Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.3. Die Verhandlungen mit Italien
1.3.1. Die Handelsverträge
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 240
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#268* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 62 | |
Dossier title | Korrespondenz des Handels- und Landwirtschaftsdepartements, u.a. mit der Schweizer Gesandtschaft in Rom; Konferenzprotokolle; Anträge des HLD an den Bundesrat; Notizen; Verlängerung der temporären Handelskonvention vom 28.01.1879 durch Erklärung vom 30.06.1883 [AS, 7, 139]; Bundesratsbeschlüsse; Akten der Bundesversammlung und Bundesbeschluss (21.12.1883) betr. Genehmigung des Handelsvertrages (1881–1884) |
dodis.ch/42219 Der schweizerische Gesandte in Rom, S. Bavier, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, L. Ruchonnet1
Nach Empfang Ihres Telegrammes2
habe ich mich gestern Abend 101/2° zu Herrn Mancini in seine Privatwohnung begeben und ihm den Inhalt desselben, nachdem es übersezt worden, mitgetheilt.
Der Minister zeigte sich sehr überrascht & empfindlich. Er sagte: die Schweiz habe ja leztes Jahr selber eine Prorogation verlangt & er habe eine solche nun, in beidseitigem Interesse, diesen Abend der Kammer vorgelegt & sie sei bereits der Commission überwiesen worden. Den Vertrag pur et simple, ohne Reserve, bei der Kammer durchzusezen sei jezt nicht möglich; ich müsse mich davon überzeugt haben. Aber die Prorogation sei für beide Theile sehr nüzlich. Sie praejudizire nichts, die Verhältnisse können sich abklären & man könne in den Vertrag diejenigen Modificationen einführen, welche man später gegenseitig zu vereinbaren im Stande sei.
Er wolle nun zwar die Erklärung des Bundesrathes morgen (heute) dem Ministerrathe vorlegen, sehe aber voraus, dass derselbe nicht in der Lage sein werde für einen Erfolg der Vorlage des Vertrages zu garantiren. Er werde aber den Vertrag – wenn der Bundesrath darauf bestehe – in der Kammer zur Discussion bringen, nur müsse er jede Responsabilität ablehnen wenn derselbe verworfen werde: Er widerholte diess einige Male.
Hr. Mancini sagte dann er lege dem Vertrag einen geringen materiellen Werth bei, aber einen sehr hohen politischen. Wenn ein Tarifkrieg entstehe, so werde diess die allerbedauerlichsten Folgen haben, nicht sowohl für die einzelnen Import- & Exportartikel als für die Beziehungen der beiden Länder die, nach seinem Wunsche, sich immer freundschaftlicher gestalten sollten, wie diess bei zwei Nachbarländern mit freisinnigen Constitutionen wünschbar & natürlich sei. Er gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass ein Scheitern unserer Verhandlungen in jeder Beziehung zu beklagen wäre.
Ich konnte & wollte Hr. Mancini nicht die geringste Aussicht eröffnen, dass der Bundesrath neue Concessionen machen würde sondern will nun abwarten welchen Eindruck die Erklärung auf den Ministerrath macht: Hr. Mancini hatte gesagt, die Erklärung des Bundesrathes werde, wie er fürchte, die Stimmung nicht verbessern & manche die empfindlicher als er seien, könnten sich durch diesen atto d’alterigia (stolze Haltung) verlezt fühlen.
Wie peinlich die ganze Sache für mich geworden ist können Sie sich denken.
Ich habe Ihnen heute ein zweites Telegramm3 gesandt, mit welchem ich Sie bitte mich zu ermächtigen gegen die Prorogation keine Einwendung zu erheben; wenn ich mich überzeugt habe, dass das Ministerium nicht im Stande ist den Vertrag, bedingungslos, in der Kammer durchzusezen. Nur in diesem Falle werde ich dem Minister erklären, dass wir keine Opposition gegen die Prorogation erheben & die telegrafische Erklärung des Bundesrathes kann vorher also ungeschwächt auf die Minister einwirken. Hat sie Erfolg; so ist es um so besser, hat sie aber keinen, so würde einem Bruche, durch die Prorogation vorgebeugt.
Ich bitte um Entschuldigung, dass ich mir erlaubt habe, gegenüber der vom Bundesrath erhaltenen Instruktion Ihnen eine abweichende Ansicht zu telegrafiren.
Aber wie ich die Verhältnisse kenne, würde ein Bruch die allerbeklagenswerthesten Folgen haben & ich habe es für meine Pflicht erachtet, darauf aufmerksam zu machen.
Auch mich geniren die Zollansäze auf den einzelnen Artikeln hüben & drüben viel weniger als die sonstigen Folgen die die Verwerfung des Vertrages mit sich bringt & die Verbitterung welche eintreten & sich in allen Fragen des Grenzverkehrs, Eisenbahnsachen & überhaupt in allen Beziehungen kund geben wird.
Man wird sich gegenseitig Vorwürfe machen: die Italiäner werden sagen, die Schweiz habe sich geweigert in einem höchst unbedeutenden kleinen Punkte, der für Italien grosse, für die Schweiz höchst geringe Wichtigkeit habe nachzugeben & lieber den Vertrag auf das Spiel gesezt. In der Schweiz wird man die Italiäner beschuldigen. Die Presse wird Öl in das Feuer giessen & es wird aus höchst minimen Ursachen ein sehr grosser unberechenbarer Nachtheil entstehen. Ich sehe mit grosser Spannung der Antwort4 auf mein Telegramm entgegen & zeichne inzwischen mit vollkommenster Hochachtung.
- 1
- Bericht: E 13 (B)/213.↩
- 2
- Das Telegramm des Bundesrates an die Gesandtschaft in Rom lautete: Herr Bavier wird beauftragt, Herrn Mancini anzufragen, ob die Regierung beabsichtige, den Vertrag wie er vorliegt, innert der festgesezten Auswechslungs-Frist dem Parlament vorzulegen und ihr verneinenden Falles zu erklären, dass die Schweiz unter diesen Umständen den Vertrag als dahin gefallen betrachte (E 13 (B)/213).↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. Nr. 241.↩