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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 6, doc. 378
volume linkBern 1981
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#102* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 55 | |
Titolo dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 19 (1918–1918) | |
Riferimento archivio | 019 |
dodis.ch/43653
Trotzdem ich heute infolge meiner erst sehr kurzen Anwesenheit in Berlin und meiner noch ganz ungenügenden Vertrautheit mit der deutschen Politik, welche durch die überaus starke Inanspruchnahme durch Büroarbeit nicht gefördert wird, nicht in der Lage bin, einen politischen Bericht einzusenden, will ich doch nicht ermangeln, Ihnen wenigstens darüber Meldung zu erstatten, was ich seit meiner Abreise von Bern erlebt habe. Dem werde ich mir gestatten, noch einiges beizufügen, was ich als «Verschiedenes» betiteln möchte.
In Anbetracht der kurzen, für die Einführung zur Verfügung stehenden Zeit sowie der verschiedenen Abschieds- bzw. Einführungsbesuche des alten und neuen Gesandten blieb für die Orientierung über die eigentliche Bürotätigkeit der Gesandtschaft leider nicht sehr viel Zeit übrig. Herr Bundesrat Haab gab sich sehr grosse Mühe, mich in jeder Beziehung auf das laufende zu bringen. Viel trug hiezu auch bei, dass wir im selben Hotel lebten und viele Mahlzeiten zusammen einnehmen konnten, was auch zu halbdienstlichen Gesprächen verwendet werden konnte.
Gemeinsam mit Herrn Bundesrat machten wir einen Besuch beim Reichskanzler und in Abwesenheit des Herrn Dr. von Kühlmann beim Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes, Freiherrn von dem Bussche.
Wie übrigens bei allen Amtsstellen, war auch die Aufnahme beim Reichskanzler ausserordentlich liebenswürdig. Politisch Interessantes ist über diesen Besuch jedoch nicht zu melden.
Dagegen benutzte der Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes meine Antrittsvisite zu einer Äusserung, die ich unbedingt zu Ihrer Kenntnis bringen muss, da sie mir für das Verhältnis Schweiz-Deutschland von grosser Bedeutung zu sein scheint. Freiherr von dem Bussche übergab mir bei dieser Gelegenheit ein Doppel der sechsseitigen «Aufzeichnung» 2,welche dem Politischen Departemente von der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in Bern vor einiger Zeit überreicht wurde und welche sich auf das Verhalten der Schweizer Presse und die ungleiche Behandlung von deutschfeindlichen und ententefeindlichen Äusserungen der Schweizer Presse bezieht. (Sollte ich mich irren und diese Aufzeichnung in Bern nicht überreicht worden sein, so steht ein Exemplar zur Verfügung, das ich aber lieber hier behalten würde, da es das einzige ist, über das ich verfüge.)
Trotz aller Höflichkeit und Liebenswürdigkeit, mit der Freiherr von dem Bussche auf diese Angelegenheit zu sprechen kam, tönte doch deutlich ein gewisser gereizter Unterton durch. Sowohl Herr Bundesrat Haab als ich, der soeben frisch aus der Schweiz ankam, mussten uns nachher gegenseitig gestehen, dass die deutsche Reklamation betreffend ungleiche Behandlung von Äusserungen der schweizerischen Presse leider berechtigt sei, ärgern sich doch seit langer Zeit schon viele absolut neutral denkende, in der Schweiz wohnende Schweizerbürger über diesen Zustand. Ich möchte daher die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne meiner Meinung dahin Ausdruck zu geben, dass es sich empfehlen dürfte, ohne Rücksicht auf allfälliges innerpolitisches Geschrei in der Schweiz in Zukunft in Pressefragen Zentralmächte und Entente auf absolut gleichem Fusse zu behandeln. Angesichts der vielen Beziehungen verschiedenster Art, welche uns mit dem Deutschen Reiche verbinden, und der zahlreichen Fälle, wo wir eines Entgegenkommens deutscher Behörden im Interesse unseres Staates oder in demjenigen von einzelnen schweizerischen Individuen bedürfen, kann es der Schweiz doch gewiss nicht gleichgültig sein, ob sie allmählich die leitenden deutschen Kreise, die deutschen Amtsstellen überhaupt, Presse und Publikum verärgert und gegen sich einnimmt. Dies vorläufig, solange der Krieg dauert.
Nach dem Kriege, das heisst in dem Zeitpunkte, da das Deutsche Reich nicht mehr so sehr auf unser Entgegenkommen und unsere Mitwirkung angewiesen sein wird, dürfte sich eine allmählich tief eingefressene Verstimmung gegenüber der Schweiz zweifellos vielfach sehr zu unseren Ungunsten fühlbar machen.
Samstag, den 12. Januar, wurde ich vom Kaiser und unmittelbar nachher von der Kaiserin im Schloss Bellevue empfangen.
Da ich früher Gelegenheit hatte, die grossen preussischen Schlösser mit ihrem umfangreichen Beamten- und Bedientenapparat zu sehen, konnte ich mir einen deutlichen Begriff von der Einschränkung der kaiserlichen Hofhaltung machen. Schloss Bellevue erinnerte mich stark an ein feines altes Patrizierhaus des Kantons Bern oder der Westschweiz. Sehr wenig Chargen und Bediente. In den Salon der Kaiserin wurde ich durch das Esszimmer geführt, wo der Frühstückstisch für drei bis vier Personen schon gedeckt war. Der diensttuende Flügeladjutant, ein Generalstabsmajor, erzählte mir denn auch, das Personal des Hofes, alle preussischen Schlösser zusammengerechnet, sei seit dem Kriege um mehrere hundert Mann verringert, abwechslungsweise gingen die Angestellten an die Front und kämen nach ein- bis zweijährigem Dienste wieder zurück. Zwei Diener trugen denn auch das Band des Eisernen Kreuzes.
Der Kaiser knüpfte in der Unterhaltung namentlich an seinen Besuch in der Schweiz an, erkundigte sich insbesondere nach General Wille und Oberstkorpskommandant von Sprecher und danach, ob ein seinerzeit von ihm persönlich Herrn Bundesrat Hoffmann überwiesenes Muster von feldgrauem Tuch zu Proben verwendet worden sei, was ich zu seiner Befriedigung bejahen konnte. Anschliessend an eine kurze gegenseitige Aussprache über Marschleistungen schweizerischer Truppen in den Manövern 1912 und seither, rief dann der Kaiser plötzlich in lebhaftem Tone: «und buddeln (Schützengräben ausheben, befestigen) habt ihr auch gelernt!» Ein Beweis, dass der Kaiser über unsere Befestigungslage jedenfalls genau orientiert ist. Trotz der vielen Sorgen, die diesen Mann gerade in der gegenwärtigen Zeit bedrücken müssen, machte mir der Kaiser einen sehr frischen, muntern, lebhaften Eindruck. Auf politisch Wichtiges kam er nicht zu sprechen.
Die Kaiserin sprach in freundlicher Weise von der Liebestätigkeit der Schweiz, der Fürsorge für die Internierten, namentlich der Tätigkeit von Frau Minister Roth für die im Kanton Appenzell internierten Deutschen. Insbesondere schien es sie zu freuen, dass Frau Roth durch deutsche Internierte ein bis in alle Details ausgearbeitetes Appenzeller Bauernhaus erstellen liess, das, wenn ich nicht irre, auf der Internierten-Arbeiten-Ausstellung in Frankfurt der Kaiserin zu Gesicht kam.
Meine amtliche Tätigkeit wurde hier in den letzten Tagen in sehr unangenehmer Weise durch chronische Verkehrsstockungen infolge Schneefalls beeinflusst. Statt der zirka zwei Stunden, die ich sonst zwischen Gesandtschaft und Hotel auf Strasse, Untergrundbahn und Elektrischer zubringe, falls diese Zeit durch Besuche nicht noch verlängert wird, kam ich über die letzten Tage unter drei Stunden nicht weg. Jedoch war diese an und für sich unangenehme Periode, welche übrigens heute noch nicht zu Ende ist, insofern von Interesse, als sie deutlich zeigte, wie stark die Strassenbahn Berlins unter dem mangelnden Unterhalt von Oberbau und Rollmaterial seit dem Kriege leidet. Da beinahe keine Automobile oder Pferdedroschken mehr aufzutreiben sind, wurde die Untergrund- und Hochbahn derart überfüllt, dass auch ihr Verkehr stark verzögert wurde und teilweise ganz stockte. Die elektrische Strassenbahn war genötigt, ihren Betrieb während eines ganzen Tages auszusetzen, und ist noch nicht wieder voll betriebsfähig. Neben der Abnutzung des Materials spielt natürlich auch der Mangel an Kraft (Strom), an Arbeitskräften und insbesondere auch an männlichen Arbeitskräften ein bedeutende Rolle.
Bei diesem Anlasse sei übrigens auch bemerkt, dass die Normalbahnen nicht mehr ganz gut funktionieren. Entgegen der im Frieden üblichen deutschen Genauigkeit werden nunmehr Verspätungen der Züge von ein bis zwei Stunden als ganz normal angesehen.
In der letzten Zeit wird hier in massgebenden Kreisen stark von einer baldigen grossen deutschen Offensive gesprochen. Es soll alles für die Offensive fix und fertig bereitgestellt sein, so dass sie jederzeit losgelassen werden könnte. Von verschiedenen Seiten habe ich von einer ausserordentlich tiefen Staffelung - bis rückwärts nach Köln - sprechen hören. Andererseits wurde von einem neutralen Diplomaten die Meinung geäussert, er habe das Gefühl, die Oberste Heeresleitung zögere mit dem Loslassen der Offensive noch etwas, in der Hoffnung, die Entente werde sich vielleicht doch noch den russischen Friedensverhandlungen anschliessen, womit die sonst unvermeidlichen enormen Opfer an Menschen vermieden werden könnten.
Friedensverhandlungen: In Rektifizierung meiner Bemerkung in Absatz 4 meines Schreibens vom 15. Januar 19183 an den Herrn Bundespräsidenten (ad Nr. 50/426. G. R.) mache ich darauf aufmerksam, dass die Bemerkung «aus Courtoisie» werde die Unterzeichnung des Schlussprotokolls von Brest-Litowsk eventuell an einem den Russen genehmeren Orte stattfinden, bei den Verhandlungen selbst von Herrn von Kühlmann offiziell gemacht wurde.
Seither habe ich von hiesigen Diplomaten gehört, dass sich die Schweden offiziell grosse Mühe geben, den Abschluss der gegenwärtigen Verhandlungen in Stockholm zu veranlassen.
Von den Holländern seien schon seit längerer Zeit Bemühungen im Gange, um die grossen Friedensverhandlungen in den Haag zu bringen.
Dürfte es da vielleicht nicht an der Zeit sein, dass auch die Schweiz sich durch ihre verschiedenen Gesandtschaften im Auslande oder durch das Mittel der bei ihr akkreditierten Gesandtschaften in Bern im gleichen Sinne für die Schweiz als Verhandlungsort bemüht?
Indem ich mir erlaube, zwei neueste Zeitungsausschnitte beizulegen, welche einen Einblick in die Verhältnisse bei der russischen Armee geben und welche zeigen, wie ungleich stark infolgedessen die zwei in Brest-Litowsk verhandelnden Parteien effektiv sind, bitte ich Sie, Herr Bundespräsident, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung genehmigen zu wollen.
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