Fixbesoldeten im allgemeinen. Ich höre, dass es Lehrerfamilien gibt, die schon beinahe ihr ganzes Mobiliar versetzt oder verkauft haben, oder dass in einem Kaffeehaus bei der Abendmusik ein echter Hofrat am Klavier sitzt, um sich auf diese Art einen Nebenverdienst zu verschaffen. Wenn auch die neue Ernte es erlaubt hat, die Brotration wieder von 90 Gramm auf ihre frühere Höhe von 180 Gramm zu bringen, so kann man sich doch fragen, wie lange diese Verhältnisse noch haltbar sein werden. Die Fabrikarbeiter freilich müssen wissen, dass mit dem Frieden die hohen Löhne der Kriegsindustrie aufhören werden, und dringen daher in Wirklichkeit wohl weniger auf dessen Herbeiführung, als es deren Organ, die «Arbeiter Zeitung», tut.
Über die innere Politik behalte ich mir vor, in einem späteren Berichte zu referieren, ebenso über die polnische Frage, da ich hierüber noch zuwenig sichere Informationen sammeln konnte.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Wien, Archiv-Nr. 33.↩
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