Language: German
18.8.1904 (Thursday)
Antrag des ausserordentlichen Stellvertreters des Vorstehers des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, E. Müller
Proposal (P)
Die schweizerischen Delegierten sollen zunächst nach ihrem besten Ermessen handeln. Bemerkungen zu zentralen Positionen. Eichmann soll ebenfalls zum Delegierten ernannt werden.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutsches Reich
6.2. Handelsvertragsverhandlungen
How to cite: Copy

Printed in

Herbert Lüthy, Georg Kreis (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 39

volume link

Bern 1983

more… |
How to cite: Copy
Cover of DDS, 5

Repository

dodis.ch/42894
Antrag des ausserordentlichen Stellvertreters des Vorstehers des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, E. Müller1

Infolge des vom Bundesrate am 13. dies gefassten Beschlusses2, die Handelsvertrags-Unterhandlungen mit Deutschland, dem Wunsche der k. Regierung gemäss, wieder aufzunehmen, haben die Herren Unterhändler mit dem Chef der Handelsabteilung über die Erweiterung unserer bisher offerierten Konzessionen und die Reduktion unserer bisherigen Forderungen vom 15. bis 17. dies Beratung gepflogen. Es wurden für eine Reihe von Positionen mehr oder weniger bedeutende neue Zugeständnisse an Deutschland in Aussicht genommen. Die zulässige äusserste Limite wird jedoch noch in keinem der ausschlaggebenden Punkte berührt. Da über den Grund der deutscherseits bestehenden Geneigtheit zum Entgegenkommen noch grosse Ungewissheit besteht und mit der deutschen Delegation auch zunächst der zu befolgende Unterhandlungsmodus vereinbart werden muss, bevor ein bestimmtes Programm aufgestellt wird, wünschen die Herren Unterhändler, dass ihnen zur Zeit noch keine neuen bindenden Instruktionen gegeben, sondern die Vollmacht erteilt werden möchte, zunächst nach ihrem besten Ermessen zu handeln. Der Umstand, dass die Unterhandlungen in nächster Nähe stattfinden, wird den Herren Unterhändlern gestatten, sich mit der Delegation des Bundesrates und den Interessenten ins Einvernehmen zu setzen und dem Departemente bindende Instruktionen zu beantragen, sobald eine Orientierung über die deutscherseits bestehenden Tendenzen stattgefunden hat und ein Urteil über das Mass der zu machenden äussersten Zugeständnisse möglich ist.

Wir haben schon in unserm Antrage vom 26. September 19033 über die Instruktionen für die erste Lesung hervorgehoben, dass bei den Unterhandlungen mit Deutschland keine Konzessionen in Betracht kommen, die für die Bundesfinanzen von grosser Bedeutung wären. Mit Bezug auf Wein in Fässern hat Deutschland im wesentlichen nur eine Zollermässigung für Weisswein bis 13 Grad, mit Ausnahme von Süss- und Südweinen, verlangt, und zwar nur eine Limitierung auf 10 Franken, welcher Ansatz nun unbedenklich gewährt werden kann, nachdem wir mit Italien für Wein überhaupt tiefer gegangen sind. Was den Wein in Flaschen anbelangt, wünscht Deutschland, dass der Unterschied des jeweiligen Gebrauchszolles gegenüber demjenigen für Wein in Fässern nicht mehr als 15 Franken betrage. Nach dem neuen Vertragszoll für Italien würde dies 2 Fr. weniger ausmachen als der bisherige Zoll für Wein in Flaschen (25 Fr.). Die Unterhändler beabsichtigen daher, anstatt des gewünschten Verhältnisses, diesen fixen Zollansatz zu offerieren, der auch im neuen Vertrag mit Italien figuriert.

Für Bier hat Deutschland den alten Vertragszoll von 4 Fr. verlangt. Der neue Generalzoll beträgt 6 Fr. Der Instruktion des Bundesrates entsprechend, ist bis jetzt ein Ansatz von 5 Fr. offeriert worden, in der Meinung, dass Österreich eine weitere Reduktion gewährt werden könnte. Die schweizerischen Bierbrauer haben jedoch kürzlich darauf hingewiesen, dass künftig das Bier wahrscheinlich in Cysternen zur Einfuhr gelangen werde, wodurch die Tara ausserordentlich vermindert und eine Zollerhöhung mehr als ausgeglichen würde. Obwohl Deutschland sehr auf der Erneuerung des status quo insistieren wird, dürfte es aus dem genannten Grunde schwer halten, seinem Wunsche zu entsprechen. Möglicherweise wird der Zoll überhaupt nicht unter 5 Fr. ermässigt werden können, sofern nicht mit Bezug auf die Einfuhr in Cysternen ein gewisser Mehrzoll vereinbart wird.

Hinsichtlich des Zuckers beschränkt sich das deutsche Tarifbegehren auf die Festsetzung eines Maximums von Fr. 1,50 als Unterschied zwischen dem Zoll für Brodzucker und demjenigen für geschnittenen oder gepulverten Zucker. Nach unserm neuen Tarif beträgt die Differenz 2 Franken und es wird daran einstweilen festgehalten werden. Neben dem Zoll kommt die Frage des von Deutschland gewünschten Beitritts der Schweiz zur internationalen Zuckerkonvention in Betracht. Da uns seither die belgische Regierung im Aufträge der internationalen Kommission mit Zollzuschlägen für Zucker und gezuckerte Produkte (condensierte Milch, Chokolade, etc.) gedroht hat, sofern wir vor dem Zusammentritt der Kommission im Oktober nicht das Begehren stellen, in die Konvention einzutreten, wird das Handelsdepartement mit Bezug auf diese Frage dem Bundesrate besondern Antrag stellen4.

Die von Deutschland geforderte Zollreduktion für Mehl (alter Zoll von 2 Fr. anstatt des neuen von Fr. 2,50) werden die Herren Unterhändler im Sinne der bisherigen Instruktion ablehnen.

Was das Vieh anbetrifft, so kommt Deutschland bei der Einfuhr in die Schweiz nur mit Bezug auf Pferde in grösserem Masse in Betracht. Diese Position ist durch Bindung des neuen Zolles von 10 Fr. bereits erledigt.

Für gesägtes Holz müssen die Konzessionen, soweit solche überhaupt gemacht werden können, für Österreich-Ungarn reserviert werden, welches Land dabei hauptsächlich interessiert ist. Für Rohholz können Deutschland hingegen einige Zugeständnisse gemacht werden.

Im übrigen betreffen die deutschen Forderungen in der Hauptsache Textilien, Chemikalien, Metallwaren und Maschinen, Leder und Papier. Die Herren Unterhändler haben hiefür zahlreiche neue Konzessionen ins Auge gefasst, deren Mass jedoch von den deutscherseits zu machenden Offerten abhängig ist. Im allgemeinen werden sie, in prinzipieller Übereinstimmung mit den ersten Instruktionen des Bundesrates, die Tendenz verfolgen, zu Gunsten unserer Industrie möglichst auf einer Erhöhung der bisherigen Vertragszölle zu bestehen. Eine verbindliche Grenze kann zurzeit aus den bereits angegebenen Gründen nicht wohl beantragt werden.

Unsere Forderungen betreffend den deutschen Tarif werden vorderhand, schon aus taktischen Gründen, in der Hauptsache aufrecht erhalten werden müssen, wenn auch gewisse Modifikationen auf Grund der mit den Interessenten gepflogenen Unterhandlungen zulässig sind. Im wesentlichen fassen sich unsere Begehren zusammen in der Aufrechterhaltung des status quo für Uhren, Vieh und Obst, Zollerleichterungen für Käse, Baumwollgarn und Baumwollgewebe, Stickereien, Seidenwaren und Maschinen, wobei es sich allerdings als äusserst schwierig erweisen wird, Deutschland mit Bezug auf seinen Export nach der Schweiz zur Annahme der von einem Teil unserer Industrien gewünschten Zollerhöhungen zu bewegen.

Was den Text des Vertrages betrifft, so ist zunächst in Erinnerung zu bringen, dass die von Deutschland gestellten Begehren der Erweiterung des Erfindungsschutzes in der Schweiz, der Eingehung eines Zollkartells, der Bindung unserer Tarazuschläge für unverpackt eingeführte Waren und unseres Beitritts zur internationalen Zuckerkonvention von der k. Regierung infolge der grundsätzlichen Verwahrung des Bundesrates als solche Punkte bezeichnet worden sind, an denen ihres Erachtens der Abschluss eines neuen Vertrages nicht scheitern werde5. Immerhin wird die deutsche Delegation mit Nachdruck auf diese in der ersten Lesung behandelten Punkte zurückkommen und, namentlich mit Bezug auf den Patentschutz, auf eine beförderliche Behandlung der Gesetzesvorlage in den eidgenössischen Räten dringen. Unsere Unterhändler haben in dieser Hinsicht bei der ersten Lesung Erklärungen abgegeben, welche die deutsche Regierung zu der Annahme berechtigten, dass der fragliche Gesetzesentwurf spätestens in der Sommersession der Bundesversammlung zur Erledigung gelangen werde. Dieselben sind nun der Ansicht, dass jedenfalls im Dezember zur Beratung geschritten und dass die Präsidenten der Kommissionen sofort brieflich veranlasst werden sollten, das nötige vorzukehren.

Hinsichtlich des Zollkartells und der Tarazuschläge wird Deutschland voraussichtlich auf seine Begehren schliesslich verzichten.

Als weitere Textpunkte von Bedeutung sind zu erwähnen: Die Einschränkung des Stickereiveredlungsverkehrs mit Sachsen - ein deutsches Postulat, welches im Interesse unserer Industrie abgelehnt werden muss; ferner die Bewilligung des Mitführens von Waren an deutsche Bijouteriereisende, welches Begehren in bedingungsweisen Zusammenhang gebracht werden kann mit der von uns gewünschten ausdrücklichen Anerkennung des schweizerischen Kontrollstempels auf Uhrenschalen und mit der Annahme eines von unserer Uhrenindustrie formulierten neuen Begehrens betreffend Gestattung der Feingehaltsbezeichnung von 8 Karat.

Endlich ist noch die Schiedsgerichtsklausel zu erwähnen, welche von unserer Seite vorgeschlagen wurde und von Deutschland vielleicht acceptiert werden wird, nachdem auch zwischen ihm und Italien eine ähnliche Klausel vereinbart worden ist, die aber allerdings nur mit Bezug auf Tariffragen obligatorischen Charakter hat.

Anlässlich der am 11. dies stattgehabten Konferenz der Delegation des Bundesrates mit unseren HH. Unterhändlern betreffend die Wiederaufnahme der Handelsvertragsunterhandlungen mit Deutschland und Kündung des Handelsvertrages mit Spanien ist u. a. der Wunsch geäussert worden6,

dass auch der Chef der Handelsabteilung zu den Unterhandlungen mit Deutschland delegiert werden möchte; ferner wird es für nötig erachtet, dass nebst Herrn Dr. Schuler, der den bisherigen Unterhandlungen als Sekretär beiwohnte, in gleicher Eigenschaft auch Herr Thomann, Sekretär der Handelskanzlei, zugezogen werde, da es diesmal an uns ist, das Protokoll zu führen und die Drucklegung der Unterhandlungsvorlagen zu besorgen.

Im Sinne der vorstehenden Auseinandersetzungen beantragen wir:

1. Es sei zu den Unterhandlungen mit Deutschland nebst den Herren Nationalräten A. Künzli und A. Frey, von amtswegen auch der Chef der Handelsabteilung, Herr Dr. A. Eichmann, zu delegieren und bevollmächtigen; ferner sei den Unterhändlern als Sekretär neben Herrn Dr. Schuler auch Herr Kanzleisekretär P. Thomann beizugeben;

2. Es sei den Unterhändlern zunächst die Vollmacht zu erteilen, hinsichtlich der Erweiterung der bisherigen Konzessionen und Einschränkung unserer Forderungen nach bestem Ermessen zu handeln, bis es ihnen möglich ist, die Aussichten für den Erfolg der Unterhandlungen zu überblicken und hinsichtlich der äussersten Zugeständnisse in den Hauptpunkten bestimmte Instruktionen zu beantragen;

3. Es sei das eidg. Justizdepartement zu ersuchen, sich mit den Präsidenten der Kommissionen, und zwar zunächst mit denjenigen der ständerätlichen Kommission, ins Einvernehmen zu setzen, damit die Gesetzesvorlage betreffend die

Ausdehnung des Erfindungsschutzes in der nächsten Dezembersession der Bundesversammlung zur Behandlung gelange7.

1
E 13 (BJ/159. Handelsvertrags-Unterhandlungen mit Deutschland.
2
Vgl. Nr. 37.
3
E 13 (B)/158.
4
Der schweizerische Beitritt zur Zuckerkonvention erfolgte am 1. September 1905. Vgl. EEVD, KW, Zentrale, 1914-1918, 73-76. Botschaft vom 22. Juni 1906, in: BBl 1906, IV, S. 88 ff; Konventionstext in: AS 1906, NF 22, S. 387 ff.
5
Verbalnote vom 2. Februar 1903 (E 13 (B) /158).
6
Von Nationalrat Frey.
7
Vom Bundesrat am 20. August 1904 gutgeheissen (E 1004 1/217).