Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.2. Relations commerciales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 422
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#700* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 14 (1861–1861) |
dodis.ch/41421
Ich habe Ihnen schon in meinem Schreiben vom 7. Februar bemerkt2, dass, auch wenn ich einmal im Besize der erforderlichen Vollmachten mich befinden werde, in Bezug auf einen Handelsvertrag und eine Übereinkunft wegen Aufhebung der Pässe, es doch in meiner Absicht liege, mich zunächst zu vergewissern, welche Aufnahme eine Proposition zu diesfälligen Unterhandlungen finden werde. Thouvenel hatte während der Debatten über die Adresse im Senat die Audienzen eingestellt. Dagegen war auf gestern Nachmittag 3–5 Uhr wieder einmal ordentliche Audienzzeit angesezt. Ich begab mich daher ins Ministerium des Äussern. In der Unterredung mit Thouvenel erinnerte ich ihn an beförderliche Behandlung und Erledigung der Frage betreffend die anonymen Gesellschaften der Schweiz und ihr Recht, in Frankreich vor Gericht aufzutreten, « d’ester devant les tribunaux en France». Er bemerkte mir, die Sache liege noch beim Justiz- und beim Handelsministerium. Ich werde bei leztern mahnen.
Sodann theilte ich ihm mit, dass ich im Besitz von Instruktionen mich befinde, welche mich ermächtigen, die Fragen betreffend Unterhandlungen für einen Handelsvertrag und für gegenseitige Aufhebung der Pässe bei der französischen Regierung in Anregung zu bringen. Die Äusserungen Thouvenels auf diese Eröffnung waren so ziemlich in Übereinstimmung mit dem, was ich schon seit einiger Zeit über seine Gesinnungen in Erfahrung gebracht hatte. Thouvenel meint nämlich, es sei besser, mit diesen Unterhandlungen einstweilen noch zuzuwarten, und wenn er auch allerdings zugeben musste, dass dieselben schon ihrer Natur nach in keiner Weise mit hängenden politischen Fragen in Connexität gebracht werden können, so ging mir denn doch aus seinen Äusserungen hervor, dass er gerne über die Art und Weise, wie die Schweiz in Bezug auf die Savoyerfrage in Zukunft auftreten werde, gewisse beruhigende Erklärungen hätte, ehe Unterhandlungen über die oben bezeichneten Fragen eröffnet werden können. Ich erklärte ihm mit aller Bestimmtheit, das sei geradezu unmöglich. Die Schweiz könne und werde politische internationale Fragen, welche bei den europäischen Mächten anhängig seien, in keiner Weise in Verbindung bringen lassen mit Fragen über Handelsverhältnisse und über Pässe. Es wäre dies mit der ganzen Haltung, welche die Schweiz in der Savoyerfrage eingenommen habe und mit ihrer Würde geradezu unvereinbar. Auch betreffend die Aufhebung der Pässe äusserte Th. ein Bedenken; das nämlich, dass Frankreich nie mehr einen Unterschied in der Behandlung der Israeliten zugeben werde, wie die Schweiz solchen bisher gestüzt auf die bekannte Erklärung von Rayneval (vom 7. Aug. 1826)3 festgehalten habe. Ich erwiederte Herrn Thouvenel: das sei eine Frage, die mit der Aufhebung der Pässe ganz und gar nichts gemein habe. Sie beziehe sich auf die Nieder-/assimgsverhältnisse. Bei der Aufhebung der Pässe handle es sich aber bloss um Beseitigung dieser Formalitäten für Reisende. Der Israelite habe bisher in der Schweiz reisen können mit einem Pass, ohne dass man sich um seine Confession bekümmert habe. In Zukunft könnte er dann reisen, ohne dass er einen Pass nöthig habe. Seine Stellung würde also in gleichem Verhältnis eine günstigere, wie die jedes Franzosen von christlicher Confession. Thouvenel, ohne für einmal sich weiter zu äussern, bemerkte nur noch, er werde auch mit dem Handelsminister betreffend die Frage eines Handelsvertrages mit der Schweiz Rüksprache pflegen.
Sie sehen, dass Thouvenel unsern Propositionen nicht besonders gewogen ist, und ohne jedoch sich für einmal in abweisendem Sinn zu äussern, wenigstens eine Verschiebung nicht ungern sehen würde.
Ich lasse mich aber hiedurch umso weniger entmuthigen, als mir diese seine persönliche Ansicht nicht unerwartet kam, sondern schon längere Zeit bekannt war, wie ich Ihnen auch berichtet habe. Eine wenn auch kurze Unterredung mit dem Kaiser am lezten Balle in den Tuilerien giebt mir Zuversicht, dass unsre Proposition bei ihm günstigere Aufnahme findet, als bei dem Minister des Äussern. Demungeachtet halte ich es für klug, mit der schriftlichen Eingabe noch nicht zu eilen, und mich einer entsprechenden Aufnahme vorher möglichst zu versichern. Der Umstand, dass sich in beiden offiziösen Abendblättern, die ich soeben gelesen (und wovon ich Ihnen wenigstens die Notiz der Patrie telegraphisch meldete), bereits angezeigt findet, es stehen Unterhandlungen mit der Schweiz in Aussicht und Turgot werde nach Bern zurükkehren, bestärkt mich in der Ansicht, dass meine ersten, wenn auch nur mündlichen offiziellen Eröffnungen in den Tuilerien besser aufgenommen worden sind als im Ministerium des Äussern. Thouvenel hat nämlich ohne allen Zweifel heute Vormittag (wo er in den Tuilerien war) über meine Eröffnungen dem Kaiser vorläufig relatirt.
Ich gedenke in den nächsten Tagen eine Audienz bei Persigny zu verlangen und glaube, dort einer günstigeren und ermunternden Aufnahme unsrer Propositionen ziemlich sicher zu seyn, und zwar in dem Sinn, wie ich solche einzig als zulässig ansehe, nämlich mit Ausschluss jeder Beimischung von politischen Fragen.
Noch kann ich Ihnen beifügen, dass ich die vorläufige Meldung in den Blättern Patrie und Pays, Turgot werde bald wieder nach Bern zurükkehren, für richtig halte. Es dürfte übrigens auch dies mehr in den Ansichten des Kaisers und in denen von Persigny liegen, als in denjenigen von Thouvenel. Turgot ist entschieden auf Seite Persignys in diesen Fragen, und ganz und gar nicht einverstanden mit den Bedenken, welche Thouvenel erhebt; und wird sehr gerne wieder nach Bern zurükkehren. Ich weiss dies von ihm selbst.
In den hiesigen diplomatischen Kreisen hat die Rede des Prinzen Napoléon, die ich Ihnen am Tag ihres Erscheinens durch den Moniteur4 mitgetheilt habe, ausserordentliche Sensation erregt und bildet noch fortwährend Gegenstand der Besprechungen und unverholener Besorgnisse. Die Art, wie von der Vernichtung der Fünfzehner Verträge, vom Anschluss an das Volk im Gegensaz zu den Souveränen, von der Vernichtung der weltlichen Gewalt des Papstes gesprochen worden ist, hat bei den Diplomaten das schon vorhandene Misstrauen noch in hohem Masse gesteigert.
Mag auch Billault noch so bestimmt gesagt haben, nur die Minister vertreten die Ansichten der Regierung in den Kammern, so weiss doch nun jedermann, dass im Wesentlichen der Kaiser nicht nur mit der Rede des Prinzen einig geht, sondern ihm dafür seinen vollen Beifall zu erkennen gab. Ja ich kann noch (und zwar aus ganz guter Quelle) beifügen, dass der Prinz, ehe er im Senat sich vernehmen liess, dem Kaiser mitgetheilt hat, in welchem Sinn er sich auszusprechen gedenke. Persigny äussert bei jedem Anlass seinen Beifall zu der von Prinz Napoléon proclamirten Politik. Der schlagendste Beweis aber dafür, dass der Kaiser in den Hauptpunkten mit dem Inhalt der Rede des Prinzen einig geht, liegt wohl darin, dass der Minister des Innern in einer besondern Broschüre die Rede des Prinzen Napoléon durch die Präfekten massenhaft in den Gemeinden der Departements austheilen lässt!
Natürlich hat alles dies die Friedensaussichten sehr getrübt, und die Demonstrationen in Polen in Verbindung mit den Vorgängen in Ungarn geben dem Programm der kaiserlichen Politik noch grössere Wichtigkeit. In den hiesigen hohen und höchsten Regionen soll man entschiedene Sympathien für Polen haben, wenn man auch wegen des Verhältnisses zu Russland sich höchst rükhaltend äussert. Doch soll sich der Kaiser (wie ich gestern vernahm) in einer Unterredung mit Kisseleff entschieden zu Gunsten von Conzessionen geäussert haben, welche der Kaiser von Russland schon in seinem eigenen Interesse den Polen gewähren sollte. Die Bewegung in Polen sei weit allgemeiner und tiefergehend als bisher die Presse sie dargestellt hat. Ja in Russland selbst soll die Bewegung, welche auch für Russland eine Constitution verlangt, sehr tiefe Wurzeln gefasst haben. Die Frage der Aufhebung der Leibeigenschaft giebt dieser Bewegung noch eine grössere Bedeutung.
[...]5 - J 4
- 1
- E 2300 Paris 14.↩
- 2
- E 13(B)/166.↩
- 3
- Publié dans Repertorium der Abschiede der eidgenössischen Tagsatzungen aus den Jahren 1814–1848, bearbeitet von W. Fetscherin, Bern 1874–1876, II, p. 926–927.↩
- 4
- Discours prononcé dans la séance du Sénat du 1er mars 1861. Cf. Moniteur universel du 2 mars 1861, No, p. 274-277.↩
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