dodis.ch/42042
Der deutsche Diplomat J. von
Radowitz, an die deutsche Regierung
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Vertraulich. Abschrift.
St. Petersburg, 17. Februar 1875
Fürst Gortchacow beklagt sich über die unfreundliche Haltung des jetzigen
Präsidenten des Schweizer Bundesrathes, Scherer. Er sei in der Lage gewesen,
demselben eine scharfe Zurechtweisung ertheilen zu müssen, aus folgendem
Anlasse. Die russische Regierung habe es, im Mai 1873 für notwendig gehalten,
durch einen Artikel im Journal de Petersbourg2 diejenigen russischen Studentinnen, welche in Zürich den Vorlesungen folgen, darauf aufmerksam zu machen, dass sie durch die dortigen Studien oder Examen keine Anrechte auf spätere Praxis in Russland erwerben und besser thäten für ihre Ausbildung in der Heimath zu sorgen statt sich den Lehren der Züricher Professoren zu überlassen3. Fürst Gortchacow bemerkte zu dieser Verwarnung habe man hier triftige Gründe und jedenfalls seinen eigenen Landeskindern gegenüber das Recht gehabt.
Dieser Artikel sei unter zwei schweizerischen Präsidenten nicht weiter relevirt worden. Jetzt komme Herr Scherer, ein Radicaler und als geborener Züricher, Verfechter des dortigen Cantonal-Interesses, greife jene Äusserung der russischen Regierung auf und verlange dans un style tout à fait impossible mittelst Note4 die Zurücknahme des erwähnten Artikels. Fürst Gortchacow sagte, er habe seinen Sohn beauftragt dem Präsidenten folgendes zu erwiedern: Le chancelier n’a pas commis l’inconvenance de mettre sous les yeux de S. M. l’Empereur Votre note. Quant aux mesures qu’il plaît à prendre au gouvernement russe vis à vis de ses sujets le chancelier n’a aucune explication à donner à un gouvernement étranger. L’article inséré dans le journal de Petersbourg n’ayant rien de blessant pour la Suisse, il n’y sera rien changé.
Der Reichskanzler wollte mir dieses nur als vertrauliche Mittheilung erzählt haben und als characteristisch für die Prätensionen in denen sich die kleine durch ihre Neutralität gesicherte Schweiz zuweilen gefalle.