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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 6, doc. 89
volume linkBern 1981
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001A#1000/45#748* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(A)1000/45 97 | |
Titre du dossier | Nr. 726-757. Berichte v.a. der schweizerischen Auslandvertretungen und der ausländischen Vertretungen in der Schweiz, Teil 2 (1914–1918) | |
Référence archives | B.272.14 |
dodis.ch/43364
Sooft ich Herrn Unter Staatssekretär Zimmermann aufsuchte, brachte ich das Gespräch auf die Haltung Italiens im gegenwärtigen Kriege und erhielt stets die Antwort, es werde der «platonische» Verbündete trotz allem die Neutralität bewahren; Italien werde, meinte er kürzlich, seine Absichten nicht vor Mitte Februar zu erkennen geben; offenbar wollte Herr Zimmermann damit andeuten, dass die Hauptschläge, welche zuerst in Polen, alsdann in Frankreich nach Verstärkung der deutschen Armee durch die in Russland frei gewordenen Truppen erwartet werden, im Februar stattfinden sollen und Italien bestimmen werden, seine Neutralität bzw. seine Absichten in deutlicher Weise zu erkennen zu geben. Von dem «lieben italienischen Freunde» erwartet man hier nichts mehr, denn man weiss wohl, dass Italien seine Truppen nicht mit Deutschland und dem noch mehr verhassten Österreich marschieren lassen werde. Heute sprach ich wieder mit dem Unterstaatssekretär; er wiederholte mir seine früheren Äusserungen über die Haltung Italiens, jedoch nicht ohne eine gewisse Spitze gegen dessen gegenwärtige Politik. Die Politik Italiens in Albanien sei einigermassen eine Politik «de chantage»! Allein bald darauf deutete er an, dass man hier dennoch ein feindliches Eingreifen Italiens nicht erwarte. Man scheint in der Wilhelmstrasse von der Mission des Fürsten Bülow in Rom sehr viel zu hoffen, da bekanntlich der Kaiser seinen früheren Reichskanzler nicht ohne Widerwillen mit dieser Aufgabe betraut hatte. Hatte er doch noch wenige Wochen vorher sich geweigert, ihn mit einer weit weniger wichtigen Mission zu betrauen. Die Absendung Bülows nach Rom ist somit lediglich dem Umstande zuzuschreiben, dass die Ratgeber des Kaisers ihn als die befähigste Person bezeichneten, um die Neutralität Italiens zu sichern. Hieraus ergibt sich aber, dass man der zukünftigen Haltung Italiens nicht so sicher ist, wie man sich in der Wilhelmstrasse den Anschein gibt. Viele Kenner Italiens behaupten, dass man sich in Berlin vielleicht noch keine Rechenschaft davon gibt, wie sehr alles, was deutsch und namentlich österreichisch ist, in Italien - vor allem - im Norden gehasst wird. Bülow hätte als Botschafter im Kreise von Künstlern und Gelehrten die Stimmung anderer Schichten der Bevölkerung niemals kennenzulernen die Gelegenheit gehabt. Ob er jetzt besser als früher werde wirken können, sei fraglich.
Ich erkundigte mich auch bei Herrn Zimmermann über die Lage auf dem Balkan und frug bei dieser Gelegenheit, ob ein hiesiges Gerücht, wonach Deutschland genötigt sein würde, Truppen nach Serbien zu senden, zutreffend sei. Er antwortete mir, dass davon die Rede gewesen sei, dass aber hierüber bisher keine Bestimmung getroffen worden sei. Die «klägliche» Kriegsführung Österreichs hätte eine bedauerliche Lage geschaffen: Bulgarien und die Türkei könnten wegen Mangels an Bahnverbindungen, die Österreich preisgegeben habe, nichts gegen Serbien unternehmen. Deutschland müsse allein alles machen, gegen alle Feinde kämpfen! trotzdem erklärte Herr Zimmermann am Schlüsse unserer Unterredung - wie bei allen früheren Anlässen -, die militärische Lage sei günstig. So Vertrauens- und hoffnungsvoll die Stimmung hier im Lande geblieben ist, so opferfreudig sich alle Kreise der Bevölkerung sich erweisen, so ist nicht in Abrede zu stellen, dass man in die Zukunft nicht mit jener Sorglosigkeit und Gewissheit in rasche Erfolge blickt, die zu Beginn des Krieges vorherrschten; namentlich seit den wiederholten Niederlagen des österreichischen Heeres beginnt man mit Schwierigkeiten zu rechnen, an die früher im Publikum nicht gedacht worden war. Mit der Widerstandsfähigkeit des französischen Heeres hatte niemand gerechnet; die zahllosen Trauerfälle in allen Familien, der Beginn von Epidemien, selbst die warm-feuchte Witterung drücken auf alle Gemüter. Der Umstand, dass der gegen Russland seit Wochen angekündigte grosse Schlag immer noch nicht geführt worden ist, weil die Flüsse nicht zufrieren und das Fehlen des Frostes den Russen gestattet, ihre Defensiv-Stellungen zu befestigen, macht die Bevölkerung ungeduldig und es wäre jetzt ein durchschlagender Erfolg vonnöten. Ich telegraphierte Ihnen, Herr Bundesrat, dass vom 20ten des Mts. an im Ober-Elsass weitere Verkehrsbeschränkungen für die Angehörigen neutraler Staaten in Aussicht genommen sind. Man könnte hieraus schliessen, dass die Heeresleitung eine schärfere Aktion gegen Beifort plant. Da es aber nicht ihre Gewohnheit ist, auf Heeresbewegungen wenn auch nur indirekt hinzudeuten, so nehme ich eher an, dass die gedachte Massnahme auf die in Armeekreisen immer mehr wachsende Furcht vor Spionage zurückzuführen ist. Ich benütze den gegenwärtigen Anlass, um Sie, Herr Bundesrat, zu bitten, mich gütigst entschuldigen zu wollen, wenn ich in letzter Zeit politische Berichte nicht an Sie gerichtet habe. Einmal sind Sie in militärischer Hinsicht durch den Generalstab und einige der schweizerischen Zeitungen aus der deutschen Schweiz besser als wir hier unterrichtet, alsdann ist die Zahl der täglich zu erledigenden Geschäfte, Anfragen, Besuche in solchem Umfange gestiegen, dass es schwer ist, Zeit und namentlich Ruhe zur Ausarbeitung und schriftlichen Festlegung gewonnener Eindrücke zu finden. Ich hoffe, dass, nachdem die Flut der schriftlichen und mündlichen Gesuche, welche in Folge der neuen Passordnung einen grossen Teil der Zeit des Gesandschaftspersonales gänzlich in Anspruch nimmt, nachgelassen haben wird, mich mehr mit der Mitteilung meiner Eindrücke befassen zu können.
- 1
- Lettre: E 2001, Archiv-Nr. 733.↩
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Puissance centrales (Première Guerre mondiale)