Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 6, Dok. 228
volume linkBern 1981
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#892* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 393 | |
Dossiertitel | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 16 (1916–1916) | |
Aktenzeichen Archiv | 147 |
dodis.ch/43503
Ich telegraphierte Ihnen heute vormittag, dass ich Ihre beiden Telegramme2 betreffend den Friedensvorschlag der Zentralmächte gestern Abend gegen 10 Uhr erhalten und sofort den Wortlaut der deutschen Note auf die Konsulta getragen habe. Da es inzwischen 11 Uhr geworden war, konnte ich nur einen subalternen Beamten sprechen, den ich ersuchte, die Note so rasch als möglich zur Kenntnis des Baron Sonnino zu bringen.
Soeben war ich beim Minister, um den Text dieser Note mit meinem Begleitschreiben offiziell zu überreichen.
Bei diesem Anlasse habe ich auch mitgeteilt, was Herr Bourcart Ihnen von Wien telegraphiert hatte, habe aber beigefügt, dass ich mich nicht für berufen halte, den Inhalt dieses Telegrammes offiziell zur Kenntnis des Ministers zu bringen.
Sie hatten mich zwar angewiesen «de faire immédiatement démarche auprès Sonnino dans le sens de cause qui précède». Ich habe aber geglaubt, annehmen zu dürfen, dass dieser Auftrag nicht buchstäblich genommen werden dürfe, weil mir schien, dass er nicht ganz den Intentionen entspreche, welche bei Mitteilung der betreffenden Note an Minister Bourcart vorgeherrscht haben dürften. In der Tat sagt Herr Bourcart, der Text der Note sei «adressé... aux représentants des puissances neutres chargées de la protection des Austro-Hongrois en pays ennemis». Nun sind wir aber offiziell nicht mit der Vertretung jener Interessen in Italien betraut, und deshalb schien es mir nicht angezeigt, dass die betreffende Mitteilung durch mich an die hiesige Regierung weitergegeben werde. Ich glaubte um so mehr von einem solchen Schritte absehen zu sollen, als er leicht den Eindruck hätte erwecken können, als wolle der Bundesrat den Anlass benutzen, um aus eigener Initiative sich dem Vorgehen der Zentralmächte anzuschliessen und sich als Vermittler anzubieten. Eine solche Haltung hätte aber den wiederholten Erklärungen des Vorstehers des Politischen Departements in der Bundesversammlung nicht entsprochen, und deshalb glaubte ich annehmen zu dürfen, dass er nicht in Ihren Absichten liege. Ich habe dies Herrn Sonnino auch angedeutet, natürlich nur als meine persönliche Auffassung, und er zeigte sich sehr befriedigt von dieser meiner Erklärung.
Bevor ich auf die Konsulta ging, war ich beim spanischen Botschafter, der hier die österreich-ungarischen Interessen vertritt und der mir sagte, dass er noch keinerlei Mitteilung erhalten habe. Ich nehme an, das hänge mit der Tatsache zusammen, dass der Auftrag an ihn den weiteren Weg über Madrid nehmen musste. Natürlich sprach mir Sonnino nicht viel von dem Eindruck, den der Vorschlag auf ihn gemacht habe. Er sagte nur, die Mächte der Entente müssten sich nun zunächst unter sich beraten, er habe aber bis zur Stunde noch von keiner Seite eine Mitteilung erhalten. Persönlich habe er den Eindruck, dass der Vorschlag zu allgemein gehalten sei, um die Grundlage für Verhandlungen bilden zu können. Wenn es den Zentralmächten wirklich ernst gewesen wäre, hätten sie etwas positiver sein und konkretere Vorschläge machen müssen. Die Note spreche wohl davon, dass die zu machenden Vorschläge geeignet seien «à assurer l’existence, l’honneur et le libre développement de leurs peuples», aber sie sagte nichts davon, dass die gleichen Garantien auch dem ändern Teile geboten werden sollen.
Ich hatte den Eindruck, dass Baron Sonnino die Sache nicht sehr ernst nehme und in dem Vorschlag mehr einen Schachzug erblicke, um die Verantwortung für das weitere Blutvergiessen scheinbar abzuwälzen. Als ich mich mit den Worten verabschiedete: «J’espère tout de même que nous nous approchons de la fin», antwortete er: «il faudra bien que cela finisse un jour». Herr von Sonnenberg hat soeben durch einen Beamten des Ministeriums des Auswärtigen gehört, dass dort der Wunsch bestehe, die Anregung nicht ohne weiteres abzulehnen, sondern nähere Vorschläge zu verlangen. Diese Absicht sei eingegeben durch die Rücksicht auf die Neutralen und vor allem auf den Eindruck in Amerika. Man erwarte, dass nunmehr Wilson offiziell als Vermittler auftreten und der Überbringer genauerer Vorschläge sein werde. Ja man scheint anzunehmen, dass über den Inhalt dieser Vorschläge schon gesprochen worden sei.
Ich gebe Ihnen diese Notiz, ohne irgendwie dafür einstehen zu können, dass sie der Ansicht an massgebender Stelle entspreche.
Wie der Vorschlag in der Öffentlichkeit beurteilt wird, kann ich noch nicht sagen. Von verschiedenen Seiten habe ich die Bemerkung gehört, es nehme sich sehr sonderbar aus, dass Deutschland nun von einer Verantwortlichkeit der anderen spreche, nachdem es seinerzeit die Verantwortlichkeit nicht gescheut habe, den Krieg heraufzubeschwören.
Ein Deputierter der Rechten hat uns gefragt, was Wahres an dem Vorschläge sei, und hat im Gespräche die Bemerkung einfliessen lassen, in Italien wollen eigentlich nur Sonnino und die Presse die Fortsetzung des Krieges.
Uber die Beziehungen zu Griechenland sprach sich Sonnino dahin aus, dass er fortwährend bemüht sei zu vermitteln, um einen Konflikt zwischen diesem Lande und der Entente zu vermeiden. Er glaube nicht, dass in Griechenland die Absicht bestehe, es zu einem Bruche mit der Entente kommen zu lassen, und deshalb sei er überzeugt, dass man sich verständigen werde. Auch die Entente habe kein Interesse daran, den Bogen zu stark zu spannen.
Die Lage Griechenlands sei heute derart, dass es einen Krieg mit der Entente nicht wagen dürfe.
Schliesslich frug ich Sonnino auch über die parlamentarische Lage in Italien, worauf er mir sagte, dass es wohl noch zu heftigen Auseinandersetzungen kommen werde, dass er aber einen Konflikt und eine Krisis nicht für wahrscheinlich halte. Freilich, fügte er bei, wird der Vorschlag der Zentralmächte neuen Wind in die Segel unserer Sozialisten treiben, die bei der Diskussion über die Kredite neuerdings ihre Friedensschalmeien blasen werden.
Im allgemeinen herrscht der Eindruck vor, dass das Verhältnis der Kammer zum Ministerium so ziemlich auf dem Gefrierpunkt stehe. Der Gegensatz richtet sich namentlich gegen Bissolati und Sonnino. Wenn es zu einer Krisis kommt, wird Sonnino geopfert werden müssen, dem man vorwirft, in Verbindung mit Bissolati gegen Cadorna zu wirken. Auch die Art, auf welche Sonnino die auswärtige Politik betreibt, findet viele Gegner.
Morgen soll Carcano sein grosses Finanzexposé entwickeln.
Heute teilt man mir mit, dass in der Stadt das Gerücht gehe, es seien auf dem Corso zwei italienische Brigaden in die Enge getrieben und beinahe vernichtet worden. Ich kann die Richtigkeit dieses Gerüchtes nicht kontrollieren.
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