Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
9. Grossbritannien
9.1. Handel mit Kanada
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 288
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.40-05#1000/1624#57* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.40-05(-)1000/1624 3 | |
Dossier title | TRAITES HELVETICO-ETRANGERS (1911–1914) | |
File reference archive | VI.A • Additional component: Grossbritannien und Nordirland |
dodis.ch/43143 Der schweizerische Gesandte in London, G. Carlin, an den Vorsteher des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher1
Im Nachgang zu meiner Depesche vom 25.1. Mts.2 beehre ich mich zu melden, dass ich nun doch Gelegenheit hatte, gestern Nachmittag, Sir Wilfried Laurier, den Premier Kanada’s, zu sprechen.
Um ganz korrekt zu bleiben und alle britischen Empfindlichkeiten zu schonen, war ich darauf bedacht, den Fragen, die ich an Sir Wilfried stellte, den Charakter einer Erläuterung des von ihm in der «Imperial Conference» gestellten und von der britischen Regierung angenommenen Antrages zu geben. Überdies betonte ich wiederholt den ganz persönlichen und unverbindlichen Charakter unserer Unterredung. So erfuhr ich folgendes:
1.) Kanada sah sich veranlasst, zu verlangen, nicht mehr in den allgemeinen Meistbegünstigungsverträgen Grossbritanniens inbegriffen zu sein, mit Rücksicht nicht auf die Schweiz, sondern auf andere Staaten, die mir jedoch Sir Wilfried nicht nannte. Es sei also möglich, bemerkte er, dass die kanadische Regierung von der britischen gar nicht verlangen werde, dass sie den Vertrag mit der Schweiz revidiere, bzw. künde.
2.) Sollte aber dies geschehen, so schien Sir Wilfried durchaus nicht geneigt, mit der Schweiz einen reinen Meistbegünstigungsvertrag abzuschliessen. «Denn», fügte er bei, «was hätte es für einen Sinn, einerseits die Meistbegünstigungsklausel auszuschliessen, um sie andererseits in derselben Form wieder einzuführen. Wenn Kanada von der britischen allgemeinen Meistbegünstigungsklausel im schweizerischen Vertrag mit England ausgeschlossen werden sollte, so geschähe es, um von der Schweiz spezielle Tarifreduktionen zu erhalten.» Mit anderen Worten und in der erwähnten Eventualität würde Kanada nicht zu einem blossen Meistbegünstigungsvertrag, sondern nur zu einem Tarifvertrag die Hand bieten. Sir Wilfried wollte nicht anerkennen, dass die Anwendung des schweizerischen Gebrauchstarifs auf kanadische Güter eine genügende Kompensation darstelle für die Reduktionen, die die Schweiz jetzt schon geniesse, infolge namentlich des kanadischen Vertrags mit Frankreich, und in erhöhtem Masse gemessen würde, wenn einmal der Reciprozitätsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Kraft treten werde. Gerade die Aussicht auf dieses Inkrafttreten habe die kanadische Regierung zu dem bekannten Antrage in der «Imperial Conference» veranlasst. Es ist ersichtlich, dass die Amerikanische Auffassung und Deutung der Meistbegünstigungsklausel auf Kanada eingewirkt hat.
3.) Im Laufe meiner Unterredung mit Sir Wilfried konnte ich konstatieren, dass er sich von der Bedeutung und dem Umfang der schweizerischen Exportindustrie keine richtige Vorstellung machte und ich hütete mich natürlich sehr, ihn darüber auf^uklären, um ihm keinen neuen Grund zu geben, bei der britischen Regierung auf die Revision, bzw. Kündigung des 1855er Vertrags mit der Schweiz zu dringen.
4.) Soviel ist sicher: das Verlangen Kanada’s aus den britischen Handelsverträgen ausgeschlossen zu werden, entspricht weniger dem Wunsche, dem Ausland gegenüber nationalökonomisch als selbständig zu gelten, als vielmehr dem Bestreben, aus eigenen Handelsverträgen spezielle wirtschaftliche Vorteile für sich zu gewinnen.
Dies ist die gegenwärtige Sachlage. Wie ich in meinem Eingangs erwähnten Schreiben ausführte, glaube ich, dass es nun in unserem Interesse liegt, ruhig zuzuwarten und nicht durch irgendwelche Initiative zu manifestieren, welches Gewicht wir unseren Handelsbeziehungen mit Kanada beilegen3. Wir würden sonst nur Gefahr laufen, Kanada in dem Vorhaben zu bestärken, die Schweiz von dem allgemeinen Meistbegünstigungsvertrag mit Grossbritannien ausschliessen zu lassen.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2200 London 24/3.↩
- 2
- Nicht ab gedruckt. Kopie in: E 2200 London 24/3.↩
- 3
- Carlin hat in einem Schreiben vom 25. Juni 1911 an das Handelsdepartement bereits betont: [...] Einstweilen sind wir «beati possidentes», in unbestrittener und mehrmals formell anerkannter Stellung; beharren wir in ihr so lang als möglich (E 2200 London 24/3). Auch später trat Carlin für äusserste Zurückhaltung ein. Nach einer Begegnung mit A. Eichmann, Chef der Handelsabteilung, notierte er sich am 19. Februar 1912: [...] Il aurait l’idée d’envoyer M. Ritter (Ministre à Washington) au Canada, pour y sonder l’opinion. Je déconseille: 1) parce que ça pourrait rendre attentif le Canada à l’importance que nous attachons à nos relations commerciales avec ce pays et lui donner l’idée de dénoncer; 2) à cause des susceptibilités que cette mission directe, aussi inofficielle fût-elle, pourrait susciter à Londres. - J’estime qu’il vaut mieux attendre et voir le développement que prendront les choses. Il ne faut pas risquer de pousser le Canada à dénoncer. S’il dénonce, nous avons toujours encore 12 mois pour aviser. En résumé, j’estime que la mission proposée par M. Eichmann nous exposerait à des risques hors de toute proportion avec les avantages éventuels à en recueillir. M. Eichmann paraît convaincu par ces arguments (E 2200 London 24/3).↩
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