Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 135
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.19-01#1000/1704#2* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.19-01(-)1000/1704 1 | |
Dossier title | Rapports politiques, sorties (1915–1915) | |
File reference archive | I.B |
dodis.ch/43410
Da die Erhebungen und Mitteilungen des Ministeriums des Auswärtigen über die Ursachen der Verkehrsstockung in Domodossola und Luino und über die angebliche Sequestrierung von Sendungen Petrol, Benzin und Schwefel nach der Schweiz nicht vom Flecke kommen wollten, entschloss ich mich, eine Audienz beim Ministerpräsidenten zu verlangen, um die Situation im allgemeinen mit ihm zu besprechen und seine Intervention in den obigen Spezialfragen anzurufen. Die Audienz wurde sofort gewährt, so dass ich gestern vormittag Gelenheit hatte, die Lage einlässlich mit Herren Salandra zu besprechen.
Er empfing mich sehr liebenswürdig und nahm sich die Zeit, über alle Punkte, die wir gegenseitig zu erörtern hatten, gründlich mit mir zu reden. Das Ergebnis war kurz folgendes:
1. Über die Verkehrsverhältnisse war er nicht orientiert, ersuchte mich aber, ihm die verschiedenen Punkte schriftlich zusammenzustellen und versprach die ganze Frage in einem Ministerrate zur Erörterung zu bringen, der heute stattfinden soll. Speziell habe ich darauf abgestellt, dass die Intervention der militärischen Behörden zum Schaden des Transportes von Benzin, Petrol und Schwefel endlich ausgeschaltet werde. Inzwischen ist allerdings eine Mitteilung des Auswärtigen eingegangen, nach welcher die militärischen Behörden unschuldig wären an dem Anhalten der Petrol- und Schwefelsendungen. Ich hoffe, die Intervention des Ministerpräsidenten wird endlich Klarheit schaffen über diesen Punkt und erwirken, dass die Transporte durchgelassen werden.
2. Ich brachte die Haltung der italienischen Presse zur Sprache, welche durch unrichtige Mitteilungen über Contrebande der Schweiz und durch Hetzartikel gegen die Deutschschweizer viel Unheil anstiftet. Herr Salandra übergab mir darauf die zwei beiliegenden Exemplare2 zweier Rundschreiben, welche er am 13. und 24. Juni an sämtliche Präfekten gerichtet hat. Sie werden diesen Kundgebungen, namentlich dem letzten Zirkular vom 24. Juni entnehmen, dass Herr Salandra wirklich das Mögliche tut, um speziell die Haltung der Presse gegenüber der Schweiz günstig zu beeinflussen. Er sagte mir dann lachend: Und nun wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir nachweisen könnten, dass auch in der Schweiz in derselben Weise Einfluss auf die Presse des deutschen Teiles geübt wird. Ich erhalte ja leider nur ganz vereinzelte Zeitungen der deutschen Schweiz - die Post lässt sozusagen keine durch und der Kurier bringt mir hauptsächlich nur zwei Basler Blätter und auch diese nicht in lückenloser Folge - und konnte deshalb keine positive Antwort geben. Immerhin glaubte ich mit Nachdruck darauf hinweisen zu können, dass alle grösseren und massgebenden Blätter der deutschen Schweiz sich gerade in der Beurteilung des Verhaltens von Italien eine Zurückhaltung und Mässigung auferlegt hätten, die durchaus nicht immer im Einklang stehe mit der öffentlichen Meinung an manchen Orten.
Es wäre mir lieb, wenn Sie mir mitteilen wollten, ob wirklich die Schweizer Presse sich Italien gegenüber ablehnend oder gar feindselig geäussert hat. Selbstverständlich versprach ich Herren Salandra, Ihnen von seinem Wunsche Kenntnis zu geben.
3. Auf meine Beschwerde wegen der vielen Verhaftungen von Schweizern und wegen der langsamen Prozeduren der Kriegsgerichte antwortete er mir lachend: Was wollen Sie, uns Italienern geht es nicht besser, mein Schneider ist letzter Tage verhaftet worden wegen Spionageverdacht, ich konnte ihn auch nicht davor bewahren. In solchen Kriegszeiten ist eben alles auf eine andere Note gestimmt und da muss jedermann etwas über sich ergehen lassen. Ich habe ihm dann von den einzelnen krasseren Fällen gesprochen und erhielt die Zusage, dass er diese Fälle prüfen und den Polizeiorganen neuerdings einschärfen wolle: «et surtout pas trop de zèle». Auf die richterlichen Behörden könne er unmöglich anders wirken als durch die Einladung zu möglichst rascher Erledigung.
Wir sprachen dann auch von den Ursachen dieser Stimmung gegen die Deutschschweizer, und ich führte als einen möglichen Grund die Tatsache an, dass wir genötigt seien, in Italien die Deutschen und stellenweise auch die österreichischen Interessen zu vertreten. Er teilte diese Ansicht mit dem Beifügen, dass für jeden vernünftigen und eingeweihten Menschen diese Funktion der Schweiz nur Achtung einflössen könne. Und dann fügte er nach einiger Überlegung lächelnd bei: «Wer weiss, ob nicht gerade in der Tatsache, dass die Schweiz die Interessen Deutschlands und Italiens in den beiden Ländern zu vertreten hat, ein deutlicher Fingerzeig ist für die Rolle, die der Schweiz obliegen wird, wenn es sich einmal darum handeln wird, den Frieden zu stiften.» Er sagte das mit so viel Überlegung und Bestimmtheit, dass ich den Eindruck hatte, als wolle er andeuten, Italien habe im Hinblick auf diese künftige Rolle der Schweiz die Vertretung seiner Interessen uns angeboten.
Ich sagte ihm, dass unsere Regierung sich selbstverständlich einer solchen Aufgabe im gegebenen Augenblick unterziehen werde, und wies dann noch auf die Tätigkeit des Heiligen Stuhles hin, die sich ja in gleicherweise bewege, worauf Salandra den Kopf schüttelte und sehr bestimmt erklärte: «Moi je préfère que ce soit la Suisse.»
Hinsichtlich des Zeitpunktes für eine allfällige Friedensaktion sprach er sich eher zurückhaltend aus. Er glaubt, dass der Krieg noch lange dauern werde, weil noch keine Partei ernstlich zu Boden geworfen sei und weil die Ansprüche beiderseits noch viel zu weit gehen.
Ich befragte ihn dann über das Verhältnis Italiens zu Deutschland und sagte scherzend, es wäre bald an der Zeit, dass die diplomatischen Beziehungen wieder hergestellt werden, worauf er mir antwortete: «Moi je ne demande pas la guerre contre l’Allemagne, mais après le discours de Bethmann il semblerait tout de même que l’Allemagne soit bien décidée à nous faire la guerre.» Er sagte ferner, Italien werde den casus belli dann als gegeben betrachten, wenn konstatiert werden sollte, dass deutsche Truppenteile gegen Italien kämpfen.
So viel über meine Besprechung mit Salandra!
Nachmittags hatte ich Gelegenheit, auch mit Graf Manzoni über die Situation gegenüber Deutschland zu sprechen, der mir sagte: Wir wissen wirklich gar nichts, aber Tatsache ist, dass auch bei uns der Gedanke immer mehr Wurzel fasst, dass ein Krieg mit Deutschland vermieden werden könne. Anderseits verstehen wir die Haltung Deutschlands nicht, welches fortfährt, sich hermetisch gegen uns abzuschliessen und das uns dadurch zu Gegenmassregeln zwingt. Sie halten es vielleicht für angezeigt, diese Bemerkung gelegentlich an Herrn von Romberg weiterzugeben.
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