Classement thématique série 1848–1945:
I. SITUATION INTERNATIONALE
1. Alliances et relations entre puissances
1.2. Triple-alliance
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 4, Dok. 404
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#741* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 337 | |
Dossiertitel | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 55 (1902–1902) |
dodis.ch/42814
Die Erneuerung des Dreibundes hat in französischen Kreisen eine gewisse Emotion hervorgerufen, weil seit Monaten die fortwährende Pressecampagne zugunsten der Freundschaft mit Italien die Hoffnung erweckt hatte, der neue italienische König werde sich von den Centralmächten frei machen. In dieser Hoffnung haben dann die französischen Capitalisten sich wieder um die italienische Rente interessiert und dieselbe in die Höhe getrieben.
Um dieser Enttäuschung entgegenzutreten, hat sich Delcassé vorgestern Abend in der Kammer interpellieren lassen und in der bündigsten Form erklärt, dass auf seine Anfrage hin Italien versichert habe, Italien sei weder direkt noch indirekt verpflichtet, eine antifranzösische Politik durch die Allianz zu treiben; weder in einer diplomatischen Form noch durch militärische Abmachungen oder sonstwie habe sich Italien verpflichtet, zum Werkzeug oder Helfer einer gegen Frankreich agressiven Politik zu werden. Ferner hat Delcassé die für mich wichtigere Erklärung gegeben, dass das Mittelmeer, welches eine Zeit lang Italien und Frankreich von einander entfernt hätte, gegenwärtig ein Annäherungsgrund geworden sei, und die beiden Länder vereinigen müsse.
Diese Behauptung hat natürlich eine Spitze gegen England und der hiesige deutsche Botschafter sagte mir, dass nach seiner Überzeugung, Delcassé die Wahrheit gesagt habe, indem die frühere Intimität Italiens mit England entschieden im Abnehmen begriffen sei; Radolin glaubt wirklich, dass im Mittelmeer die franco-italienische Politik die anglo-italienische ersetzt habe.
Sonderbarerweise hat am gleichen Abend im englischen Unterhaus der Vertreter des Auswärtigen Amtes ebenso energisch wie Delcassé behauptet, er habe von Italien die bestimmtesten Zusicherungen erhalten, dass nichts an der Intimität der beiden Länder geändert sei und dass höchst wahrscheinlich die britischitalienische die französisch-italienische überleben werde.
Daraus kann man den Schluss ziehen, dass für ihre maritime Politik die Italiener rechts und links, in London wie in Paris mit guten Worten nicht sparsam sind; es ist übrigens begreiflich, dass eine Annäherung zwischen dem Quirinal und der französischen Republik dadurch ermöglicht worden ist, dass Frankreich sich jetzt immer mehr in die kirchenfeindliche Politik wirft und Italien immer weniger eine Intervention zugunsten des Papstes zu befürchten hat.
Was die Erneuerung des Dreibundes betrifft, so scheint mir, dass Berlin und Wien auf den südlichen Allierten nicht so fest bauen wie auf das Evangelium. Der deutsche Botschafter sagte mir ganz offen, «ich traue dem Italiener nur, wenn ich mit den Augen sehe, dass das, was er mir sagt, wahr ist; da der Dreibund gegen niemanden gerichtet ist, so ist’s uns in Berlin ganz einerlei und sogar ganz recht, wenn die Italiener auf gutem Fuss mit den Franzosen stehn; dagegen ist es nicht zu leugnen, dass die Slaven, und zwar zahlreiche Slaven, um den neuen italienischen König intrigieren; was die Leute eigentlich beabsichtigen, was Italien für Hintergedanken auf Albanien hat, ist uns nicht klar und ist den Leuten wahrscheinlich selbst nicht klar».
Der österreichische Botschafter erklärte mir neuerdings, dass man in Wien ganz darauf gefasst sei, trotz der Allianz die Italiener im Rücken zu haben, wenn Österreich in irgend einem ernsten Kampf im Osten beschäftigt werden sollte, was die Intrigen der Montenegriner und anderer Slaven in Rom betrifft, so sei es unzweifelhaft, sei aber eine alte Geschichte, die immer da gewesen ist; den Leuten kann man noch weniger als den Italienern trauen; der alte Fürst von Montenegro sei ein Bettler, der nicht nur in Petersburg die Hand vorstrecke, sondern auch in Wien; man habe dort entdeckt, dass der angebliche arme Teufel nicht unbedeutende Summen auf der Bank in London hinterlegt habe; dessen Nebenbuhler König Milan, im Momente wo er österreichische Politik trieb, bettelte auch einige Millionen in Petersburg. Solange Russland keinen Krieg mit Österreich machen wolle, und das ist jetzt Tatsache, solange könne man diese Intrigen einfach überwachen aber nicht ernst nehmen; schon vor 1866 habe Crispi, ein angeblicher Nachkomme von Albanesen, sich in derartige Intrigen verflochten. Summa summarum, in Wien lege man der Allianz mit Italien nur den Wert bei, den die Umstände im gegebenen Fall es mit sich bringen werden.
Vor vielen Jahren, ich glaube es war anno 1879, zur Zeit der ersten deutschösterreichischen Allianz, sagte mir einer der geschicktesten italienischen Diplomaten, Ressmann, dass die Pflicht Italiens sei, sich mit niemanden zu verbinden, um sich im günstigen Moment auf die Seite des Stärkeren zu stellen; gegenwärtig scheint Italien sich mit allen zu verbünden, wahrscheinlich mit dem gleichen Hintergedanken; das kommt nicht ganz aufs Gleiche heraus, weil das Zutrauen in einen Staat «qui a des préférences pour tout le monde», nicht steigt. Es scheint mir auch, dass den Italienern jetzt noch wie vor 20 Jahren immer der Gedanke der Auflösung der österreichischen Monarchie vorschwebt; die italienische Diplomatie will immer den anderen ihre eigenen Hintergedanken zuschieben; die Italiener glauben nicht, dass Bismark und seine Nachfolger nicht den Wunsch haben, Österreich zu annectieren; daraus ziehen sie den Schluss, dass man schliesslich in Russland und Deutschland für eine teilweise Zerstückelung Österreichs sich einigen kann. Ich halte diese Politik für grundfalsch, weil das deutsche Reich das grösste Interesse hat, die Zahl der Katholiken in Deutschland nicht zu vermehren, und das Schielen der Bayern und Württemberger nach Wien nicht wieder aufleben zu lassen.
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Tags
Allianzen und Beziehungen anderer Staaten (1893–1903)