Classement thématique série 1848–1945:
III. POLICE DES ÉTRANGERS
2. Réfugiés politiques et droit d’asile
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 4, Dok. 294
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#96* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 51 | |
Dossiertitel | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 13 (1897–1899) |
dodis.ch/42704
Über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags betreffend den Antrag der Centrums-Fraction auf Aufhebung de Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872, und die Anträge eines Theils der conservativen und der freisinnigen Fraction auf Aufhebung nur des § 2 des vorgenannten Gesetzes beehre ich mich, Ihnen folgendes zu berichten:
[...]2Anlässlich der zweiten Beratung des Reichstags über die oben besprochenen Anträge, am 25. Januar d. J., hat der Wortführer des Centrums, Der Abgeordnete Dr. Lieber, in seiner Erregung bekanntlich sich zu dem Ausdrucke verleiten lassen, «das Land» – er sprach von der Schweiz, – welche von dem Vorredner, dem Würtembergischen Abgeordneten Dr. Hieber, citiert worden war, – «in dem Königs- und Frauenmörder sich herum treiben dürfen, werde wohl auch für die Zulassung und Nichtzulassung des Jesuiten-Ordens kein Beispiel für das Deutsche Reich abgeben.» (Conf. Amtlicher stenographischer Bericht, pag. 428, ) in welchem, nach dieser Stelle, die Bemerkung «Beifall in der Mitte. Bewegung links» enthalten ist. Diese «Bewegung links» war also das Einzige, was der Reichstag bei der zweiten Lesung an Protest gegen die an die Adresse der Schweiz gerichteten Invectiven des Dr. Lieber zu leisten vermochte und es fand der Präsident, Graf von Ballestrem (allerdings Fractionsgenosse von Dr. Lieber) auch nicht ein einziges Wort, um das fragliche Auftreten des letzteren zu rügen.
Mir war dieser Vorfall nicht entgangen; da ich aber glaubte annehmen zu dürfen, die dritte Lesung werde uns irgendwelche Genugthuung bringen, wollte ich bis dahin mit meiner Berichterstattung zuwarten und habe ich mich dann damit begnügt, Ihnen einfach, wie alle Tage, den betreffenden stenographischen Sitzungsbericht der «National-Zeitung» zu übermitteln.
Bei der dritten Lesung, am 1. d. Mts., wurde dann dieses Thema in der That wieder aufgegriffen und zwang der Abgeordnete Rickert (von der freisinnigen Vereinigung) dem Dr. Lieber eine Erklärung des Inhalts ab, «dass ihm nichts ferner gelegen habe, als das schweizerische Volk beleidigen zu wollen.» Das war aber alles, und sprang dann lieber auf das Asylrecht und auf die Redefreiheit des Reichstags über, wobei er von dem conservativen Abgeordneten Limburg-Stirum mit Nachruck secundiert wurde. Im weitern Verlaufe der Debatte sah sich zwar auch ein Mitglied der nationalliberalen Fraction, Dr. Sattler, veranlasst, einige Worte des Bedauerns über diesen Vorfall einzuflechten, wobei er aber ziemlich matt und sehr vorsichtig war. Nur die Abgeordneten Rickert und dann ganz besonders Bebel, von der socialdemokratischen Fraction, gingen bei der Abwehr des Lieberschen Angriffes gegen die Schweiz, wie man zu sagen pflegt, «fest ins Zeug», welcher Umstand wahrscheinlich allein schon genügt hätte, die Conservativen zu veranlassen, die Höflichkeits-Pflichten gegenüber der Schweiz, als einem befreundeten Nachbarstaate ausser Acht zu lassen, und gegen unser Asylrecht, das für sie in der That ein Schreckgespenst ist, Einspruch zu erheben. (Conf. Amtlicher stenographischer Bericht. 23. Sitzung vom 1. Februar 1899. pag. 569–574.)3
In der Schweiz wird es aufgefallen sein, dass uns auch von seiten der Kaiserlichen Regierung keinerlei Satisfaction zu Theil geworden ist. Demgegenüber muss ich hervorheben, dass bei Anlass derartiger Initiativ-Anträge die Regierungs-Bänke völlig unbesetzt sind und dass dies auch in der Sitzung vom 25. Januar bei der zweiten Lesung der in Frage liegenden Anträge wieder der Fall war. Bis dahin wäre also ein Grund nicht vorhanden, das Stillschweigen der Regierung zu bemängeln. Dass aber von dieser Seite auch in der Folge, weder mündlich, anlässlich der dritten Lesung, oder in irgend einer officiösen Presse-Kundgebung nicht ein Wort des Bedauerns zu erkennen gegeben worden ist, dürfte doch eher als befremdend und für uns wenig verbindlich gekennzeichnet werden und möchte ich Sie diesbezüglich auf das in dem nachstehenden Ausschnitt aus der «Frankfurter Zeitung» vom 3. Februar d.J. No. 34.4 erstes Morgenblatt, enthaltene Kriterium aufmerksam machen, welches nach meinem Dafürhalten, namentlich was das Verhalten des H. von Biilow betrifft, volle Beachtung verdient.
Speziell hierüber mich an massgebender Stelle vernehmen zu lassen, habe ich aber sorgsam vermieden, da ich weder dazu beauftragt war, noch einen derartigen Schritt überhaupt als opportun hätte erachten können. Dagegen glaubte ich sehr wohl da und dort, bei meinen politischen Bekannten, worunter auch einige Vortragende Räthe des Auswärtigen Amts und verschiedene Mitglieder des deutschen Bundesraths meinem Befremden darüber Ausdruck geben zu dürfen, dass die Lieberschen Ausfälle im Reichstage in so dürftiger Weise abgethan worden seien, worauf ich dann aber immer die ausweichende Antwort erhielt, der Abgeordnete Lieber werde überhaupt so wenig ernst genommen, dass man auch seinen gedachten Recriminationen nicht die geringste Bedeutung geschenkt habe. Dieses letztere Kriterium anbelangend darf ich Sie auf den ebenfalls mitfolgenden Ausschnitt aus der «National-Zeitung» vom 31. Januar d. J., Abendausgabe, verweisen.
Die beiden oben citierten amtlichen stenographischen Berichte über die Sitzungen des Reichstags vom 25. Januar und 1. Februar lasse ich, als Drucksache, mit gleicher Post an Ihre Adresse abgehen.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin 13. Note en tête du document: In Circulation. An die Gesandtschaften. 8. II. 99 M [Müller].↩
- 2
- Délibérations du «Reichstag» sur une proposition du «Zentrum» tendant à abolir l’interdiction des Jésuites en Allemagne.↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Les extraits de journaux mentionnés ne sont pas reproduits.↩
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Haltungen gegenüber Verfolgungen