Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
I. KIRCHENPOLITIK
1. Der Kulturkampf
1.3. Der internationale Kontext
1.3.1. Beeinflussungsversuche der Mächte
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 3, doc. 2
volume linkBern 1986
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#84* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 46 | |
Titolo dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 1 (1867–1873) |
dodis.ch/41981
Der schweizerische Gesandte in Berlin, B. Hammer, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, P. Cérésole1
Gleich nach Empfang Ihres Telegramm’s vom 17* diess2 theilte ich dasselbe abschriftlich dem Fürsten Bismark direkt – mit Umgehung des auswärtigen Amtes – mit, indem ich annehmen durfte, einer solchen Mittheilung stehe Ihre Intention jedenfalls nicht entgegen. Folgenden Tages liess mir der Fürst in den verbindlichsten Ausdrüken seinen Dank für die Mittheilung u. den Wunsch aussprechen, mit mir persönlich über die bezügliche Angelegenheit noch Rüksprache zu nehmen. In Folge dessen liess er mich auch auf letzten Mittwoch den 19. diess Nachmittags 2 Uhr zu sich berufen u. unterhielt sich mit mir nahezu während einer Stunde über die in der Schweiz u. in Deutschland waltenden Conflikte mit der katholischen Kirche, ihrem Klerus oder den ihre Interessen vertretenden politischen Partheyen.
Es ist Ihnen bekannt, wie schwer zugänglich Fürst Bismark für den persönlichen Verkehr mit den Diplomaten ist, selbst wenn solche um Audienzen nachsuchen. Es liegt desswegen nahe, anzunehmen, dass Fürst Bismark durch seine Einladung zu einer Besprechung anderes beabsichtigte, als nur dem Vermittler eines Telegramms die bereits schriftlich abgestattete Danksagung noch einmal mündlich zu wiederholen.
Ich will übrigens Ihrer eigenen Würdigung über den Sinn u. die Bedeutung dessen, was der Fürst hier that und sprach, keineswegs vorgreifen u. gehe gleich auf die Erzählung dessen über, was der Fürst im wesentlichen mir gegenüber äusserte:
Nachdem der Fürst die Zusendung des Telegramms verdankt, sagte er: «Wir kämpfen auf dem nämlichen Boden u. um die nämlichen Ziele.» Dann gieng er über in eine historische Betrachtung über die Entwikelung, resp. den Zerfall aller katholischen Staaten von Polen, im Osten, bis nach Portugal im Westen. – Das einzelne seiner Aperçu’s übergehend, – hebe ich hier nur hervor, dass er über Italien äusserte: Das dermalige Aufblüh’n dieses Landes sei gerade eine Folge seines Antagonismus gegen den Katholizismus. Von Ostreich sagte der Fürst unter anderm: die dem Klerus eingeräumte Macht u. in Folge dessen vernachlässigte Erziehung seiner reichbegüterten höhern Stände räche sich durch die auffallende Armuth an Männern von hohem Stand, die sich zu Staatsmännern, Diplomaten und Generalen eignen u.s.w. Indem der Fürst bei dieser Erörterung schliesslich auf den Gegensatz zwischen Irland und England hin wies, abstrahirte er aus den Lehren der Geschichte den Satz, dass alle Staaten, die das katholische Priesterthum überwuchern lassen, verdorren.
Er freue sich die Haltung wahrzunehmen, welche die Schweiz der kirchlichen Anmassung gegenüber bobachte, hob hervor, wie die Eigenart unser [er]Verhältnisse die Freiheit der Aktion sehr begünstige, während er seinerseits in der Aktionsfreiheit durch verschiedene Widerstände u. Schranken gelähmt und beengt werde. Namentlich bezeichnete er die Opposition «höchstgestellter Damen» als ihm besonders hinderlich.
Als ich dem Fürsten dann auch die Widerstände geschildert, welche in der Schweiz ein wirksames Vorgehen gegen die Aggression der Kirche sehr erschweren (Stimmgebung der katholischen Bevölkerungen etc) u. ihm gesagt, dass die Haltung Deutschlands in dieser Frage für uns selbst von höchster u. unmittelbarer Bedeutung sei, gieng der Fürst dann auf die Genesis des jetzt waltenden deutschen, resp. preussischen kirchlich-politischen Conflikts über u. betheuerte in dieser Beziehung nachdruksamst, dass ihm der Kampf aufgenöthigt worden sey.
Es sey vollständig unwahr, dass DeutschlandItalien zur Occupation Rom’s ermuthigt habe. Im Gegentheil sei wahr, dass Deutschland aus dem Kriege mit Frankreich in guter Stimmung gegen den Papst u. voll Erbitterung gegen Italien zurükgekehrt sei.
Diese Erbitterung sei veranlasst worden durch Italien’s zweifelhafte Haltung während dem Verlauf, namentlich aber im ersten Stadium des Krieges u. durch das Auftreten des Garibaldischen Corps, dem gegenüber ein loyal neutrales Italien ernstlicher u. wirksamer hätte einschreiten können. Deutschland hätte ein Schwanken der östreichischen Politik im letzten Krieg viel gutmüthiger ertragen können; denn nach allem, was geschehen u. bei allem, was auf dem Spiele stand, konnte Ostreich sich allerdings die Frage stellen, ob eine Partheynahme für Frankreich nicht angezeigt. Dagegen sey das zweifelhafte Benehmen Italiens um so ärgerlicher gewesen, als die Erkenntnis seiner reellen Interessen die Regierung dieses Landes auf die Seite Deutschlands hätte führen sollen, indem sich eine solche doch sagen musste, dass der Sieg Deutschlands gleichbedeutend sei mit der Beseitigung von Frankreichs Präponderanz über Italien, u. eine Wiederholung deutscher Römerzüge vernünftigerweise doch nicht mehr in Aussicht genommen werden dürfe. Es hätte desswegen auch die deutsche Regierung Möglichkeiten in Erwägung gezogen, welche ein feindseliges Auftreten Italiens zu paralysiren geeignet gewesen wären u. worüber mir der Fürst Andeutungen machte, die ich hier nicht näher erörtere.
Nach der Rükkehr aus dem französisch-deutschen Krieg seyen dem Fürsten dann sehr bald die Symptome einer gegen das neue Reich gerichteten, namentlich in Wahlangelegenheiten sehr wirksamen katholischen Organisation wahrnehmbar geworden. Ein deutscher Bischoff hätte von ihm verlangt, dass die preussischen Verfassungsbestimmungen über die kirchlichen Verhältnisse auch in die Reichsverfassung aufgenommen werden sollen. Dadurch wäre in Deutschland ein Dualismus geschaffen worden, der noch schwerer als derjenige zwischen Cisleithanien und Transleithanien zu handhaben gewesen wäre. Dessenungeachtet hätte er zu diesem Ansinnen damals weder ja noch nein gesagt. Dann wären die Wühlereien zu Gunsten einer Wiederherstellung der weltlichen Macht des Pabstes, das aggressive Auftreten der Ultramontanen im Reichstag bei Anlass der Discussion der Grundrechte gekommen. Ein Ultramontaner hätte ihm persönlich erklärt, seine Parthey werde ihrer Überzeugung bis zum Bürgerkriege folgen. Dann hätte der Fürst die katholische Abtheilung im Cultusministerium, die sich als ein wahres jesuitisches Hauptquartier entpuppt, gesprengt; u. nach einem sechs wöchentlichen Feldzug den Minister Mühler, der Jahre lang das jesuitische Unwesen grossgezogen, zu Falle gebracht. Die Bayrische Regierung, die dem Andringen der Ultramontanen zu unterliegen fürchtete, habe Hülfe beim Reiche gesucht, u. so das Gesetz gegen den Kanzelmissbrauch veranlasst. Die preussische Regierung habe nun die 4 bekannten Kirchengesetze eingebracht, u.s.w., sie habe, zum Äussersten entschlossen, den Degen gezogen, u. die Scheide weggeworfen u. werde nun die Klinge nur noch im Leibe des Feindes begraben können.
Man dürfe auf die entschlossene Ausdauer der Preussischen Regierung zweifellos bauen, u. sich ihr Verhalten in den markantesten Verhältnissen der jüngsten Geschichte vergegenwärtigen; in der Schleswig-Holsteinischen Angelegenheit hätte Dänemark allzusehr auf den Langmuth Preussens gerechnet u. dann die Erfahrung gemacht, welch entschlossenen Feind es in die Schranken gefordert.
Vor dem deutschen Bruderkrieg hätten Preussens Feinde auch geglaubt, Preussen würde vor der letzten Entscheidung zurükschreken u. vollends Hannover habe geglaubt, es dürfe Preussen am Barte kratzen etc; alle aber seien inne geworden, mit welch entschlossenen Feinde sie zu thun hätten. Ähnlich sei es auch mit Frankreich vor dem letzten Kriege gewesen. Man möge desswegen versichert sein, dass Preussen auch in dem gegenwärtigen kirchlichen Kampfe bis zum äussersten gehen werde.
Der Füst schloss die Conversation damit, dass er sagte: «Ich hoffe jedenfalls, die Schweiz werde in dem waltenden Streit mit der Kirche den Grundsatz wahren, dass sie auf ihrem Gebiete keine andere Souveränität dulde, als ihre eigene.»
Ich beschränke mich für heute darauf, den Inhalt der Konversation, wie sie von Seite des Fürsten stattgefunden, ohne begleitende Bemerkungen – möglichst wörtlich – wiederzugeben, mir vorbehaltend, einiges zu ihrem Verständniss u. über meine Auffassung derselben in einem nächsten Schreiben nachzuholen.
Schliesslich danke ich Ihnen sehr für die mir zugesendeten verschiedenen Druksachen, von denen ich gern entsprechenden Gebrauch mache, u. bitte Sie mir s/einer] Zeit ähnliche Mittheilungen oder telegraphische Berichte auch hinsichtlich des Basler Kirchenconflikts zugehen zu lassen.
- 1
- Bericht: E 2300 Berlin 1.↩
- 2
- Hammer erhielt folgendes Telegramm von Cérésole: Par arrêté d’aujourd’hui Conseil fédéral a interdit séjour en Suisse à Monseigneur Mermillod tant qu’il prétendra vouloir exercer fonction de Vicaire apostolique. Arrêté a été exécuté ce matin sans aucune difficulté et Mermillod conduit à Ferney (E 2200 Berlin 1/4).↩
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