Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 1, Dok. 333
volume linkBern 1990
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E1007#1995/533#43* | |
Dossiertitel | April - Juni 1859 (Nr. 1201-2791) (1859–1859) | |
Aktenzeichen Archiv | 7.1.1 |
dodis.ch/41332
Veranlasst durch Ihr Schreiben vom 6. dies.2, gebe ich Ihnen vollständigen aktenmässigeren Aufschluss über unsere Verhandlungen mit dem Wiener Kabinet betreffend die schweizerische und savoyische Neutralität.
Den Anfang der Korrespondenz darüber bildet ein konfidentielles Schreiben von mir, d. d. 27. Januar 1859, an Herrn Steiger in Wien, gleich wie Ihnen zur nämlichen Zeit ebenfalls geschrieben wurde.3 Ein Auszug dieses Schreibens liegt
Am 5. März wurde an Herrn Steiger die nämliche Instruktion ertheilt, welche am selben Tage auch an Sie abgieng.4 Ich verweise deshalb auf die in Ihren Händen befindliche Zuschrift.
Die auf die Frage bezüglichen Rükäusserungen des Hrn. Steiger sind in beiliegenden Depeschen-Auszügen enthalten, d.d. Wien 3. und 11. Februar., 8., 11., 22. und 29. März 1859.5 Aus diesen Akten ergibt sich klar, wie in Wien die Frage verhandelt wurde. Das Wienerkabinet war hiernach über die Auffassungsweise der Schweiz vollständig im Klaren.
Noch dezidirter lautet die Sprache, die ich in Bern gegenüber dem österreichischen Gesandten führte. Ich machte ihn gleich anfangs (im Februar schon) auf das Verhältnis Savoyens und speziell auf die Eisenbahnfrage aufmerksam und erklärte ihm mehrmals: die Schweiz anerkenne eine Pflicht den Eisenbahndurchzug zu hindern nicht und werde eine solche Verhinderung auch nicht unternehmen. An den Mächten sei es, die Verträge, die sie unterzeichnet, zu achten; die Schweiz werde auf diese Achtung nur dringen, so weit ihre Interessen dabei ins Spiel kommen, etc. Damit war auch die Frage der Protestation erledigt, auf die von Mensshengen anfangs auch abstellte. Sobald die Schweiz die Besezungspflicht nicht anerkennt, sobald der Durchmarsch über die Eisenbahn ihre Interessen nicht berührt, wäre eine Protestation allerdings ausser ihrer Stellung gewesen.
Österreich selbst scheint nach der neuern Korrespondenz übrigens nicht gegen die Schweiz, sondern gegen Frankreich reklamiren zu wollen, obschon es gerne gesehen würde, wenn die Schweiz auf die Idee einer Protestation eingegangen wäre. Die Depesche des Grafen Buol d. d. 2. dies.6, die Ihnen in Abschrift bereits zugesandt worden, gibt hierüber Aufschluss.
Herrn von Mensshengen habe ich auf die Mittheilung dieser Depesche hin erklärt, dass und warum die Schweiz zu einer Protestation sich nicht veranlasst sehe. Ich glaube nicht, dass weitere Reklamationen folgen werden.
Auch den hiesigen englischen Gesandten und später (nach dessen Ankunft) auch den preussischen7 habe ich über die Anschauungsweise der Schweiz vollständig orientirt.
Mehr als Obiges beschäftigt mich die Möglichkeit einer Abtretung Savoyens an Frankreich. Wenn auch jezt Frankreich feierlich erklärt, keine Eroberungen machen zu wollen, so können die Kriegsereignisse ganz andere Situationen und Entschlüsse herbeiführen. In deutschen Blättern wurde positiv behauptet, dass in dem geheimen Vertrage zwischen Frankreich und Sardinien8, von dem sich Österreich eine Abschrift zu verschaffen gewusst haben soll, die Abtretung vorgesehen sei. Ich habe mich konfidentiell an den österreichischen Gesandten gewendet, um darüber bestimmt Auskunft zu erhalten; ich bezweifle die Thatsache deshalb, weil sonst Österreich den Vertrag wohl sofort publizirt oder wenigstens den betheiligten Staaten zur Kenntnis gebracht hätte.
Zu aller Vorsorge wird hier ein Memorial9 über die Verhältnisse Savoyens zur Schweiz schon jezt vorbereitet, um im geeigneten Momente den Kabineten mitgetheilt zu werden. Mehrere Mächte (England, Preussen) werden den Vorstellungen der Schweiz unzweifelhaft Gehör schenken, vielleicht selbst Frankreich.
Ich mache Sie auf diese Frage jezt schon aufmerksam.
Die Existenz eines französisch-russischen Vertrages wird uns von zuverlässiger Seite bestätigt. Russland verspricht mit 30CP000 Mann zu operiren, wenn Deutschland sich regt!
Zugleich ersuche ich Sie, unter der Hand zu erfahren, ob im französischen Hauptquartier schweizerische Offiziere, die offiziell vom Bundesrath beglaubigt würden, zugelassen würden, um den Kriegsereignissen zu folgen und an den Bundesrath von Zeit zu Zeit Bericht zu erstatten. Da ich eine bejahende Antwort bezweifle, so möchten Sie vorläufig eine offizielle Anfrage nicht stellen, um nicht einen offiziellen Abschlag zu erhalten. Sie können wohl auch erfahren, ob anderen Staaten ein solcher Zutritt gestattet wird.
Direkte Berichte vom Kriegsschauplaze gehen uns sozusagen keine zu; seien Sie deshalb mit Ihren telegraphischen Mittheilungen nur nicht zu sparsam für erheblichere Nachrichten, die Sie dort erfahren.
Genehmigen Sie etc.
Nachschrift: Auf Ihren Brief vom l.dies.10 unterblieb bis jezt eine spezielle Beantwortung, weil ich von der Ansicht ausgieng, dass in unserer Zuschrift vom gleichen Tage11 diese Beantwortung bereits enthalten sei. Nach nochmaliger Durchsicht der leztern überzeugte ich mich, dass dies nicht der Fall ist, deshalb obige einlässliche Zuschrift.
Erst jezt bin ich im Falle, Ihrem frühem Verlangen um eine neue Karte des neutralisirten Savoyens zu entsprechen; alle Exemplare der frühem Karte waren erschöpft.
Tags
Frankreich (Politik)
Zweiter Italienischer Unabhängigkeitskrieg (1859)