Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 2, Dok. 83
volume linkBern 1985
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2#1000/44#466* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2(-)1000/44 86 | |
Dossiertitel | Luxemburgerfrage, 1867 (1867–1867) | |
Aktenzeichen Archiv | B.265 |
dodis.ch/41616
Ich habe Ihnen schon vor 8 Tagen, in meinen Depeschen vom 22. d. M (N. 58) und vom 23ten d.M.2 auf ganz zuverlässige Informationen gestüzt, mitgetheilt, dass die Situation in eine bedeutend weniger bedrohliche Phase eingetreten sey. Ich meldete Ihnen zugleich, dass die Mächte als Basis einer Ausgleichung vorschlagen werden: 1. Preussen soll auf Occupationsrechte in Luxemburg verzichten u. 2. Frankreich hinwieder habe Verzicht zu leisten auf Anexirung des Grossherzogthums Luxemburg; 3. eine Einverleibung mit Belgien, wie Oestreich proponire, sei unwahrscheinlich, da weder Belgien solche Wünsche [habe], noch das Herzogthum selbst. Auf eine Vergrösserung Frankreichs durch Marienburg & Philippeville habe der Kaiser im vornherein Verzicht geleistet, und eben so unterliege keinem Zweifel, dass Frankreich die oben bezeichneten Grundlagen einer Verständigung annehmen werde. Es handle sich also wesentlich nur noch darum, die Antwort des Kabinets v. Berlin zu erwarten. Alles, was seither bekannt geworden ist, bestätigte die Richtigkeit der Ihnen mitgetheilten Informationen. Lezten Samstag ist zwar noch nicht eine offizielle Mittheilung einer Antwort hier eingelangt, aber doch Depeschen theils v. Berlin, theils durch Talleyrand von Petersburg, berichtend, dass Preussen sich geneigt finde, auf obiger Grundlage, an einer Conferenz in London Theil zu nehmen, wo namentlich über Neutralisirung v. Luxemburg das Nähere noch festgesezt werden soll. Sie kennen die bedeutende Steigerung aller Werthpapiere, welche obige Nachrichten auf der Börse hier hervorgerufen haben.
Um ganz sicher zu gehen, begab ich mich gestern zur Preussischen Ambassade, u. erfuhr dann v. Golz folgendes Nähere. Obige Berichte seyen in der Hauptsache richtig, obwohl er noch keinen offiziellen Auftrag zu Eröffnungen an Moustier erhalten habe, der aber ohne Verzug folgen werde. Dabei fügte er aber noch hinzu: 1. Es sei ganz falsch, wenn man bereits das Gerücht verbreite, Preussen verstehe sich zu einer sofortigen Evacuation der Festung. Im Gegentheil dieselbe werde nur in Folge der Reglung der Verhältnisse Luxemburgs u. der Verständigung über seine Neutralisirung unter dem Schuz der Grossmächte erfolgen; 2. Preussen werde auch die Demolirung der Festung verlangen, was Frankreich nicht wohl verweigern könne, nachdem es ja die Neutralisirung zugebe; 3. Preussen werde aber die Evacuation ausdrüklich nur als eine den Grossmächten im Intresse der Erhaltung des Friedens gewährte Conzession zugeben. Er setzte ferner hinzu: «Der König, der Kronprinz u. auch Bismark seyen aufrichtig für Erhaltung des Friedens gestimmt». Dagegen habe man ihm besonders empfohlen, hier zu verlangen, dass man der aufreizenden Sprache der offiziösen Blätter ein Ende machen soll. Die bekannte unter dem Einfluss des Ministeriums des Innern von der Agence Havas an die Departementalblätter gerichtete Correspondenz habe in Berlin sehr böses Blut gemacht, um so mehr, als sie im grellsten Widerspruch stehe mit einem friedliche Gesinnungen betheurenden Artikel im Constitutionnel, der am gleichen Tage erschienen war. Auch nach seinen Aeusserungen ist es Rouher, der am thätigsten auf Erhaltung des Friedens hinarbeite, während Moustier u. Andere gerne an der Annexion v. Luxemburg festgehalten hätten; der Kaiser trat aber im Conseil des Ministres entschieden der Ansicht von Rouher bei. Preussen wird möglichst schnellenZusammentrit der Conferenz verlangen; nach Äusserungen v. Golz. Offenbar hat Russland, das anfänglich zögerte, dann aber den vermittelnden Démarchen der übrigen Mächte sich entschieden angeschlossen hat, in Verbindung mit der von Anfang an ganz entschieden vermittelnden Haltung des englischen Cabinets wesentlich zur jezigen friedlichen Wendung der Dinge beigetragen. Ich weiss, dass Budberg hier anfänglich ziemlich rükhaltend war, dann aber ernstlich mit Cowley zusammenarbeitete. Es musste diese Haltung v. England & Russland bei Preussen wie bei Frankreich nicht ohne bedeutende Einwirkung auf die Entschliessungen der Cabinete seyn.
Nachdem mir v. Golz über die jezige Situation die gewünschten Mittheilungen gemacht hatte, bemerkte er dann noch Folgendes:
Man habe ihm von Seite seiner Regierung geschrieben, sie habe aus der Schweiz von achtungswerther Seite eine Mittheilung erhalten, wonach die Schweiz Frankreich gegenüber bereit seyn soll, die Besetzung der schweizerischen Grenze auf ihrem Gebiete zwischen Basel & Genf französischen Truppen zu überlassen. Überdiess soll die Eisenbahn zur Verbindung zwischen dieser Grenze u. der Nordgrenze der Schweiz französisch.Truppen zur Verfügung gestellt werden!! Graf Golz bemerkte dann noch, er könne an die Richtigkeit dieser Berichte schon desshalb nicht glauben, weil ich in allen unsern bisherigen Unterredungen mich dahin erklärt habe, die Schweiz werde bei der Eventualität eines Kriegsausbruchs eine ganz loyale, aber energische Neutralitätsstellung einnehmen. Ich erwiederte dem Grafen v. Golz wesentlich folgendes: Er habe ganz recht, wenn er derartigen Berichten keinerlei Glauben beimesse. Ich könne ihn des bestimmtesten versichern, dass, welches auch immer die Quelle derartiger offenbar tendentiöser Mittheilungen seyn möge, dieselben rein auf Erdichtung beruhen. Ich habe mich gegenüber dem Minister des Aeussern, Hrn. Moustier, sobald als die Situation zwisch. Frankreich u. Preussen einen besorglichen Charakter annahm, noch ehe der Bundesrath Instruktionen ertheilen konnte, sofort dahin ausgesprochen: die Schweiz könne u. werde schon in ihrem eigenen Intresse nur die Politik einer ganz loyalen, aber auch ganz energischen Neutralität befolgen. Bald nachher habe ich dann vom Bundesrath eine Depesche erhalten, in welcher sich derselbe auf das entschiedenste mit den eben erwähnten Herrn Moustier gemachten Eröffnungen einverstanden erklärt u. mich angewiesen habe, bei jedem Anlasse mich in gleichem Sinne auszusprechen. Ich fügte ferner bei: ich habe Herrn Moustier geradezu erklärt, diejenige der beyden kriegführenden Mächte, welche zuerst unsere Neutralität verlezen [und unser Gebiet angreifen würde, würde uns zwingen, sie als unsern Feind zu behandeln u. alle unsere Intressen entsprechenden Massregeln in diesem Sinn zu nehmen, u. zwar mit allen Mitteln, welche uns unsre vervollkomneten militärischen Einrichtungen zur Verfügung stellen. Was ich Moustier gesagt habe, sage ich fast wesentlich in den gleichen Worten nun auch ihm. Es sei früher ein andres Gerücht verbreitet worden, das nämlich: es sey der Schweiz v. Preussen eine Offensiv- u. Defensiv-Allianz angetragen worden. Dieses Gerücht sei aber so grundlos gewesen als die Berichte, welche – mir in ganz unbegreiflicher Weise – laut seinen Mittheilungen aus der Schweiz nach Berlin erstattet worden seyen. Ich habe übrigens Herrn Moustier von der Grundlosigkeit dieses Gerüchtes überzeugt u. ihm gesagt, dass wenn wirklich ein solcher Antrag von Preussen erfolgt wäre, die Schweiz ihn nur in abweisendem Sinne hätte beantworten können, wie das gleiche der Fall gewesen wäre, wenn eine solche Proposition je von Frankreich erfolgt wäre. Ein Verfahren, wie es grundlos der Schweiz in oben bezeichneter Weise in nach Berlin gelangten Berichten angedichtet würde, wäre ja ein offenbares Partheinehmen, wäre ja ein völliges Heraustreten aus unsrer neutralen Stellung, u. würde voraussichtlich die Schweiz zum Kriegsschauplaz, machen. Es wäre nicht bloss im Widerspruch mit unsrer ganz entschiedenen Neutralitätspolitik; sondern mit den nächsten u. wichtigsten Intressen unsres eigenen Landes. Er könne der Regierung u. dem ganzen Schweizervolk vertrauen, dass sie zu viel Einsicht u. zugleich zu viel Loyalität besizen, um nicht mit der grössten Entschiedenheit jede derartige Proposition, wenn sie nur je gemacht werden wollte, was ich aber durchaus nicht voraussehen könne, auf das Entschiedenste von der Hand zu weisen. Hr. v. Golz erwiederte mir, wenn er auch gleich anfänglich diesen Mittheilungen, obwohl man ihm geschrieben habe, sie kommen aus achtungswerther Quelle, keinen Glauben habe beimessen können, schon mit Rüksicht auf frühere Aeusserungen von meiner Seite, die er nach Berlin mitgetheilt habe, so habe es ihn doch sehr gefreut, neuerdings eine so entschiedene u. so loyale Sprache zu hören. Ich schloss diese Unterredung damit, dass ich bemerkte, ich autorisire ihn nicht nur, sondern ich ersuche ihn geradezu, seiner Regierung zu berichten, was ich ihm auf seine v. Berlin erhaltenen u. mir confidentiell eröffneten Mittheilungen geantwortet habe; worauf er erwiederte, er thue diess mit Vergnügen. Dann setzte ich noch hinzu, ich wünsche diess um so mehr, als der vom Bundesrath ernannte schweizerische Minister Hr. Landamman Dr. Heer erst etwa um den 6ten Mai nach Berlin abreisen werde. Es sei mir sehr erwünscht, ihm bei diesem Anlasse zugleich bemerken zu können, dass die Wahl eines Representanten der Schweiz in Berlin u. für Süddeutschland auf einen Mann gefallen sey, der sowohl bei der Bundesversammlung als beim ganzen Schweizervolk sich eines wohlverdienten allgemeinen Zutrauenszu erfreuen habe, u. daher gewiss auch bei der Regierung in Berlin auf wohlwollende Aufnahme zählen dürfe. Hr. v. Golz äusserte sich sehr befriedigt auch über diese leztere Mittheilung. Ich kann Ihnen bei diesem Anlass nur noch wiederholen, dass während andere meiner Collegen nicht selten umsonst an seiner Thüre anklopfen, ich ihm das Zeugniss geben kann, dass er mir gegenüber – wie Sie auch aus meinen Mittheilungen entnehmen können – sich stets mit freundschaftlichem Entgegenkommen benimmt u. Alles mittheilt, was nur irgend seine amtliche Stellung ihm erlaubt.
Sodann freut mich noch Ihnen melden zu können, dass ich lezten Samstag Abend (bei Anlass eines brillanten Balles, den Rouher gegeben hat) von zwei verschiedenen, ganz zuverlässigen Seiten u. ganz übereinstimmend erfahren habe, es habe die Sprache einer entschiedenen loyalen Neutralitätspolitik, die ich gleich anfänglich geführt & die Übereinstimmung damit, welche Banneville von Seite des Hr. Bundespresidenten3 einberichtet habe, in den höchsten Regionen sowohl als auch beim Ministerium einen sehr guten Eindruk gemacht. Ich weiss ferner, dass auch der Prinz Napoleon, der vor seiner Abreise wieder häufig mit dem Kaiser conferirte, einem dritten gegenüber sich ganz in gleich günstigem Sinn geäussert hat. Eben so ist mir bekannt, dass Moustier Herrn Banneville in einer lezten Tage abgegangenen Depesche angewiesen hatte, über diese loyale Haltung der Schweiz sich in anerkennendem Sinne auszusprechen. Noch habe ich (nach Durchlesung meines Rapportes) meine Unterredung mit Golz in einem Punkte zu ergänzen, nämlich in folgendem: Ich sagte beim Weggehen noch zu Golz: «Hr. Graf, Sie haben, nicht bloss um Ihr Land, sondern um die Intressen des europäischen Friedens sich verdient gemacht, indem Sie bei Ihrem Cabinete entschieden angerathen haben, auf die Vermittlung der Grossmächte einzugehen, wie Sie schon bei meinem lezten Besuche mich versicherten, es thun zu wollen. Ich habe nun doch Hoffnung, dass der Friede erhalten werden könnte. Sollte es nicht möglich werden, nun, so zähle ich darauf, dass jede der kriegführenden Mächte unser kleines Land, das aber entschlossen ist, nöthigenfalls mit einem Heer von 100,000 Mann u. im äussersten Falle mit einer eben so starken Landwehr gegen jeden Angriff zu vertheidigen, in seiner neutralen Stellung achten u. sich im eigenen Intresse wohl hüten werde, die Schweiz, die neutral bleiben will, durch Verlezung ihrer Neutralität zum Feinde zu machen. Golz antwortete mir: «Sie haben ganz recht. Was uns betrifft, so gehen unsre Operationspläne nicht durch die Schweiz. Da gienge es uns zu langsam vorwärts. Wir hätten andere Wege». Es sind diese in der Lebhaftigkeit seines Gespräches gefallenen Worte immerhin beachtungswerth, um so mehr da gerüchteweise mir gesagt wurde, man soll sich von dieser Seite her etwas in Acht nehmen. Ich fasse das Schlussergebniss der von mir über die jezige Situation an verschiedenen deutschen u. französischen Quellen eingezogenen neuesten Information folgendermassen zusammen:
1. Das Zustandekommen einer Conferenz darf als sehr wahrscheinlich angesehen werden u. wird hoffentlich bald offiziell als gesichert gemeldet werden. Damit ist so viel gesichert, dass es jedenfalls in den nächsten Monaten nicht zum Ausbruch des Krieges kommen wird, wenn nicht ein ganz unvorhergesehener Inzidenzpunkt dazwischen trit, was nicht wahrscheinlich ist.
2. Der Kaiser der Franzosen (das habe ich von ihm ganz nahestehender sein ganzes Vertrauen geniessender Seite erfahren) wünscht ganz entschieden – wenigstens in nächster Zeit – dem Krieg auszuweichen, sonst hätte er nicht von vornherein für Negotiationen auf Basis der Vermittlung der Mächte einzugehen sich bereit erklärt, unter Verzichtleistung nicht bloss auf Anexion v. Luxemburg, sondern auf Anexion der belgischen Pläze Marienburg & Philippeville wie solche Oestreich zuerst proponirte.
3. Zuerst die Haltung von England, dann aber auch diejenige v. Russland u. die Gewissheit, dass Oestreich in keine Allianz mit Frankreich sich einlassen könnte (schon mit Rüksicht auf die 8 Millionen Deutsche, die noch zu Oestreich gehören) haben wesentlich zur friedlichen Gestaltung der Dinge beigetragen. Ob nicht die Machtvergrösserung Deutschlands u. die Situation Frankreichs nach Innen etwas stärker doch den Keim zu einem Kriege bildet ist eine andere Frage. Für jezt ist schon viel gewonnen, dass der Ausbruch des Krieges verhindert werden kann.
4. Es ist eine beachtenswerthe Erscheinung, dass in Deutschland u. in lezter Zeit auch hier Manifestationen durch Adressen von Handwerkern & Kaufleuten erfolgen, in welchen der Abscheu gegen den Krieg als für Civilisation & Freiheit gleich gefährlich dargestellt wird.
Die Haltung der Grossmächte wird auch später auf das Verhalten Frankreichs nicht ohne Einfluss bleiben, u. die öffentl. Meinung in Europa ist auch eine Macht, die man nicht ungestraft missachten kann.
Damit schliesse ich meinen heutigen Rapport, zu dem Sie meine Depeschen vom 22ten, 23- u. 25ten4 1.M. bereits vorbereitet haben, da dieselben gerade diejenige Wendung der Dinge als wahrscheinlich bezeichneten, die nun als faktisch eingetreten anzusehen ist. Nachschrift
Wenn ich zuweilen in meinem Rapporte etwas an andrer Stelle nachtrage, was schon früher hätte passender erwähnt werden können, so mögen Sie es damit entschuldigen, dass ich Ihnen meine Depeschen & Rapporte (nach Copienahme durch die Presse) immer gleich so sende, wie sie mir aus der Feder fliessen. Eine Umschreibung würde in der Regel die Absendung um einen Tag verspäten, u. ich glaube voraussezen zu dürfen, es sey Ihnen lieber, auch wenn es zuweilen auf Kosten der Form geschehen muss, meine politischen Berichte so schnell als möglichzu erhalten. Betreffend die Interpretationserklärung zur Consularconvention mit Brasilien, wird morgen ein Bericht abgehen in Folge einer Unterredung, die ich mit dem Brasilianischen Geschäftsträger Hrn. v. Villeneuve gepflogen habe. Über die zu erwartenden Eröffnungen des preussisch. Gesandten Röderer5 ersuche ich, mich ebenfalls zu berichten.