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Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 1. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte des Internationalismus 1863–1914, vol. 13, doc. 9
volume linkBern 2023
more… |Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 68
volume linkBern 1986
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E14#1000/39#118* | |
Old classification | CH-BAR E 14(-)1000/39 19 | |
Dossier title | Kreditbewilligungen und Subventionierung durch den Bund; Bestellung des Generalkommissariats, Ernennung des Generalkommissärs und der 5 Kommissionschefs; Frage der Post- und Telegrafenfreiheit; Geschäftsreglement des Generalkommissärs; Ausstellungsprogramme (1875–1875) |
dodis.ch/42047Der schweizerische Generalkonsul in Washington, Hitz, an den Vorsteher des Eisenbahn- und Handelsdepartements, Bundesrat Schenk1
[Schweizerische Teilnahme an der Weltausstellung in Philadelphia 1876]
Ich glaubte noch, dem mitfolgenden Bericht2 einige Bemerkungen beizufügen, enthielt mich aber und lasse nun dieselben hiermit unoffiziel Ihnen verehrtester Herr und Freund zur Einsicht kommen.
Wie steht es mit der Schweiz und deren Betheiligung an der Ausstellung in Philadelphia 1876? Eine Frage die gar zu oft ihren demüthigenden Wiederhall den hiessigen schweizerischen Landesvertreter spüren lässt. Wohl bekenne ich und weiss zu würdigen alle die gegen eine Betheiligung seitens schweizerischer Industrieller wiederholt geltend gemachte Argumente.3 Andererseits aber lasse man einmal die Statistik des schweizerischen Waaren-Absazes hier sprechen – Man sehe sich nur Wartmann’sche Karten an! Frage sich ein jeder schweizerische Handelmann der sich im Ausland Kundschaft erworben, wo er im ganzen genommen die besten Käufer [und] die durchschnittlich profitablsten Geschäfte gemacht. Denken sie etwa es liege nicht in der Möglichkeit, dass thätige Konkurrenten ihnen dieses Absatzgebiet theilweis oder ganz erobern könnten? Glauben unsere Industriellen dass Frankreich, Belgien, Deutschland und sogar England sich nicht freuen würden, wenn der Schweizer mit seinem Fabrikate ferne bliebe? Frohlockte nicht selbst der Amerikanische Konkurrent in Baumwoll und Seiden-Waaren, in Uhren und Mathematischen Instrumenten, in Käse und Milch-Präparaten? Sollen unsere Geflechte durch andere ersezt werden, die das hiessige Publikum an der Ausstellung Gelegenheit haben wird kennen zu lernen? Muss unsere schwer erlernte Holzschnitzerei durch diejenige des reger gewordenen Tyroler verdrängt werden? Haben unsere Chocolaten und Liquer-Fabrikanten keinen Begriff von dem hier noch zu gewinnen[den] ihnen offen stehenden Felde? Sollen unsere lackirten und sonstigen feinen Leder immer als französisches Fabrikat bekannt bleiben? Müssen unsere Stickwaaren denjenigen von Hamburg Platz machen? Will man, dass nur Seidenfabrikate geringerer Qualität «Schweizerisch» genannt werden, während unsere bessern Waaren Frankreich zuerkannt werden – und dazu noch für dieses uns einen Rabatt gefallen lassen müssen? Oder glauben wirklich unsere Industriellen dass eine gänzliche Enthaltung von, oder mangelhafte Betheiligung an dieser, voraussichtlich die lezte der eigentlichen Weltausstellungen, keinen Nachtheil bringen werde? Hat eine ähnliche Gleichgültigkeit nicht schon manchem kostbar erkaufte Kundschaft abtrünnig gemacht? Wo werden zu verhältnissmässig hochen Preisen so massenhaft Kunstsachen abgesezt wie dahier – haben sich unsere Künstler je das Feld angesehen? Dürfte nicht einmal dem Amerikaner bewiesen werden, dass sich die Produktionen eines Vela, Schlöth und Imhof, eines Diday, Vautier und Anker, Ceseri u. Stephani, Giradet und Fritz Weber mit denjenigen Aller Länder messen dürfen und dass die Arbeiten eines Escher v. der Linth, eines Dufours wie diejenigen der Nachfolger von Pestalozzi und Wehrli Aller Menschheit anerkennungswerthen Nutzen gebracht. Wehre man sich noch bei Zeiten – dass es uns nicht nachgesagt werde die Schweiz steht still, industriell geht sie bergab. Ist etwa unser schweizerischer Industrie-Verein und dessen Sektionen in Einsicht und Energie den Östreichischen Handels und Industrie-Organisationen nicht ebenbürtig?
Ich bezweifle gar nicht, dass in mancher Richtung sogar während der Ausstellung gute Geschäfte gemacht werden könnten – z. B. Erstellung einiger in der Schweiz verfertigter Muster Châlets wie es derer in Wien gegeben würden hier unbedingt nach beendigter Ausstellung Käufer finden. Ein tüchtiger Chocolatenfabrikant in einem derartigen Häuschen müsste wenn Er geschäftkundig und sprachfähig ist vortreffliche Geschäfte machen. So gleichfalls eine Musikdosenfabrikation an Ort und Stelle dürfte auf einen starken Absatz rechnen. So auch Schnitzler, die sich den Amerikanischen Geschmack an Ort und Stelle zu erlernen und verwerthen wüssten. Es sind dieses wohl Bagatellen gegenüber unsern grössern Industrien und sollten gerade diese Lezteren auf eine so imponirende Weise auftreten, dass dem hiessigen Volk auf schlagende Weise die Tragweite des prohibitiven Zollsystems vor Augen gesezt würde. Das Amerikanische Volk lässt sich schon auch belehren und besonders würde dieses den hiessigen Landwirthen gelten.
Dass, als politisch verwandt, es eine Pflicht der Schweiz ist bei diesem hundertjährigen Jubiläum der Geburt des mächtigst gewordenen Sprössling ihrer Grundsäze, Theil zu nehmen ist allzu anerkannt als dass es nöthig wäre sich weiter darüber einzulassen.4
- 1
- CH-BAR#E14#1000/39#118*, DDS, Bd. 3, Dok. 68. Dieses Schreiben wurde vom schweizerischen Generalkonsul in Washington, Johann Hitz jun., verfasst und unterzeichnet. Das Schreiben richtete sich an den Vorsteher des Eisenbahn- und Handelsdepartements, Bundesrat Karl Schenk.↩
- 2
- Bericht von Generalkonsul Hitz an das Eisenbahn- und Handelsdepartement vom 1. Mai 1875, CH-BAR#E14#1000/39#118*.↩
- 3
- Vgl. das Schreiben des schweizerischen Handels- und Industrievereins an das Eisenbahn- und Handelsdepartement vom 2. November 1874, CH-BAR#E14#1000/39#116*.↩
- 4
- Vgl. dazu auch den Aufruf vom März 1875 der Schweizer Kolonie in Philadelphia, die Schweiz möge sich an der Weltausstellung von 1876 beteiligen, dodis.ch/63243.↩
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