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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 1, doc. 321
volume linkBern 1990
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2#1000/44#404* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2(-)1000/44 64 | |
Titre du dossier | Sardisch-Französischer Krieg gegen Österreich, 1859 (1859–1859) | |
Référence archives | B.262 |
dodis.ch/41320 Proposition du Chef du Département politique, J. Stämpfli, au Conseil fédéral1
Bei der obwaltenden Spannung zwischen benachbarten Mächten erachtet es das Departement an der Zeit, dass der Bundesrath über die möglichen Eventualitäten und die zu ergreifenden Massnahmen in Berathung trete.
Über die von der Schweiz im Falle des Kriegsausbruches einzunehmende Haltung herrscht zwar von vornherein kein Zweifel, es ist diejenige der Neutralität; allein wie und in welcher Ausdehnung diese leztere aufrecht erhalten und welche einleitenden Schritte dafür gethan werden sollen, darüber sind nähere Erörterungen nothwendig.
Jedem Staat steht das Recht, gegenüber den Kämpfen Anderer sich neutral zu verhalten, von Natur zu, weil ohne vorausgegangenes Bündnis keine Verbindlichkeit besteht, an den Kriegen Anderer sich zu betheiligen. Die Anerkennung der schweizerischen Neutralität durch die europäischen Mächte bringt also der Schweiz im Grunde kein neues Recht, sie ist nur insofern von Bedeutung, als sie die Mächte verpflichtet, die Neutralität der Schweiz zu respektiren und jeder derselben das Recht giebt, die Verlezung derselben durch eine der übrigen anerkennenden Mächte zum casus belli zu machen; wir sagen ausdrücklich das Recht: denn eine Pflicht dazu fliesst aus der blossen Anerkennung nicht.
Die Urkunde der Mächte vom 20. November 18152 enthält aber neben der Anerkennung der Neutralität auch die Gewährleistung der Integrität und Unverlezbarkeit des schweizerischen Gebietes, was eine Gewährleistung der Neutralität selbst in sich schliesst.
Dies verpflichtet die garantirenden Mächte allerdings, eine Verlezung der Neutralität der Schweiz zum Kriegsfall zu machen und sich derselben werkthätig zu widersezen. Ob die Schweiz von ihrem hieraus entstehenden Rechte je Gebrauch machen soll, ist dagegen eine andere Frage. Dieses Rechtes soll sie sich jedenfalls nie getrosten, denn entsprächen auch die angerufenen Mächte, so hätte dies eine Calamität zur Folge, wie ein direkter Krieg sie kaum grösser bringen könnte, nämlich den Kriegsschauplaz auf ihr eigenes Gebiet zu ziehen.
Will die Schweiz im eintretenden Falle ihr Neutralitätsrecht behaupten, so muss sie auf ihre eigene Kraft und Entschlossenheit sich stüzen. Eine blosse Proklamation der Neutralität, eine Berufung auf die europäische Anerkennung und Gewährleistung, eine Protestation gegen die Verlezung sind von keiner Bedeutung, wenn sie nicht von dem gleichzeitigen Beschluss begleitet sind, mit den Waffen in der Hand dafür einzustehen.
Die bloss passive Neutralität nämlich würde dahin führen, dass, sowie die Truppen einer kriegführenden Macht zu ihren Operationen gegen den Gegner unser Gebiet widerstandslos in Anspruch nähmen, dieser Gegner selbst unsere Neutralität auch nicht mehr anerkennen würde; er könnte uns der Begünstigung des Feindes zeihen und entweder uns direkt feindlich behandeln oder wenigstens die gleiche Begünstigung für sich in Anspruch nehmen. In beiden Fällen würde unser Gebiet zum Kriegsschauplaze. Nimmt die Schweiz bei den bevorstehenden Ereignissen das Recht der Neutralität in Anspruch, so übernimmt sie also gleichzeitig die Pflicht, dafür eintretenden Falls mit all ihrer Macht einzustehen, und muss zu dem Zwek rechtzeitig die geeigneten, militärischen Vorbereitungen treffen. Diese Vorbereitungen brauchen keinen ostensiblen Charakter anzunehmen, solange als die Kriegsrüstungen der benachbarten Mächte nicht offenkundig betrieben werden. Sobald aber lezteres geschieht, und dies ist sowohl in Frankreich und Sardinien, als in Ostreich notorisch der Fall, so hat auch die Schweiz gar keinen Grund, aus ihren Vorbereitungen ein Geheimnis zu machen. Erklärungen darüber an die Mächte zu geben, ähnlich wie Sardinien und Österreich mit Circularnoten bereits gethan, braucht die Schweiz nicht, da gegen sie gewiss keine Macht das Misstrauen einer aggressiven Politik hegt. Zwekmässig erscheint es jedoch immerhin, wenn aus solchen Vorbereitungen nicht zuviel Lärm gemacht wird, und sie nicht absichtlich an die grosse Gloke gehängt werden. Der erste Antrag des Departements geht demnach dahin:
1. dem Militairdepartement den Auftrag zu ertheilen, mit den angemessenen Vorbereitungen einer allfälligen Truppenaufstellung sich ernstlich zu beschäftigen und desfalls nöthige Anträge dem Bundesrathe vorzulegen.
2. das Finanzdepartement zu beauftragen, sich damit zu beschäftigen, wie die erforderlichen Gelder nöthigenfalls am besten beschafft werden können und auch darauf Bedacht zu nehmen, dass hinreichendes Rohmaterial für Pulverfabrikation (Salpeter) rechtzeitig zur Stelle gebracht werde.
Wenn über die Handhabung der Neutralität unseres eigenen Gebietes kein Zweifel obwaltet, so erscheint hingegen die Frage schwieriger in Beziehung auf den der schweizerischen Neutralität einverleibten Theil von Savoien. Darüber herrscht vorerst kein Zweifel, dass die garantirenden Mächte zu dem neutralisirten Savoyen in dem ganz gleichen Verhältnisse stehen, wie zu der neutralisirten Schweiz selbst; d. h. sie haben die Neutralität Savoyens anerkannt und gewährleistet in gleicher Weise wie die Neutralität der Schweiz; jede von ihnen hat also die Verpflichtung, dieselbe zu respektiren und nöthigenfalls werkthätig dafür einzustehen.
Ob die Schweiz aber zu dem neutralisirten Savoyen in gleichem Verhältnisse stehe, wie zu der Neutralität ihres eigenen Gebietes, ist eine andere Frage.
Besonders handelt es sich darum, ob die Vertheidigung der savoyischen Neutralität, beziehungsweise die Besezung ihres Gebiets für die Schweiz bloss ein Recht oder aber auch eine Pflicht sei. Die Tagsazungscommission von 1831 war der erstem Ansicht; offiziell hat sich damals die Tagsatzung darüber nicht ausgesprochen; wie die garantirenden Mächte die Frage ansehen, ist bis jezt auch nicht kundgegeben worden, weil ein Anlass dazu fehlte. Voraussichtlich würden dieselben eintretenden Falls die Frage nach ihrer Convenienz entscheiden. Ostreich z. B. wird beim Ausbruche des bevorstehenden Krieges die Pflicht der Schweiz behaupten, während Frankreich und Sardinien das Gegentheil thun werden. Das Departement will daher auch vor Allem fragen, welcher Standpunkt der Convenienz der Schweiz besser entspricht. Und in dieser Beziehung kann die Antwort keinen Augenblik zweifelhaft sein: was einem Staate unbestreitbar als Befugnis zusteht, lässt er sich nicht zugleich als Verbindlichkeit auf erlegen, wenn nicht positive Bestimmungen ihn dazu verpflichten; er büsst dadurch nichts an seinen Rechten ein und behält sich auf der andren Seite die Freiheit des Handelns vor.
Ob die Schweiz von dem Besezungsra;/ite Savoiens vom Standpunkte der Convenienz aus eintretenden Falls Gebrauch machen soll, ist hinwider unbedingt zu bejahen. Die Neutralisirung Savoiens hat einen zweifachen Zwek: den einen im Interesse Piemonts, den ändern im Interesse der Schweiz. Der Zwek für Piemont ist auf den Fall berechnet, dass es von Frankreich angegriffen werde; da dieser Fall bei den bevorstehenden Ereignissen nicht vorliegt, so beschäftigen wir uns damit weiter nicht. Für die Schweiz soll die Neutralisirung Savoyens einerseits die Vertheidigung des Wallis und Simplonpasses, anderseits die Vertheidigung von Genf bezweken. Der Stipulation der Neutralität Savoyens überhaupt liegt die höhere, europäische Idee zu Grunde, die beiden rivalisirenden Mächte, Ostreich und Frankreich, in den Übergängen über die Alpen nach Italien zu paralysiren, weshalb auch sowohl in der Erklärung der Mächte vom 20. März 18153, als in der Neutralitätsurkunde vom 20. November gl. Jhrs. feierlich ausgesprochen wird, dass die Neutralität der Schweiz nicht etwa im Interesse Sardiniens und der Eidgenossenschaft, sondern im wahren Interesse aller europäischen Staaten liege.
Alle bis jezt berathenen Militärs und Staatsmänner der Schweiz (Finsler 1814, Escher von der Linth 1816, Tagsazungskommission, Kriegsrath und Oberbefehlshaber Guiguer von 1831, Staatsrath von Genf 1848)4 sprechen sich unbedingt dahin aus, dass zur Vertheidigung sowohl des südwestlichen Gebietes von Genf, als der Zugänge nach dem Wallis die günstigste, militärische Linie im neutralisirten Savoyen sich befinde. Wenn demnach die Schweiz in den Fall kommt, zur Vertheidigung der Neutralität und der Unverlezlichkeit ihres Gebietes im Westen Truppen aufzustellen, so gebietet ihr die Convenienz die günstigste militärische Linie zu besezen.
Dafür sprechen auch die weitern Convenienzgründe, dass, wenn die Schweiz die militairischen Zugänge nach dem Simplonpass, welche sie zu besezen jedenfalls das Recht hat, nicht occupiren würde, dies ihre Stellung gegenüber Ostreich in der Besezung des Luziensteiges und der bündnerischen Pässe erschweren würde und eintretenden Falls Österreich, wenn auch ohne rechtlichen Grund, veranlassen könnte zu erklären: da die Schweiz im Westen die militärische Gränze des neutralen Gebiets nicht wahre, so halte es sich nicht mehr verpflichtet, die Neutralitätsgrenzen im Osten zu respectiren.
Ferner wird eine entschiedene Haltung der Schweiz für die Neutralität von Savoyen bei eintretenden Friedensunterhandlungen und einem Friedensschlüsse sie weit minder der Gefahr aussezen, dass das linke Ufer des Genfersees in den Besiz eines Nachbarstaats gelangt, der schon die ganze übrige westliche Gränze der Schweiz im Besize hat und wodurch die Erhaltung von Genf für die Schweiz in näherer oder ferner Zukunft im höchsten Grade gefährdet würde. Dass die Schweiz dagegen auch denjenigen Theil des neutralisirten Savoyens vertheidige, welcher ausserhalb ihrer Militärgränze zum Schuze von Wallis und Genf liegt, entspricht ihrem Interesse resp. ihrer Konvenienz nicht. Es wäre dies eine Zersplitterung ihrer Defensivkraft, die gerade dem Hauptzwek, welchen die Mächte mit der Neutralisirung der Schweiz im Auge hatten, widersprechen würde. Damit kommen wir auf die Frage zurük, ob die Besezung dieses Theils von Savoyen für die Schweiz eine völkerrechtliche Verbindlichkeit sei oder nicht. Vereinfacht wird die Frage unter den gegenwärtigen Verhältnissen dadurch, dass die Besezung des unteren Savoyens jedenfalls nur im Interesse Sardiniens läge, wenn dieses im Kriege gegen Frankreich sich befände, indem dadurch im Falle eines Rükzuges den sardinischen Truppen die Abschneidung der Mont-Cenisstrasse durch den Feind erschwert würde. Gegenüber Sardinien selbst wird also jedenfalls keine Schwierigkeit entstehen, wenn die Schweiz die Besezungspflicht nicht anerkennt.
Ein fernerer Beitrag zur Lösung der Frage liegt in dem Umstande, dass zur Zeit der Wiener- und Pariser-Verträge die Militär- resp. Hauptstrasse von Lyon nach Chambéry und dem Mont-Cenis nicht durch das neutralisirte Savoyen führte, so dass es thatsächlich vorliegt, dass es keineswegs im Zweke der Wiener- und Pariser-Kongressmächte lag, die Strasse Frankreichs nach Italien über den Mont-Cenis in das Neutralitätssystem der Schweiz hineinzuziehen. Die seitherige Führung der Eisenbahn von Lyon nach Chambéry durch den äussersten Winkel des neutralisirten Gebiets ist nun nicht geeignet, den Zwek der Mächte von 1815 zu verändern, d.h. nun die neue Militärstrasse von Lyon nach dem Mont-Cenis durch die savoyische Neutralität als unterbrochen zu erklären. Es kann dies umso weniger angenommen werden, als notorischermassen keine der die schweizerische und savoyische Neutralität garantirenden Mächte gegen die Richtung dieser Eisenbahn reklamirt hat, trozdem in heutiger Zeit die Eisenbahnen die wichtigsten Militärstrassen sind.
Endlich entscheidet der Wortlaut der einschlägigen völkerrechtlichen Urkünde die Frage. Weder die Erklärungen der Mächte vom 29. März 18155, noch die Urkunde vom 20ten November gl. Js., noch der Turinervertrag von 18166 legen der Schweiz eine Verbindlichkeit auf, die neutralisirten Gebietstheile von Savoyen im Falle von Krieg oder Kriegsgefahr zu besezen, sondern überlassen es dem Ermessen der Schweiz, ob sie Truppen dahin verlegen will. Selbst wenn der Wortlaut zweifelhaft wäre, müsste die Frage so entschieden werden, indem, wenn eine Verbindlichkeit nicht positiv stipulirt ist, sie nicht als existirend angesehen wird. Diese Auslegung ist um so richtiger, als in zwei ändern Richtungen die nämlichen europäischen Urkunden ganz ausdrüklich Verbindlichkeiten festsezen: einerseits gegen die Schweiz, indem diese verpflichtet wird, rükziehenden sardinischen Truppen den Durchgang durch das Wallis zu gestatten, anderseits gegen die garantirenden Mächte, indem bestimmt wird, dass keine Truppen einer ändern Macht (als der Schweiz) das neutralisirte Gebiet Savoyens durchziehen oder besezen sollen. Hätten die Mächte in einer dritten Richtung der Schweiz eine Verbindlichkeit auferlegen wollen, so hätten sie dies sicher mit ausdrüklichen und deutlichen Worten gethan.
Auf diese Erörterungen hin stellt das Departement folgende weitern Anträge:
3. Die Schweiz hat bei einem ausbrechenden Kriege auch die Gebietstheile von Savoyen zu besezen, welche zur Vertheidigung der schweizerischen Neutralität und des schweizerischen Gebiets die günstigste militärische Linie darbieten.
4. Das Militärdepartement sei zu beauftragen, in geeigneter Weise über die militärischen Positionen im neutralisirten Savoyen, wie solche zum Schuze der schweizerischen Neutralität und des schweizerischen Gebietes am günstigsten gewählt werden können, Erkundigungen einzuziehen.
5. Die Schweiz anerkennt eine völkerrechtliche Verbindlichkeit zur Besezung Savoyens, soweit solche nicht im Interesse der Sicherung und Vertheidigung ihrer Neutralität und der Integrität [ihres Gebietes liegt, nicht.
Einmal über die Grundsäze einig, wie die Neutralität gehandhabt und wie weit dieselbe ausgedehnt werden solle, frägt es sich, wann für die Schweiz die Opportunität von zu ergreifenden Massregeln eintrete und welche einleitenden Schritte überhaupt zu thun seien.
Zunächst erscheint es dem Departemente, dass, wenn der Bundesrath über die einzunehmende Haltung einmal einig ist, in dem confidentiellen Verkehre mit den diplomatischen Vertretern des Auslandes, sowie auch gegenüber dem eigenen Lande kein Geheimnis daraus gemacht zu werden braucht, und es unverholen soll ausgesprochen werden dürfen, die Schweiz werde ihre Neutralität mit aller Macht festhalten und dieselbe auch auf die Neutralität von Savoyen erstreken, soweit es die Vertheidigung der eigenen Neutralität und des eigenen Gebiets erforderlich macht; eine Verbindlichkeit zur Vertheidigung der ausserhalb dieser Gränze liegenden Gebietstheile Savoyens anerkenne sie dagegen nicht. Eine solche offene Darlegung der zu befolgenden Politik ist nothwendig, um der Diplomatie klaren Wein einzuschenken und das eigene Volk über dasjenige, wofür es nöthigenfalls mit Waffengewalt einstehen muss, rechtzeitig zu orientiren. Zu einem eigentlichen Antrage eignet sich diese Anschauung nicht, das Departement beschränkt sich auf ihre Vormerkung.
Wann nun der Zeitpunkt des Handelns für die Handhabung der Neutralität eintreten solle, – so sagen die europäischen Urkunden mit Bezug auf das neutralisirte Savoyen indirekt, dass die Besezung dieses Gebiets geschehen könne, wenn die der Schweiz benachbarten Mächte im Zustande wirklich ausgebrochener oder unmittelbar bevorstehender Feindseligkeiten sich befinden; bezüglich auf die Neutralität des eigenen Gebiets hingegen enthalten die nämlichen Akten natürlich keine Bestimmung, da hierin die Schweiz, wie jeder unabhängige Staat, vollkommen frei ist und die geeigneten Massregeln so früh ergreifen kann, als sie will.
Die ersten Massregeln werden aber weder mit Bezug auf Savoyen, noch auf die Schweiz, in Truppenaufstellungen bestehen oder jedenfalls müssten diese Aufstellungen mit gleichzeitigen diplomatischen Schritten begleitet sein.
Dahin zählt das Departement:
a.) Diplomatische Notifikation an die europäischen Mächte7, worin die Schweiz auf die europäische Anerkennung und Gewährleistung ihrer Neutralität sich beruft und die berechtigte Erwartung ausspricht, dass alle Mächte diese Neutralität respektiren werden, und die Schweiz entschlossen sei, mit aller ihr zu Gebote stehenden Macht jeden Angriff auf dieselbe zurükzuweisen.
b.) In der gleichen Notifikation Erinnerung an die Mächte, dass laut den nämlichen europäischen Stipulationen ein Theil Savoyens in der schweizerischen Neutralität mit inbegriffen sei und die Truppen keiner ändern Macht das Recht haben, sich dort aufzuhalten oder durchzuziehen; die Schweiz erwarte, dass alle Mächte diese Stipulation respektiren werden und sie werde von ihrem Rechte Gebrauch machen, die militärische Besezung auch auf diese Gebiete auszudehnen, so weit es im Interesse der Aufrechterhaltung der schweizerischen Neutralität und der Vertheidigung des eigenen Gebietes erforderlich sei.
c.) Spezielle Notifikation an die Regierung von Sardinien8, um sie von dem Beschlüsse dieser Besezung in Kenntnis zu sezen und sie zugleich einzuladen, die nöthigen Anordnungen zu treffen, um die Verhältnisse zwischen der savoyischen Zivilverwaltung und dem schweizerischen Okkupationskommando zu reguliren.
Dass derartigen Schritten die nöthigen Schlussnahmen der Bundesversammlung vorauszugehen haben, oder wenn die Gefahr dringend wäre, die Einberufung dieser Behörde sofort erfolgen müsste, versteht sich von selbst, sowie dass eine entsprechende Proklamation an das schweizerische Volk und die Armee zu erlassen wäre.9
[...]10
Der Zeitpunkt zur Erlassung obiger diplomatischer Notifikationen wird vorhanden sein, sobald die jezt noch obwaltenden Bemühungen der Diplomatie um Erhaltung des Friedens als gescheitert anzusehen oder überhaupt die Kriegsgefahr den äussern Wahrnehmungen nach eine dringende geworden ist. Jezt ist dieser Zeitpunkt nach der Ansicht des Departements noch nicht da, er kann aber möglicherweise sehr schnell eintreten.
Die Einberufung der Bundesversammlung hat zu geschehen, sobald die schon jezt obwaltenden Kriegsbesorgnisse sich vermehren, da wenn immer möglich die diplomatischen Notifikationen sich auf einen Beschluss der Bundesversammlung stüzen sollten.
Welche militärischen Vorbereitungen im Stillen schon jezt zu beginnen sind, darüber wird das Militärdepartement dem ertheilten Aufträge gemäss, ohne Verzug berichten.
Einberufung der Stäbe, Piketaufstellungen, Eintheilung der Armee u.s. w. haben zu geschehen, wenn die jezigen Kriegsanzeichen nicht sofort verschwinden und jedenfalls mindestens gleichzeitig mit der Einberufung der Bundesversammlung.
Zu wirklichen Truppenaufstellungen ist zu schreiten, sobald an bevorstehenden Armeebewegungen der kriegführenden Mächte nicht mehr zu zweifeln ist. Nach welchen Richtungen die Aufstellungen stattzufinden haben, wird einerseits nach der Nähe der fremden Armeebewegungen und des voraussichtlichen Kriegsschauplazes bestimmt werden: also nach Genf, St. Maurice und dem obern Savoyen, überhaupt dem Westen der Schweiz; ferner nach Luziensteig und den Bündneralpenpässen überhaupt; endlich nach Tessin. Das Nähere ist Aufgabe von militärischen Dispositionen.
Die Würde und Klugheit der Schweiz erheischen, mit einer Truppenaufstellung überhaupt nicht zu zögern und ja nicht zuzuwarten, bis es zwischen den kriegführenden Mächten zu Entscheidungen gekommen ist. Wollte die Schweiz erst dann Truppen aufstellen, so dürfte es leicht zu spät sein und einen mächtigen Sieger weit mehr reizen, als wenn die Schweiz von vornherein eine energische Stellung einnimmt. Nur so wird sie sich die Achtung Europas und damit auch ihre Stellung bei eintretendem Friedensschlüsse sichern.
Nachschrift. Übereinstimmende Nachrichten gehen dahin, dass die französische Regierung mit der Eisenbahnverwaltung von Lyon nach Chambéry bereits Verträge über Truppentransporte abgeschlossen habe. Als sicher vorauszusehen ist jedenfalls, dass im Falle des Kriegsausbruches diese Eisenbahn zu Truppendurchzügen benuzt werden wird. Dies dürfte ein Grund sein, die diplomatische Notifikation der Schweiz, welche Stellung sie einzunehmen gedenkt, zu befördern. Würde sie die Besezung des untern Savoyens als Pflicht anerkennen, so hätte mindestens die Erlassung einer Protestation zu erfolgen; da sie aber die Pflicht nicht anerkennt, so ist einer Erklärung im hievor beantragten Sinne und dass sie sich aller Folgen jener Neutralitätsverlezung entschlage, der Sachlage entsprechender.
Einige untergeordnete Punkte wird das Departement mündlich berühren.11
- 1
- E 2/404.↩
- 2
- Martens, NR II, p. 682.↩
- 3
- Idem, p. 157.↩
- 4
- «Bericht des eidgenössischen Oberstquartiermeisters [H.C. Finsler]an die Hohe Tagsatzung über eine für die Schweiz wünschenswerthe Militärgrenze, vom 2. Mai 1814» (E 27/11298). «Bericht [von K. Escher von der Linth]über die Beschaffenheit der Savoyschen Neutralitäts-Lande nebst Bemerkungen über das Interesse der Schweiz in Hinsicht auf die Savoysche Neutralitäts-Erklärung, Weinmonat 1816» (D 1720). «Kommissionsbericht über die Neutralitätsverhältnisse der Schweiz zu einigen savoischen Landestheilen», du 9 avril 1831, avec 2 annexes: Lettre de C. J. Guiguer au Conseil de Guerre du 16 février 1831, et lettre du Conseil de Guerre au Président de la Diète du 3 mars 1831 (D 1720). Lettredu Conseil d’Etat de Genève au Directoire fédéral du 30 mars 1848 (D 742).↩
- 5
- Martens, NR II, p. 177.↩
- 6
- Traité du 16 mars 1816. RO 1, p. 157.↩
- 7
- Cf. la note du 14 mars 1859, No 324.↩
- 8
- Non reproduite.↩
- 9
- Cf. Circulaire aux cantons du 14 mars 1859, non reproduite.↩
- 10
- Passage relatif à la déclaration de neutralité de 1830 et aux réactions des puissances.↩
- 11
- Propositions adoptées par le Conseil fédéral le 5 mars 1859 Cf. No 322.↩