Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 259
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#878* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 389 | |
Dossier title | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 2 (1879–1885) |
dodis.ch/42238
Da es beinahe unmöglich ist dermalen, während der Kammer-Verhandlungen & bei der Geschäftsüberhäufung der Minister, eine längere, offizielle Audienz bei denselben zu erhalten & da der Ministerpräsident, Herr Depretis, leider seit längerer Zeit, wegen Krankheit, das Bett hütet, begab ich mich gestern Abend 10° zu Herrn Mancini in seine Privatwohnung, woselbst ich mit ihm eine sehr einlässliche Discussion gepflogen habe.
Ich will nicht säumen Ihnen über den Inhalt derselben Bericht zu erstatten. Obschon verschiedene, nicht in engem Zusammenhang stehenden Fragen dabei zur Sprache kamen, erlaube ich mir dennoch dieselben in einem einzigen Rapport zusammenzufassen, da keine zur definitiven Erledigung gelangte & meine Berichterstattung nur zur Orientirung über die, im gegenwärtigen Augenblick uns am meisten interessirenden, anhängigen Reklamationen dienen soll.
Ich begann damit, dass ich ihm wiederholte wie sehr mir daran gelegen sei die vortrefflichen Beziehungen unserer beiden Staaten zu pflegen & zu fördern & wie ich aus Erfahrung wisse, dass es auch in seinem Wunsche liege dieses Verhältniss, in beidseitigem Interesse, ungetrübt zu erhalten.
Nun seien aber, in der lezten Zeit, verschiedene Fragen zur Behandlung gelangt, bei denen ich nicht dasjenige Entgegenkommen finde, welches ich erwarten zu dürfen geglaubt habe. Dass ich daher, um gleich von Anfang an jedem Missverständniss & jeder ernstlichen Differenz vorzubeugen, mich vertrauensvoll an ihn wende, um von ihm eine energische Unterstüzung unserer gerechten Begehren zu erlangen, wobei ich ihn unserer bereitwilligen Reciprocität versichern könne. Ich erwähnte namentlich drei Punkte, welche wir nach einander einlässlich discutirten.
Erstens beschwerte ich mich über die in den lezten Wochen so häufig vorgekommenen Grenz- Verlezungen2 &verlangte, dass man denselben, italiänischer Seits, durch strengere Instruktionen & durch Bestrafung der Schuldigen entgegenwirke. Ich bemerkte, dass wir weit entfernt davon seien dem Schmuggel Vorschub leisten zu wollen oder die dieses Gewerbe treibenden zu schüzen. Im Gegentheil! man möge auf diese Leute, sobald sie auf italiänischem Boden ergriffen werden, die ganze Strenge des Gesezes anwenden, um ihnen das unmoralische Handwerk (welches übrigens, nebenbei bemerkt, grössthentheils von Italiänern & nicht von Schweizern ausgeübt werde) zu verbieten.
Aber er werde begreifen, dass wir, unter keinen Umständen, ruhig Zusehen können, wenn, bei Verfolgung der Schmuggler, Verlezungen unseres Territoriums Vorkommen, wie diess nun wiederholt geschehen sei. Es werde hiedurch allgemeiner Unwille & Missstimmung hervorgerufen & wir seien berechtigt mit aller Entschiedenheit zu verlangen, dass die Regierung fürderhin derartige für uns höchst widerwärtige Vorkommnisse, ahnde & verhindere.
Zweitens machte ich darauf aufmerksam, dass von Seite des Finanzministeriums, bezw. der Oberzolldirektion, eine so pedantische, fiskalische & zuweilen geradezu unberechtigte & vertragswidrige Interpretation des Zolltariffes3 gegenüber dem schweizerischen Import geübt werde, dass dadurch unsere Industrie & unser Handel eine schwere Schädigung erleiden. Ich bemerkte, dass unsererseits der italiänischen Einfuhr keine Erschwerungen bereitet werden, obschon es ziemlich nahe liege, dass man auf ein schroffes Vorgehen der ital. Zollbehörden, in gleicher Weise & unter Anwendung von Retorsionmassregeln, zu antworten versucht sei. Ich wisse aber sehr wohl, dass es weder Italien noch uns conveniren könne, einen solchen kleinen Zollkrieg zu beginnen. Das Interesse beider Länder gebiete den Verkehr zu fördern & zu beleben & nicht denselben noch mehr zu erschweren & dadurch nicht nur die materiellen, sondern auch einigermassen die bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu beeinträchtigen. Ich ersuche ihn daher sich, nach Kräften, dafür zu verwenden, dass man uns eine wohlwollendere und coulantere Behandlung angedeihen lasse, die gewiss nur zum Vortheil für beide Theile ausschlagen werde. Denn nachdem die italiänische Industrie durch – nur allzuhohe – Zollsäze, in protektionistischer Weise, geschüzt werde, scheine mir es sei bessere Politik, die Zolleinnahmen auf dem schweizerischen Import, durch Aufmunterung & Vermehrung desselben zu steigern & zugleich damit dem Publikum einen wesentlichen Dienst zu leisten, als den Import durch rigorose Massregeln nach & nach beinahe ganz vom Markte zu verdrängen, was bei einigen Artikeln schon jezt der Fall sei.
Endlich erwähnte ich noch der fortwährenden Verschleppung der Frage betreffend der Freipläze im Collegium Borromäum4
Es sei dieses Hinausziehen der Angelegenheit dem Bundesrathe um so unangenehmer, als fortwährend von Seite der interessirten Cantone reklamirt werde. [Ich erinnerte ihn an das mir schon wiederholt gegebene Versprechen die Sache zu einem möglichst befriedigenden Abschluss zu brinen zu suchen & ersuchte, uns nun doch nicht mehr lange darauf warten zu lassen.
Herr Mancini antwortete mir im Wesentlichen Folgendes: Ich wisse wie sehr ihm daran liege speciell mit der Schweiz ein recht gutes, freundschaftliches Einverständniss zu unterhalten. Er habe dieses Bestreben schon oft durch die That bewiesen, wie ich es ihm wohl bezeugen werde. Noch in der lezten Zeit sei er, anlässlich der Discussion über den Handelsvertrag, in der Kammer & ganz besonders im Senat, heftigen Angriffen ausgesezt gewesen, weil man ihm vorgeworfen habe die Schweiz zu sehr zu begünstigen. Er werde aber aus politischen & aus freundschaftlichen Rücksichten, auch in Zukunft sein Möglichstes thun sich uns entgegenkommend & gefällig zu erweisen.
In Bezug auf die Grenz- Verlezungen solle eine rasche & strenge Untersuchung stattfinden, von deren Resultat er mich, zu Händen des Bundesrathes, unverweilt in Kentniss sezen werde. Er beklagte sich neuerdings über den in grossem Masstabe betriebenen Schmuggel an der Grenze & die durch denselben veranlassten, vielfachen Verdriesslichkeiten. Übrigens gab er, als ganz selbstverständlich, zu, dass man uns, wenn die Untersuchung eine Verlezung des schweizerischen Gebiets herausstelle, die übliche Satisfaktion ertheilen werde.
Was die Handhabung des Zolltariffesanbelangt so versprach er mir bei’m Finanzminister darauf hinzuwirken, dass man unseren Begehren möglichst gerecht werde.
Was endlich das Collegium Borromäum betrifft, so gab er zu, dass die Frage schon sehr lange ungelöst geblieben. Er versicherte mich, dass das hierauf bezügliche Dossier fortwährend auf seinem Schreibtisch unter den urgentesten Geschäften liege. Da er aber diese Angelegenheit selbst & ganz allein prüfen & erledigen wolle, so möchte ich ihn entschuldigen wenn er theils durch Krankheit, theils durch Geschäftsüberhäufung, bis jezt noch nicht dazu gekommen sei darüber zu entscheiden. Er versprach übrigens in nächster Zeit zu antworten.
Ich muss es nun Ihrer Würdigung anheimstellen welchen Werth Sie der vorstehend erwähnten Unterredung beilegen wollen. Immerhin zeugt dieselbe von der aufrichtigen Absicht uns in unsern Bestrebungen zu unterstüzen. Mit welchem Erfolg diess geschehen ist, werde ich die Ehre haben Ihnen in wohl nicht ferner Zeit wieder zu berichten.
- 1
- Bericht: E 2300 Rom 2.↩
- 2
- Vgl. den Bericht von Zolldirektor Franscini an die Oberzolldirektion vom 14. 2.1885(E 11/ 289) und den GBer. ZSS4(BBl 1885, 2, S.649f.). Vgl. auch Nr. 279.↩
- 3
- Vgl. den GBer. 1884 (BBl 1885, 2, S. 273 f.).↩
- 4
- Im GBer. 1881 hatte der Bundesrat ausgeführt: [...] Die italienische Regierung hat mit königlichem Dekret vom 6. Dezember 1880 die 24 Freistellen am erzbischöflichen Seminar zu Mailand aufgehoben (vom Ende des Schuljahrs 1880—1881 an gerechnet), welche der Schweiz durch Übereinkunft vom 22. Juli 1842 zwischen der helvetischen Tagsazung und Österreich (alte offizielle Samml. III, 232) zugesichert wurden, in Ersezung des im Jahr 1797 aufgehobenen ehemaligen helvetischen Collegiums. Wir haben durch unsere Gesandtschaft in Rom [...] so viel erwirkt, dass alle Zöglinge, welche früher im Seminar zugelassen worden waren (17 an der Zahl), ihre Studien während des gegenwärtigen Schuljahres fortsezen können. [...](BB1 1882, 2, S.4 f.). Vgl. auch das schweizerische Memorandum an das italienische Aussenministerium vom 5.7.1881 (E 8 (B)/12), sowie die GBer. 1882 (BB1 1883, 2, S.8), 1883 (BB1 1884, 2, S.582) und 1884 (BBl 1885, 2, S.646). 1886 stellte Italien die 24 Freiplätze wieder her (GBer. 1886 in: BB1 1887, 2, S.195-198).↩