Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
14. Österreich-Ungarn
14.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 60
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#374* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 86 | |
Dossier title | Korrespondenz des Handelsdepartements mit der Schweizer Gesandtschaft und der schweizerischen Vertragsdelegation in Wien; Anträge des HD an den Bundesrat; schweizerische und österreichisch-ungarische Anträge betr. die Vertragsrevision; Bundesratsbeschlüsse; Notizen (1905–1905) |
dodis.ch/42915 Der schweizerische Bauernverband an den Bundesrat1
[...]2
Wir benützen auch den Anlass, um Sie, hochgeachtete Herren, dringend zu ersuchen und die Hoffnung und Erwartung auszusprechen, es möchten bei den kommenden Handelsverträgen die im italienisch-schweizerischen und deutschschweizerischen Handelsverträge festgesetzten Zölle für landwirtschaftliche Produkte als unterste Grenze angesehen werden.
Durch die Verträge mit Deutschland und Italien in Verbindung mit unseren in Kraft bleibenden Meistbegünstigungsverträgen und den Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten sind die Absatzverhältnisse für 4/5 unseres Exports für eine neue Periode gesichert. Es bleiben im wesentlichen noch die drei Staaten Österreich-Ungarn, Frankreich und Spanien, die ca. 1/5 unseres Exportes (ca. 170 Mill.) aufnehmen und uns für ca. 300 Millionen Franken Waren liefern. Die handelspolitische Situation der Schweiz ist deshalb nunmehr eine sehr starke geworden. Selbst ein Zollkrieg mit diesen drei Staaten zusammen hätte für sie weniger zu bedeuten als ein Zollkrieg mit Deutschland allein. Unter diesen Umständen kann es für uns keinem Zweifel unterliegen, dass es nur einen festen Willen braucht, um auch in den folgenden Verträgen, die landwirtschaftlichen Zölle der zwei ersten Verträge zur Annahme zu bringen.
Von Seite der Gegner des Zolltarifes ist sowohl in der Bundesversammlung als auch in der Presse darauf hin gearbeitet worden, es sollten die landwirtschaftlichen Zölle in den folgenden Verträgen noch herabgesetzt werden. Dem gegenüber erlauben wir uns, nochmals an folgendes zu erinnern:
Der Landwirtschaft und ihrer Organisation ist es in erster Linie zu verdanken, dass ein kräftiger Kampftarif zustande gekommen ist. Die Landwirtschaft hat den Hauptteil der annehmenden Stimmen am 15. März 19033 gestellt und so den Tarif zur Annahme gebracht. Dem tiefen Eindruck, den die landwirtschaftliche Bewegung und auch die Wahl eines spezifisch landwirtschaftlichen Wortführers als Unterhändler auf das Ausland machte, ist es zuzuschreiben, dass sich Italien von Anfang an, um seinen landwirtschaftlichen Export zu begünstigen, auf erhebliche industrielle Konzessionen bereit machte und der neue Vertrag für unseren Export relativ so günstig ist. Gerade solche Gegenden, in denen die industrielle Bevölkerung geschlossen oder doch in grosser Zahl den Tarif verworfen hat (Genf, welscher Jura, St. Gallen, Basel) erhalten durch den Vertrag erhebliche Vorteile.
Wenn wir uns erlauben, an diese Tatsachen zu erinnern, so möchten wir die Mitarbeit zahlreicher nicht landwirtschaftlicher Tariffreunde und gewisse industrielle und gewerbliche Kreise nicht herabsetzen. Aber man wird nicht bestreiten können, dass keine andere Erwerbsgruppe so geschlossen und so machtvoll für den Tarif eingestanden ist wie die Landwirtschaft. Sie hat dies im allgemeinen Landesinteresse getan, aber auch in der bestimmten Erwartung, bei den Handelsverträgen in gerechter Weise berücksichtigt zu werden.
Mit dem Ergebnisse des italienisch-schweizerischen Handelsvertrages kann sich die Landwirtschaft im allgemeinen unter den bekannten Vorbehalten zufrieden geben. Der Vorteil, den der Vertrag unserem landwirtschaftlichen Exporte bringt, wird allerdings weit mehr als aufgewogen durch die schwere Einbusse, welche die Landwirtschaft im deutschen Handelsverträge auf sich nehmen muss. Auch die Verbesserungen, welche für unseren Export in den folgenden Verträgen etwa noch in Aussicht stehen, vermögen diesen grossen und schweren Nachteil nicht mehr auszugleichen. So bleibt denn für die Landwirtschaft nichts übrig als die Hoffnung, durch höhere Schutzzölle eine Verbesserung ihrer Absatzverhältnisse zu erhalten. Der italienische Handelsvertrag hat auch hier auf vielen und gerade den wichtigsten Positionen Ansätze gebracht, die erheblich unter dem stehen, was die Landwirtschaft in der Enquête zur Vorbereitung der künftigen Handelsverträge4 als unterste Grenze vorgeschlagen hat. Sollte Ihr nun aber auch dieses noch teilweise genommen werden, so kommt die Landwirtschaft immer mehr in die Rolle desjenigen, der den anderen die heissen Kastanien aus dem Feuer geholt hat. Die Lage der Landwirtschaft würde um so schwieriger, als die neuen Verträge uns wesentliche Erhöhungen der industriellen und gewerblichen Schutzzölle bringen.
Wir haben die Überzeugung, dass unsere handelspolitische Kraft stark genug ist, um das in Italien erreichte nunmehr definitiv fest zu halten. Wir haben auch die Hoffnung und das Vertrauen, der h. Bundesrat werde die Zumutungen, die ihm von Seite derjenigen, die ihm einst die Waffen für die Handelsverträge versagen wollten, gemacht werden, energisch zurückweisen und der Landwirtschaft ihren wohlverdienten Anteil nicht noch mehr schmälern.
Die Konsequenzen einer neuen Enttäuschung der Landwirtschaft in der Handelspolitik dürfen nicht als leichte angesehen werden und würden sich auf vielen Gebieten unseres öffentlichen Lebens geltend machen. Wie soll in den kommenden Jahrzehnten eine starke Handelspolitik möglich sein, wenn die Bauersame das Vertrauen verloren hätte? Man würde die Landwirtschaft geradezu zwingen, inskünftig jeden Tarif zu verwerfen, der nicht auf dem Systeme des Doppeltarifes mit Minimalansätzen aufgebaut ist. Nicht nur im Hinblick auf unsere Landwirtschaft, sondern auch im Interesse der ruhigen Entwicklung unserer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse wünschen wir, es möchte unserem Lande die tiefe Erregung erspart werden, welche eintreten müsste, wenn die weiteren Verträge benützt würden, um, nachdem Handel und Industrie erhielten, was sie wollten, der Landwirtschaft das Erreichte wieder teilweise zu nehmen. Was die Konsumenten und die Tarifgegner billigerweise erwarten dürften, haben sie durch die grossen Reduktionen auf den wichtigsten Positionen des Tarifes mehr als erhalten. Jede weitere «Korrektur zu Gunsten der Konsumenten» muss die Landwirtschaft als unbillige Zurücksetzung empfinden.
Wir ersuchen Sie deshalb höflichst und dringend, es möchte den Unterhändlern die bindende Instruktion gegeben werden, in allem Wesentlichen die landwirtschaftlichen Positionen, wie sie aus den Verträgen mit Italien und Deutschland hervorgegangen sind, als Minimalgrenze zu betrachten unter welche nicht herabgegangen werden soll5.
- 2
- Begründung eines Antrags, dass ausgepresste frische Traubenteile, welche noch zur Weinbereitung verwendet werden könnten, als Keltertrauben zu verzollen seien.↩
- 3
- Volksabstimmung vom 15. März 1903 über das Bundesgesetz vom 10. Oktober 1902 betreffend den schweizerischen Zolltarif.↩
- 5
- Am 11. Februar 1905 beschloss der Bundesrat: Da der schweizerische Handelsverkehr mit Österreich-Ungarn, ähnlich wie derjenige mit Italien, sich zum grossen Teile auf landwirtschaftliche Artikel erstreckt, wird auf den Antrag des Handclsdepartements für die Handelsvertragsunterhandlungen mit Österreich-Ungarn, neben den Herren Nationalrat Künzli in Ryken und Nationalrat Alfred Frey in Zürich, Herr Dr. E. Laur, Sekretär des schweizerischen Bauernverbandes in Brugg, als Unterhändler ernannt (E 1004 1/219). Das Schreiben des Bauernverbandes vom 16. Januar 1905 lag dem betreffenden Antrag des Handelsdepartementes bei. ln einem nicht abgegangenen Antrag vom 7. Dezember 1904 hatte das Handelsdepartement bereits Dr. Laurs Ernennung zum Unterhändler vorgeschlagen.↩