Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.2. Handelsvertragsverhandlungen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 5, Dok. 69
volume linkBern 1983
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E13#1000/38#172* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 13(-)1000/38 37 | |
Dossiertitel | Korrespondenz des Handelsdepartements mit der Schweizer Gesandtschaft in Paris (1904–1905) |
dodis.ch/42924 Der Vorsteher des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher, an den schweizerischen Gesandten in Paris, Ch. Lardy1
Nachdem bekannt geworden war, dass der französische Handelsminister einer Deputation aus den Kreisen der Seidenindustrie die Zusicherung gegeben hatte, den Gesetzesentwurf Morel2 noch vor Ostern dem Parlament zur Beratung vorzulegen, Hessen sich hier die schon seit einiger Zeit geplanten demonstrativen Vorstellungen beim Bundesrate nicht mehr zurückhalten. Vor einigen Tagen wurde uns durch die beiliegende Druckschrift3 angekündigt, dass eine aus circa 30 Mitgliedern des National- und Ständerates bestehende, elf verschiedenen Kantonen angehörende Abordnung den Bundesrat um Auskunft darüber zu ersuchen wünsche, welche Massregeln er bei einer allfälligen Erhöhung der auf Grund des Handelsabkommens vom 25. Juni 1895 bestehenden französischen Zölle für Seidenwaren zu ergreifen gedenke.
Der Bundesrat fasste nun gestern nach reiflicher Erwägung der Situation einstimmig den Beschluss, der Deputation durch den Vorsteher des Unterzeichneten Departements die Antwort erteilen zu lassen, die wir Ihnen in unserm gestrigen Telegramm zur Kenntnis brachten4. Wir legen eine Kopie dieses Telegramms bei.
Im Schosse des Bundesrates ist die von Ihnen, Herr Minister, in dieser für unsere Seidenindustrie so bedeutsamen Frage eingenommene Haltung sehr gewürdigt und begriffen worden; trotzdem hat es der Bundesrat als dringend geboten erachtet, die französische Regierung nicht länger im Zweifel darüber zu lassen, dass nach hierseitiger Auffassung das Handelsabkommen von 1895 nicht aufrecht erhalten werden könnte, wenn eine seiner wichtigsten Grundbedingungen, wie es die Seidenwarenzölle sind, dahinfallen sollte.
Wir hoffen, dass die französische Regierung in dem Beschlüsse des Bundesrates nichts anders als das aufrichtige Bestreben erkennen werde, das Abkommen von 1895 im wirtschaftlichen Interesse beider Nachbarländer fortbestehen zu lassen, und dass die gewichtigen Stimmen, die in Frankreich selbst gegen den Vorschlag Morel sich geltend machen, die Oberhand gewinnen werden.
Dem Ihnen von Herrn Chapsal in Aussicht gestellten Exposé über die Wirkung unserer neuen Zölle auf den französischen Export nach der Schweiz sehen wir mit grossem Interesse entgegen; einstweilen gestatten wir uns bloss, die Bemerkung, dass die Ansätze des künftigen schweizerischen Gebrauchstarifes im Vergleich zu den Zöllen des französischen Minimaltarifes immer noch sehr mässig und jedenfalls nicht dazu angetan sind, den Export Frankreichs nach der Schweiz in nennenswertem Masse zu beeinträchtigen. Übrigens wird unser neue Tarif neben den zum grossen Teil mässigen Erhöhungen auch eine Reihe von Zollherabsetzungen und Zollbefreiungen mit sich bringen, die nicht zum mindesten auch den betreffenden Industrien und der Landwirtschaft Frankreichs zum Vorteil gereichen werden.
In keiner Weise gerechtfertigt erschiene uns der Vorwurf, dass die Schweiz durch die Erhöhung ihres Tarifes den ersten Anstoss gegen das Abkommen mit Frankreich getan habe. Der neue Generaltarif vom 10. Oktober 1902 hat in erster Linie den Charakter eines Kampftarifes, einer wirksameren Waffe für die Handelsvertragsunterhandlungen. Wie sehr derselbe diesem Zwecke gedient hat, geht aus dem mit Deutschland vereinbarten neuen Konventionaltarif mit aller Deutlichkeit hervor, und es sollte in Frankreich mehr als es der Fall zu sein scheint, in Berücksichtigung gezogen werden, dass die Konzessionen, die wir Deutschland durch weitgehende Zugeständnisse auf unserm neuen Generaltarif abgerungen haben, in ganz bedeutendem Masse auch der französischen Industrie zu gute kommen werden. Wir müssen daher die von Herrn Chapsal Ihnen gegenüber aufgestellte Behauptung, dass die neuen schweizerischen Vertragstarife mit Italien und Deutschland absichtlich zum Schaden Frankreichs kombiniert worden seien, mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Es ist ja selbstverständlich und begreiflich, dass unsere Unterhändler einzig die Aufgabe hatten, so weit als möglich günstigere Bedingungen für unsern eigenen Export zu erlangen und gleichzeitig im Rahmen der Möglichkeit auf einen etwas bessern Schutz der einheimischen Produktion hinzuarbeiten; von einer absichtlichen, vorbedachten Kombination der Tarife zum Nachteil Frankreichs kann aber nicht gesprochen werden. Es ist uns unbegreiflich, wie der Chef des französischen Aussenhandels aus unsern Abmachungen über die schweizerischen Zölle auf Wein, Vieh, Öl etc. eine solche ausgesprochene Absicht herzuleiten vermag. Italien hatte schon bisher für seine Weinspezialitäten (Marsala etc.) eine besondere Vergünstigung hinsichtlich der Alkoholgrenze; die Viehzölle sind so beschaffen, dass die Konkurrenzbedingungen für alle Länder, die Schlachtvieh nach der Schweiz liefern, die nämlichen sind, und die Gewichtsgrenze für die zollfreien Speiseöle, die Hrn. Chapsal zu einer besondern Bemerkung Anlass gibt, wird unter der Herrschaft des neuen Tarifes genau die gleiche sein, wie nach dem jetzigen Gebrauchstarif, nämlich 10 kg.
Es ist uns sehr erwünscht, das erwähnte Exposé so bald als möglich zu erhalten, damit wir die in demselben enthaltenen Ausführungen, soweit sie mit den tatsächlichen Verhältnissen im Widerspruche stehen, richtig stellen können, soweit dies nicht schon durch Sie geschehen wird.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 13 (B)/186.↩
- 2
- Der Antrag Morel vom 15. November 1904 sah eine Erhöhung der französischen Zölle für Seidengewebe auf Fr. 7.50 pro Kilogramm vor (bisher Fr. 2.-für schwarze, bzw. Fr. 2.40 für weisse und farbige Seide).↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Die Antwort des Bundesrates vom 30. März 1905 an die Deputation lautete: Wenn gegen alles Erwarten der von der Zollkommission der französischen Kammer angenommene Vorschlag des Herrn Abgeordneten Morel Gesetzeskraft erlangen, oder wenn in irgendwelchem Masse eine Erhöhung der auf dem Handelsabkommen vom 25. Juni 1895 beruhenden französischen Zölle für Ganzseidenwaren eintreten sollte, so würde der Bundesrat ohne Zögern die ihm geeignet erscheinenden Gegenmassnahmen anordnen (E 1004 1/219).↩
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