Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 361
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.20#1000/1311#1* | |
Old classification | CH-BAR J 1.20(-)1000/1311 1 | |
Dossier title | Briefwechsel mit Alfred Escher über Eisenbahnpolitik (1857–1860) |
dodis.ch/41360
Mein lieber Freund!
[...]
Was nun die Angelegenheiten anbetrifft, über welche Du meine Ansicht zu vernehmen wünschest2, so werde ich mich bei Beurtheilung derselben nicht auf den Standpunct der Nordost-Bahngesellschaft, als vielmehr auf denjenigen eines Mitgliedes der Bundesbehörde zu stellen haben. Ich erwähne daher nur im Vorbeigehen, dass ich vom Standpuncte der Nordost-Bahngesellschaft aus sehr im Zweifel bin, ob das Zustandekommen irgend einer Alpenbahn im Interesse derselben liege. Wenn eine solche auch der Nordost-Bahn etwelche Alimentation zuführen dürfte, so kann sie auch an und für sich und durch Concurrenzlinien der Nordost-Bahn, deren Zustandekommen eine Alpenbahn begünstigen dürfte, hinwieder mancherlei Verkehr von der Nordost-Bahn ablenken. Stelle ich mich nun aber auf den Standpunct eines Mitgliedes der Bundesbehörde, so kann man wohl nicht in Abrede stellen, dass die Erbauung einer die Schweiz mit Italien verbindenden Alpenbahn der Schweiz volkswirthschaftliche Vortheile brächte, nicht deshalb, weil etwa Transitverkehr auf die Bahn gezogen würde – dieser hat nur für die Eisenbahnen, nicht aber für das Land an sich Bedeutung – sondern weil der Austausch der Producte, Fabrikate, usw. zwischen der Schweiz und Italien erleichtert würde. In dieser letztem Beziehung darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, dass der Bau des Mont-Cenis und Brenner, sowie die Eisenbahn Genf – Marseille, verbunden mit der wohlfeilen Meerstrasse von Marseille nach den italienischen Häfen, bei der Concurrenz, welche zwischen diesen drei Strassen entstehen wird, zur Erleichterung des Verkehrs zwischen der Schweiz und Italien mit Beziehung auf Geld und Zeit sehr wesentlich beitragen werden. Dessen ungeachtet halte ich die Ansicht fest, dass die Entstehung einer die Schweiz mit Italien unmittelbar verbindenden Alpenbahn unserm Lande volkswirthschaftliche Vortheile bringen wird. Die politischen und militärischen Vortheile dürften wesentlich darin zu finden sein, dass Tessin besser mit der Schweiz verbunden würde und leichter vertheidigt werden könnte, sowie dass die Schweiz eine Verbindung mit dem Meere über das Gebiet eines Staates zweiten Ranges erhielte. Es entsteht nun die Frage, welche Opfer diese Vortheile werth wären. Und hier scheint mir die grösste Behutsamkeit statt zu thun. Das Unternehmen der Alpenbahn an und für sich wird auf jeden Fall ein finanziell ungünstiges werden. Ungeheure Baukosten und ein durch die 3 oben erwähnten Strassen, welche als sehr mächtige und darum höchst gefährliche Concurrenzlinien anzusehen sind, ungemein bestrittener Verkehr! Ich nenne jene 3 Strassen mächtig und darum gefährlich, weil sie zum grössten Theile im Besitze von Eisenbahngesellschaften sind, welche ungeheure Geldmittel zur Verfügung haben, welchen ein enorme Renten abwerfender Verkehr gesichert ist und welche daher in Betreff des nicht gesicherten, sondern bestrittenen Verkehrs grosse Taxermässigungen eintreten lassen können, und zwar um so mehr, weil es sich dann meistens um sehr lange Linien handelt, auf welchen Taxreductionen um so eher bewilligt werden können. Nun dürfte freilich etwa zu sagen sein, wenn auch eine die Schweiz mit Italien unmittelbar verbindende Alpenbahn kein günstiges finanzielles Geschäft wäre, so sei sie ein Opfer einer Reihe von Millionen für die Eidgenossenschaft wohl werth. Ich könnte auch das noch zugeben, wenn es sich um 15–20 Millionen handeln würde, welche die Eidgenossenschaft geradezu als Subvention (somit à fonds perdu) für die Alpenbahn hergäbe. Aber hier stellt sich mir nun die Besorgnis entgegen, dass es sich bei dem Stellvertreter des Post- und Baudepartementes3 nicht so fest um die Alpenbahn, als um die Realisirung gewisser anderer, viel weiter reichender Projecte handelt, die man nicht auf directem Wege anzustreben wagt und denen man dadurch, dass man ihnen ein zugleich verhüllendes und gewinnendes Mäntelchen umhängt, indirect zur Verwirklichung zu verhelfen bemüht ist. Ich befürchte, es handle sich darum, mit der Handhabe der Alpenbahn auf eine Begünstigung gewisser Lieblingslinien und zuletzt auf eine Übernahme sämmtlicher Eisenbahnen durch den Bund hinzuwirken. Wenn die Alpenbahn wenigstens auf dem Papiere da ist, so wird es dann heissen: Jetzt haben wir eine Bahn von Flüelen bis Arona (denn augenscheinlich ist es auf den Gotthard abgesehen!). Rückwärts Flüelen ist aber der Bund in den Händen der Eisenbahngesellschaften, die diesmal dann nicht als schwach und zerrissen, sondern als allmächtig werden dargestellt werden. Also von Eisenbahngesellschaften unabhängige Linien! Es wird dann der Bau einer Linie Flüelen-Brunnen und die Übernahme der Linien der Ostwestbahn Brunnen-Zug, Zug-Luzern-Entlebuch-Emmenthal- Bern-Biel und Zug-Rapperswil als eine Nothwendigkeit dargestellt werden. Im Westen trifft man bei dieser Combination den Franco-Suisse, im Osten die Vereinigten Schweizerbahnen. Beide werden gerne mit sich reden lassen. Auf diese Weise hat dann der Bund Eisenbahnen von der südlichen bis zu der nordwestlichen und der nordöstlichen Grenze der Schweiz. Diesen Eisenbahnen stehen die noch nicht mit denselben vereinigten Privateisenbahnen gegenüber. Die erstem, denen die Bundesgesetzgebung zur Seite steht, werden durch dieselbe gegenüber den letztem in Vortheil gebracht werden wollen, bis die noch übriggebliebenen Privateisenbahnen – sich auch ergeben! Ich brauche Dir nicht nachzuweisen, dass diese Perspective droht und wie gefährlich sie für die Schweiz in politischer und in finanzieller Beziehung ist. In letzterer Beziehung hebe ich nur besonders hervor, dass die Zölle die einzige Finanzquelle des Bundes sind und welche Folgen eine Erhöhung der Zölle für die Industrie der Ostschweiz und hauptsächlich des Cantons Zürich haben müsste. Meine Schlussansicht geht also dahin, dass, wenn ich auch nicht stark davor zurückschrecken würde, dass der Bund 15–20 Millionen Franken für eine Alpenbahn geradezu hergebe, ich hinwieder befürchte, es wolle in der Alpenbahn nur das Mittel zu einem Zweck von viel grösserer und geradezu ruinöser finanzieller Tragweite gefunden werden.
Es erübrigt mir nur noch, an zwei Thatsachen zu erinnern. Die erste ist, dass seiner Zeit schon vom Bunde und mittlerweile von Eisenbahngesellschaften Alpenbahn-Studien, zum Theile in bedeutendem Umfange, angestellt worden sind. Reichen diese Studien nicht hin? Müssen denn durchaus neue angeordnet werden? Je mehr in dieser Richtung geschieht und ausgegeben wird, desto mehr wird die Zukunft präjudizirt. Ferner hat mir am letzten Donnerstag die Abordnung der Vereinigten Schweizerbahnen, mit der ich Unterhandlungen hatte (Wirth-Sand & Michel), mitgetheilt, der Lukmanier habe wieder grosse Chancen und er biete in finanzieller Beziehung kaum mehr Schwierigkeiten dar. Das wäre dann eine Alpenbahn, die ohne das Eingreifen des Bundes zu Stande käme.
Schliesslich ersuche ich Dich noch, einer Eingabe der Direction der Nordost-Bahn betreffend Herabsetzung des Transitzolles vom Werthe Deine Aufmerksamkeit zuwenden zu wollen.4 Sie ist ans Zolldepartement gerichtet, wird aber von dem letztem wohl dem Bundesrathe vorgelegt werden. Ich habe Dich wirklich bloss zu bitten, die Eingabe – zu lesen. Ist dies geschehen, so ist mir Deine Ansicht in Sachen nicht zweifelhaft. Wenn die Sache im Bundesrathe zur Behandlung kommt, so bitte ich nur, keine Halbheiten aufkommen zu lassen, die den Anschein einer Berücksichtigung haben, aber zu gar keinem practischen Resultate führen. Wünschest Du in Sachen noch mündliche Rücksprache mit mir zu nehmen, so werde ich für einige Stunden nach Bern zu kommen suchen.
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Kingdom of Sardinia Gotthard railway, Planning (1851–1871)
Railway Transit and transport Italy (Economy) Tunnels in the Alps