Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IX. DER POLITISCHE VERKEHR MIT DEM AUSLAND
6. Schweizer als Schiedsrichter im Kongo
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 3, doc. 301
volume linkBern 1986
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2#1000/44#100* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2(-)1000/44 7 | |
Titre du dossier | Frage betr. Ernennung des Bundespräsidenten (Deucher bzw. Lachenal) zum Schiedsrichter im Grenzkonflikt zwischen Frankreich und dem Kongostaat (Belgisch-Kongo) 1886 und 1894 (1886–1894) | |
Référence archives | B.24 |
dodis.ch/42280 Der schweizerische Gesandte in Paris, Ch. Lardy an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, A. Deucher1
Aus einer Unterredung die ich gestern bei Anlass der Truppenrevue mit dem belgischen Gesandten hatte, glaube ich den Schluss ziehen zu sollen, dass Belgien respective der belgische König fest annimmt, dass Sie die Funktionen eines Schiedsrichters nicht ablehnen werden.2
Französischerseits habe ich seit dem Empfange Ihres verehrlichen Schreibens vom 9. dies3 keine Gelegenheit gehabt, mit Herrn v. Freycinet über die Sache zu sprechen. Die parlamentarischen Angelegenheiten (französisch-italienischer Schiffahrtsvertrag, Ausweisung des Herzogs von Aumale etc) haben Freycinet zu sehr in Anspruch genommen, dass ich es wagen konnte, zu ihm zu gehen für eine Angelegenheit welche vorläufig keine Eile hat. Dagegen sagte mir vor ca 10 Tagen der Direktor der politischen Angelegenheiten auf dem hiesigen auswärtigen Amte Herr Charmes, dass, falls eine direkte Verständigung zwischen Frankreich und dem Congostaate nicht eintreten könne, die beiden Parteien völlig einverstanden seien, den Präsidenten der schweizer. Eidgenossenschaft zu ersuchen, die Funktionen eines Schiedsrichters zu übernehmen. – Der Grund liegt auf der Hand; einerseits ist die Schweiz in der Sache nicht betheiligt; andererseits haben sowohl Frankreich als der belgische König nicht nur ausgezeichnete Beziehungen zu der Schweiz, sondern auch vollständiges Zutrauen in die Gerechtigkeit, Unparteilichkeit und Gewandheit des schweizer. Bundespräsidenten, so dass auf der Welt keine competentere und auch keine sympathischere Persönlichkeit gedacht werden könne.
Herr Charmes ist nachher in das Detail der Angelegenheit etwas eingetreten, ohne aber viel mehr zu sagen als das was Ihnen bereits bekannt ist. – Ein Punkt muss aber betont werden, nämlich dass congolische und französische Kommissäre den Punkt oberhalb des Zusammenflusses der vermuthlichen Licona und des Congo’s bereits festgestellt hatten, von welchem aus die Grenze gezogen werden sollte, um den 17. Grad östlicher Länge schräg zu erreichen; Frankreich behauptet, dass in der Zwischenzeit man in Brüssel erfahren hatte, dass die Licona einer anderen Richtung gefolgt habe als man glaubte, so dass die Kommissäre des Congostaates in Brüssel desavouirt worden sind. – Frankreich stützt sich aber auf diese desavouirte Vereinbarung, um zu behaupten, dass man wirklich die Absicht gehabt habe, den betreffenden Zusammenfluss ohne Weiteres an Frankreich zu belassen, entgegen der congobelgischen Behauptung dass Frankreich nur das Bassin der Licona beanspruchen könne.
Sei ihm wie ihm wolle, glaube ich entschieden, dass eine Weigerung von Ihnen die schiedsrichterlichen Funktionen zu übernehmen, sowohl hier als in Brüssel peinlich überraschen würde. Ich habe keinen Zweifel, dass Ihnen alle möglichen Memoires, Belege, Karten, juristische & geographische Gutachten zur Verfügung gestellt werden um Ihnen ein Urtheil zu erleichtern. – Vom schweizerischen Standpunkte aus würde die Abweisung einer solchen Ehre, nach meiner innersten Überzeugung, keinen günstigen Eindruck machen; ich halte es sogar für sehr zweckmässig die öffentliche Meinung in der Schweiz für die Congo-angelegenheiten zu interessiren, indem der Congostaat nicht nur für unsere Industrie ein wichtiges Absatzgebiet werden könnte, sondern auch indem der belgische König, welcher bekanntlich nicht mehr viel Geld zur Vergfügung hat, sich bewogen finden könnte, wenn die Schweiz sich für die Congo-angelegenheiten erwärmen sollte, uns vielleicht andere Perspektiven zu eröffnen, oder umgekehrt wir dazu kommen könnten nach näherer Prüfung der Lage des Congostaates die Geldverlegenheit des belgischen Königs je nach Umständen im Interesse unseres Handels und unserer Industrie zur Gründung einer schweizerischen Kolonialpolitik auszubeuten. – Immerhin, und selbst wenn man solche Gedanken als phantastisch ansehen sollte, gibt uns das schiedsrichterliche Amt Einsicht in die Angelegenheiten des schwarzen Continents, bringt uns in Verkehr mit den Männern welche die dortige Lage kennen, und erlaubt uns auch indirekt über unser schweizerisches Interesse nachzudenken und mit besserer Sachkenntniss uns in neue Gebiete des künftigen Jahrhunderts einzuleben.
Da es für uns alle die Hauptaufgabe ist, immer die Interessen unserer alten Schweiz vor Augen zu haben, so glaube ich, dass Ihr vaterländischer Sinn Sie entschieden, nach näherer Prüfung der Sachlage, dazu bewegen wird, das allerdings unangenehme Verantwortlichkeitsgefühl zu überwältigen, und das Ihnen anvertraute ehrenvolle Amt anzunehmen.
Sobald Herr v. Freycinet das diplomatische Corps wieder empfangen wird, werde ich versuchen Denselben auf diese Frage zu bringen; es ist besser, dass er die Initiative ergreife, sonst hätten wir den Anschein als wenn wir nach der Rolle des Schiedsrichters laufen wollten. Ich glaube aber bestimmt, dass eine direkte Verständigung zwischen dem Congostaate und Frankreich nicht mehr möglich ist, so dass es ganz sicher ist, dass, wenn genannte direkte Verständigung nicht stattfindet, die beiden Parteien Ihnen das Schiedsrichteramt anvertrauen werden.4
- 1
- Bericht: E 2/100.↩
- 2
- Lardy hatte Deucher am 3. 6.1886 über sein Gespräch mit dem belgischen Staatsminister informiert: [...] J’ai dit à M. Pirmez que, s’il ne s’entendait pas avec la France, il ferait bien de Vous choisir comme arbitre; /.. JCe matin, je trouve un petit billet de M. Pirmez, écrit hier soir et conçu comme suit: «Confidentielle et personnelle. Cher Ministre. Nous sommes tombés d’accord ce matin pour prendre Votre Président pour arbitre de notre différend franco-congolais. [...] » (E 2/100).↩
- 3
- E 2200 Paris 1/208. Mit Telegramm vom 15. 6.1886 hatte Deucher Lardy erwidert: Sofern ich wirklich als Schiedsrichter in Aussicht genommen bin, werde unbedingt annehmen. (E 2/100).↩
- 4
- Am 28. 9.1886 instruierte der Bundesrat den schweizerischen Generalkonsul in Brüssel: [...] Nous avons l’honneur de vous faire savoir, en réponse [auf das Schreiben des Generalkonsuls vom 30. 8. 1886], que, dans l’état actuel des choses, où il est au moins douteux si le compromis dont il s’agit aboutira, il nous paraît absolument inopportun de nous prononcer sur le mode éventuel de procéder, de même que nous ne sommes pas non plus en mesure de prendre dès maintenant position sur la question de savoir si, éventuellement, le président de la Confédfération] ou le Cons [eil]iéd[éralj serait disposé à se charger des fonctions arbitrales. [...] ( E 2/100). Vgl. auch den Freundschafts-, Niederlassungs- und Handelsvertrag mit dem Unabhängigen Congostaat vom 22. November 1889. Akten in: E 21/24537.Botschaft des Bundesrates und Vertragstext in: BBl 1889, 4, S. 772–785).↩
Tags
République démocratique du Congo (Politique)