Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.3. Affaires du Tessin
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 215
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#357* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 45 | |
Dossier title | Verhandlungen der schweizerischen Delegation (1854–1856) | |
File reference archive | B.252.2.1 |
dodis.ch/41214 Proposition du Chef du Département politique, F. Frey-Hérosé, au Conseil fédéral1
In Antwort auf das Schreiben des Bundesrathes d. d. 6. d. M.2, mit welcher der Regierung von Tessin die Note des Grafen von Buol an den schweizerischen Geschäftsträger in Wien d. d. 16. Oktober3 mitgetheilt worden war, erwidert diese Regierung unterm 17. ds.4, dass sie dem in der Note enthaltenen Gedanken einer Unterhandlung mit dem Herrn Zivilgouverneur von Mailand, behufs bestmöglichster Lösung des Konflikts, für annehmbar erachtet und zu diesem Zweke vom Grossen Rathe eine unbeschränkte Vollmacht für den Bundesrath zur Lösung der Zwistigkeit mit Österreich verlangt und erhalten habe.
Spezielle Vorschläge zu formuliren wäre ebenso unziemlich als unzeitig gewesen, da sie nur den Gang und den Erfolg der Unterhandlungen hätten stören müssen.
Das Schiksal des Kantons sei in die Hände des Bundesrathes gegeben und dieser besize nun alle Vollmachten, welche ihm die Bundesverfassung einräume und welche sonst der Kantonalsouveränität zustehen.
Man hoffe, der Bundesrath werde in Anerkennung dieses Vertrauens die Sache mit Thätigkeit und Energie zu Ende bringen, inzwischen aber der Regierung, damit sie dem Grossen Rathe Bericht erstatten könne, eine beförderliche Antwort ertheilen.
Wenn das politische Departement dieser Mittheilung gerne die hie und da bestrittene Anerkennung entnimmt, dass der gegenwärtig noch schwebende Anstand mit Österreich vorab kantonaler Natur sei und nicht der Eidgenossenschaft in die Tasche geschoben werden könne, so bedauert es hinwiederum die lakonische Mittheilung der Regierung von Tessin in einer für den Kanton so hochwichtigen Sache, bei welcher man von der Regierung wol hätte erwarten dürfen, dass sie gleichzeitig ihre Ansichten ausspreche, in welcher Art und Weise und in welchem Umfange sie wünsche, dass der Bundesrath die ihm gegebene Aufgabe auffasse und in wie weit sie bei der Lösung derselben selbst mitwirken und welchen Theil der Verantwortlichkeit sie selbst übernehmen wolle. Die Kürze ist umso befremdender, weil die Regierung wol wissen konnte, dass der Bundesrath früher einmal geringe Geneigtheit zeigte, solche allgemeine Vollmachten anzunehmen, als man ihm dergleichen, unter Vorbehalt der Ratifikation des Grossen Raths, die damals aber nicht ertheilt wurde, anzubieten suchte.5
Es wäre gar nicht nothwendig gewesen, im Grossen Rathe von Tessin in Einzelheiten einzutreten, die der spätem Unterhandlung hätten schaden können; hält man aber – und mit Recht – dafür, dass öffentliche Verhandlungen über Instruktionen und besondere Weisungen behufs Lösung eines Geschäfts, für den Gang der Unterhandlung bei derselben nachtheilig seien, so wird auch nicht verkannt werden, dass die Ertheilung einer allgemeinen Vollmacht, gepaart mit dem oft ausgesprochenen Bekenntnis, dass für Tessin der gegenwärtige Zustand nicht mehr zu ertragen sei, noch viel bedenklicher erscheint, und es ganz gut gewesen wäre, die Unnachgiebigkeit des Gegners durch etliche restrictive Winke zu bekämpfen, welche ein allzu weites Vorgehen des Bevollmächtigten schon von vorneherein nicht voraussezen Hessen.
Es ist auch nicht zu verkennen, dass der Konflikt mit Österreich kein befriedigendes Ende in naher Frist finden werde, wenn man nicht gewisse Opfer bringt. Österreich hat in der politischen Frage bezüglich des eigentlichen Blokus keinen Sieg gegen die Schweiz erringen können, sondern den Blokus ohne herwärtige Zugeständnisse aufgehoben. Es wird aber umso fester auf einer Entschädigung für die Kapuziner bestehen, weil es sich hier im formellen und materiellen Recht hält, und bei der Enormität der von ihm ergriffenen Repressalie ein einfaches Zurüktreten von seinen Forderungen schon darum nicht denkbar ist, weil dadurch diese Repressalie als unbegründet karakterisirt und die Verantwortlichkeit dafür umso schwerer würde. Könnte auch nach und nach ein Erlöschen der bestehenden Anstände im Laufe der Zeit eintreten, so erforderte dieses Jahre. So lange will Tessin nicht warten, und es müssen zu einer schnellen Erledigung, wie gesagt, Opfer gebracht werden. Diese Opfer liegen nun zunächst Tessin ob, und es wäre somit an diesem Kanton gewesen, entweder gleich zu sagen, wie weit er in dieser Beziehung gehen wolle, oder doch eine Vereinbarung mit ihm vorzuschlagen, um diesen Punkt zu besprechen.
Zu berücksichtigen ist auch der Ehrenpunkt. Hätte Österreich die Konferenz über die Gränzreglirung angenommen, so wären die Kommissarien an der Gränze zusammengetreten und hätten dann ohne Anstand ihre Geschäfte an der Gränze fortsezen oder dahin oder dorthin sich begeben können, man hätte keinen Anstoss genommen, war doch das erste Zusammentreten ein gegenseitiges Entgegenkommen. Jezt bietet Herr von Buol eine Besprechung in Mailand an, es erwartet somit der österreichische Kommissär den schweizerischen und sezt sich in die Stellung des Anhörenden, beliebig gewährenden Theils, gegenüber dem Abhülfe suchenden klagenden Theil. Inzwischen scheint sich Tessin über diesen Anstand weggesezt zu haben, weil die Regierung in ihrer Zuschrift sagt, dass sie für gut befunden habe, den Gedanken der vorgeschlagenen Unterhandlungen mit dem Zivilgouverneur der Lombardie anzunehmen. Allein die Abgeordneten nach Mailand wären eidgenössische, nicht tessinische Repräsentanten, und wenn in der Sendung etwas odioses liegt, so fällt es auf die Eidgenossenschaft, nicht auf Tessin, wie denn überhaupt bei dieser ganzen Angelegenheit der Gedanke nicht verdrängt werden kann, es suche Tessin zwar fast um jeden Preis aus der von ihm herbeigeführten schlimmen Lage herauszukommen, dabei aber den bösen Schein auf fremde Schultern zu wälzen.
Es dürften dieses alles Motive für den Bundesrath sein, die ihm zugedachte unbedingte Vollmacht abzulehnen, dennoch glaubt das Unterzeichnete Departement, es sollte dieses nicht geschehen.
Die Lage des Kantons Tessin ist eine äusserst schwierige und eine Beruhigung der Parteien in demselben nicht zu denken, bis der österreichische Konflikt geordnet ist. Die Parteien bekämpfen sich auf das Heftigste und es haben sich die heterogensten Theile verbunden, um die Regierung zu stürzen. Nun scheint aber die Regierung mit ihren Freunden das bundesfreundliche Element im Kanton Tessin zu bilden, und die meisten rechtlichen, verständigen, besizenden Bürger in ihren Reihen zu haben, während die Führer der übrigen Parteien ihre Stüzen in den weniger gebildeten, ärmeren, leidenden und darum unzufriedenen Klassen suchen müssen.
Gelingt es nun der gouvernementalen Partei, den Span mit Österreich zu lösen, so wird ihre Stärke wieder wachsen und der Kanton einer ruhigem Zukunft entgegen gehen, zugleich aber auch, wie früher, fest zum Bunde stehen. Fällt aber die Regierung, so werden ihre Nachfolger wahrscheinlich zuerst, um sich zu kräftigen, um jeden Preis und vielleicht mit Hintansezung anderweitiger Betrachtungen den Anstand mit Österreich zu beseitigen suchen, worauf aber der Kampf der Parteien im Innern aufs Neue sich fortspinnen wird und Verhältnisse eintreten könnten, unter denen der Bund schwer zu leiden hat.
Die Bundespolitik räth daher, eine Beseitigung der Anstände mit Tessin möglichst bald zu erwirken.
Aber auch in materieller Beziehung allein wäre eine baldige Herstellung der frühem Verhältnisse zwischen Tessin und Österreich wünschbar. Viele Tessiner sind gewohnt, ihr Brod in der Lombardie zu suchen und dieses ist ihnen jezt verschlossen. Sie haben noch nicht gelernt, es im eigenen Land zu finden, und dürften es so bald nicht lernen. Mancher kräftige Mann legt die Hände müssig in den Schooss, oder gebraucht seine Gaben nicht vernunftgemäss, sondern wartet eine bessere Zukunft ab und zehrt inzwischen vom Mark des Landes. Auch das Eigenthum, welches Tessin in der Lombardei besizt. leidet an Frtrac und an Werth.
Im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt daher, sowol der Eidgenossenschaft als des Kantons, scheint eine beförderliche Anhandnahme und möglichst baldige Lösung des Konflikts mit Österreich durch den Bundesrath zu liegen. Diese Berüksichtigung soll ändern Gefühlen vorwalten. Seitdem Österreich einen neuen Geschäftsträger nach Bern geschikt hat, mag denn auch die Sendung schweizerischer Kommissäre nach Mailand in besonderen Geschäften leichter gerechtfertigt werden: wollte man ja früher schon zu persönlichen Besprechungen in der Lombardei Hand bieten, wenn sich Österreich zu solchen bereit gezeigt hätte.
Zudem wünscht Tessin jetzt diesen Schritt. Wollte der Bundesrath ihn verhindern oder verzögern, so würde der Vorwurf über Fortdauer des Blokus ihm zugeschleudert, von ihm Verantwortung verlangt, über ihn geklagt, dass, wenn er guten Willen zur Lösung des Konflikts gehabt hätte, dieser Konflikt längst gelöst wäre.
Das Departement hält also dafür, es sollte die Sendung von Kommissären nach Mailand stattfinden.
[...]6Was nun die Instruktion betrifft, so würde sie sagen, dass die Bevollmächtigten nach Mailand gesandt werden, um dort mit dem Herrn Zivilgouverneur der Lombardie eine Ausgleichung der obwaltenden Differenzen zu verhandeln und die Herstellung der frühem Verhältnisse zu erwirken zu suchen.
Österreich verlange Entschädigung für die ausgewiesenen Kapuziner und wünsche, dass mit dem betreffenden Ordinariat die Anstände wegen Ascona und Pollegio besprochen und beseitigt werden.
Die Herren Abgeordneten haben nun hinsichtlich der Ausweisung der Kapuziner die Gründe aufs Neue geltend zu machen, welche dieselbe veranlassten; dann aber auch die von der Regierung von Tessin s. Z. des Friedens wegen ausgesprochene Geneigtheit zur Hebung der Beschwerden eine dreijährige Pension zu bezahlen, in Erinnerung zu bringen, welches Anerbieten mit der Ausweisung der gesammten Tessiner aus der Lombardie erwidert worden sei.
Sie haben im weitern darauf hinzuweisen, dass die Schweizerjünglinge, welche laut Staatsvertrag vom 22ten Heumonat 18427 ein Anrecht auf 24 Freipläze am Seminar zu Mailand haben, seit Jahren des Genusses dieser Stiftung beraubt sind und der Schweiz noch keinerlei Entschädigung dafür geleistet wurde.
Sie werden ferner auf die ungeheuern Nachtheile hinweisen, welche den unschuldigen, aus der Lombardie ausgewiesenen über 6000 Tessinern zufielen und welche in keinem Verhältnis stehen zu den Nachtheilen, welche die Kapuziner erlitten haben.
Dessenungeachtet werden sie die Geneigtheit aussprechen, im Interesse der Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Nachbarstaaten Opfer zu bringen.
Als solche werden bezeichnet:
1. Verzichtleistung auf eine Entschädigung für die vorenthaltenen vierundzwanzig Freipläze am Seminarium in Mailand bis Ende dieses Jahres.
2. Leistung einer Aversalsumme für die Kapuziner, bis auf fünfzigtausend Franken, je nachdem die Entschädigung für Freipläze mehr oder weniger in Anrechnung gebracht werden kann.
Dagegen werden sie trachten, als Gegenentschädigung für die Ausweisung der Tessiner, welche durch keine Repressalie erwidert wurde, die doch im gleichen Umfang möglich gewesen wäre, da bei 6000 Lombarden im Kanton Tessin wohnen, eine Abtretung des ganz von Tessin umschlossenen am Luganersee gelegenen Distrikts Campione in grösserm oder kleinerem Masse, wenigstens des am westlichen Ufer des Sees gelegenen Theils desselben, zu erwirken, und, wenn die Abtretung des ganzen Distrikts erhältlich wäre, aber auch nur dann, in Beendigung der Gränzanstände gegen Österreich, auf die weitern hierseitigen Ansprüche auf den streitigen Gränzparzellen verzichten, so dass die Gränze dannzumal so festgesezt würde, wie die österreichischen Kommissäre im Jahre 1846 das Begehren stellten.
Bezüglich der kirchlichen Angelegenheiten werden die Herren Abgeordneten jedes Protektorat der kaiserlichen Regierung zu Gunsten der Bischöfe von Mailand und Como auf denjenigen Theilen ihrer Diözese, welche auf Schweizergebiet liegen, ablehnen, mit der Bemerkung, dass so wenig schweizerische Regierungen sich in kirchliche Angelegenheiten jenseits der Gränze mischen, ebenso wenig eine Einwirkung jenseitiger Regierungen auf diesseitigem Gebiet zugegeben werde. Sollten die Bischöfe Beschwerden bei den kaiserlichen Behörden in dieser Richtung Vorbringen, so möge man sie an die schweizerischen Regierungen und Gerichte verweisen.
Die Herren Abgeordneten haben über den Gang der Unterhandlungen fleissig dem Bundesrathe Bericht zu erstatten und nöthigenfalls weitere Weisungen und Vollmachten einzuholen. Gelänge es ihnen, sich über eine Ausgleichung zu vereinbaren, so haben sie eine solche unter Ratifikationsvorbehalt abzuschliessen.
Sollte der Bundesrath eine Erledigung in dieser Weise annehmbar finden, so wäre der Regierung von Tessin Kenntnis zu geben, und ihre Entschliessung abzuwarten, wobei sie darauf aufmerksam zu machen wäre, dass, wenn in der Entschädigung grössere oder kleinere Summen für die Vorenthaltung der Freipläze am Seminar in Mailand inbegriffen werden können, es ihr obliege, sich mit den
447 betreffenden Kantonen darüber zu verständigen und diese ihrerseits zu entschädigen.
Mit diesem Antrag möchte der Unterzeichnete Departementsvorsteher noch nicht seine definitive unabänderliche Meinung ausgesprochen und dadurch seine Stimme gleichsam verpfändet haben, sondern er muss sich für einen allfälligen Entscheid die freie Stimme umso mehr Vorbehalten, als die Angelegenheit eine sehr wichtige und daher ein möglichst einiges Handeln des Bundesrathes wünschbar ist.8
- 1
- E 2/357.↩
- 2
- Non reproduite.↩
- 3
- Sic pour 31. Cf. No 206, note 4.↩
- 4
- Non reproduite.↩
- 5
- Cf. No 191, note 4.↩
- 7
- Cf. No 176, note 8.↩
- 8
- Dans sa séance du 24 novembre 1854, le Conseil fédéral décide d’écrire au Tessin: [...] Der Bundesrath sei geneigt, die Vollmacht anzunehmen; er zweifle indessen nicht, dass die Regierung von Tessin auch ihre Ansichten aussprechen und einen Delegierten ernennen werde, so wie er sich Vorbehalte, vor dem endlichen Abschluss die Zustimmung der dortseitigen kompetenten Behörden zu den Übereinkunftspunkten einzuholen [...] (E 1004 1/19, no 4744).↩
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