Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 174
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1242* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 520 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 31 (1916–1916) | |
File reference archive | 188 |
dodis.ch/43449 Le Ministre de Suisse à Vienne, Ch. Bourcart, au Chef du Département politique, A. Hoffmann1
Die schweizerischen Vorkommnisse der letzten Wochen und deren neueste Entwicklung sind dazu angetan, schwere Sorgen in uns aufkommen zu lassen. Wie gewisse Leute mit dem Feuer spielen können, ist mir unbegreiflich, und ich kann mir dies nur dadurch erklären, dass viele nicht wissen, was sie tun. Man wäre beinahe geneigt zu sagen, es gehe uns, in der Schweiz, zu gut und man gebe sich über ihren Ernst der internationalen Lage, über die Stellung, welche die Schweiz darin einnimmt, keine genügende Rechenschaft. Oder bin ich etwa zu schwarzseherisch, steht es um unsere innere Einigkeit nicht so schlecht, wie ich es aus der Presse schliessen zu können glaube? Gibt man sich auch in der welschen Schweiz über die Gefahren Rechenschaft, die eine Schwächung der Regierungsoder der Militärgewalt mit sich brächte?
Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, im Gespräche mit Baron Burian die Oberstenaffären und deren Folgen zu streifen; ich behauptete selbstverständlich, dass nach wie vor die ganze Armee wie ein Mann irgendeinem Durchbruchsversuche durch die Schweiz, komme er woher er wolle, auch von Frankreich her, entgegentreten würde, und gab den Sozialisten und Antimilitaristen die Hauptschuld an der Hetze gegen unsere oberste Heeresleitung. Der Minister des Äussern sagte mir hierauf, er habe vom Baron Gagern interessante Berichte über die Angelegenheit erhalten; es sei ihm aber unbegreiflich, wie es Leute geben könne, die an irgendeine Schwächung unserer militärischen Vorkehrungen denken könnten; es heisse dies, das Spiel Frankreichs spielen, welches nichts Eiligeres haben würde, als durch die Schweiz gegen die deutsche Flanke zu marschieren, sobald es sehe, dass wir nicht mehr mit unserer ganzen Macht jedem solchen Versuche sofort entgegenzutreten imstande wären. Ich gab mich zuversichtlicher, als ich im Grunde meines Herzens war, und liess das Gespräch fallen, da ich nicht von Baron Burian sagen hören wollte, die Zentralmächte könnten die schweizerische Neutralität nicht mehr als vollwertig ansehen, wenn sie keine sichere Flankendeckung mehr bedeute. Letzteres wäre aber die Konsequenz, die hier - und wohl auch in Berlin - aus jeder Schwächung unserer Armee (wobei in erster Linie auch an eine Veränderung im Oberkommando oder an eine «diminutio» desselben zu denken ist) ganz gewiss gezogen würde. Ich betrachte es als ein Glück, dass die hiesige Zensur bis jetzt nicht nur die ganze Oberstenaffäre, sondern auch die Berichte über alle unsere inneren Zwistigkeiten unterdrückt hat; der Zwischenfall von Lausanne2 wurde nur ganz kurz erwähnt, ohne Angabe der direkten und indirekten Veranlassung, und seit dessen offizieller Erledigung ist in den Tagblättern überhaupt nicht mehr die Rede davon. So kommt auch die Presse nicht dazu, sich über unsere Angelegenheiten auszusprechen, und ich hoffe, bis ihr das wieder gestattet wird, werden sich die Wellen des Sturmes auch bei uns gelegt haben.
So willkommen uns einige beruhigende Worte von Ihnen wären, so darf ich bei Ihrer mir wohlbekannten Überlastung doch kaum erwarten, dass Sie Zeit dazu finden könnten, mir zu schreiben, auch haben Sie mir vielleicht nichts Beruhigendes zu sagen. Immerhin wäre ich Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie mir, auch nur in wenigen Zeilen, einige Winke über die eventuell zu haltende Sprache geben wollten.
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