Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.3. Affaires du Tessin
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 201
volume linkBern 1990
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.53-06#1000/1751#114* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.53-06(-)1000/1751 40 | |
Dossier title | Offizielle Korrespondenz: Schreiben von Bundesrat und der Kanzlei (1854–1854) |
dodis.ch/41200
Der schweizerische Bundesrath ist im richtigen Besiz Ihrer verehrlichen Depeschen No. 19 vom 3. März, No. 21 v. 14. gl.Mts. und No. 31 v. 12. April d.J.2 Gerne hat er aus den beiden lezten ersehen, dass die freundliche Stimmung des Herrn Grafen v. Buol für eine Erledigung unsers Konflikts fortdauert, wenn sie auch gerade bei der ersten Aufnahme derjenigen Note, welche Sie, nach hierseitigem Aufträge vom 24. Hornung3 dem H. Minister zustellten, etwas getrübt erschien. Es kann Ihnen wol nicht entgehen, dass der Bundesrath allerdings die Ansicht hegen dürfte, mit den in der Note gegebenen Erklärungen den Konflikt, so weit er die Blokusfrage betrifft, beendigt und damit auch den Weg zu einer befriedigenden Lösung der Kapuzinerfrage angebahnt zu sehen. Wirklich enthält jene Note nicht nur eine einfache Wiederholung der früheren Aufschlüsse und Versicherungen, sondern es heisst darin ausdrüklich:
1.) «Ein Festhalten an demselben» – dem System über die Flüchtlingspolizei – «liegt aber auch in der Absicht des Bundesrathes, und er fügt dieser Erklärung die weitere bei, dass Beschwerden Österreichs über den Aufenthalt dieses oder jenes österreichischen oder für Österreich besonders gefährlichen Flüchtlings in einem Gränzkanton, in jedem einzelnen Fall ernste und gerechte Prüfung und Erledigung finden werden, wie andere ähnliche Beschwerden sie stets fanden und noch finden.»
2.) «Es ist eine Mittheilung der Namen der Flüchtlinge auf gestelltes Ansuchen hin vom Bundesrathe nie abgeschlagen worden, und auch der Unterzeichnete hat schon zu verschiedenen Malen Verzeichnisse von Ausgewiesenen und geduldeten Flüchtlingen mitgetheilt».
Angesichts dieser Erklärungen sollte man wol erwarten dürfen, dass Graf v. Buol hierin eine Erfüllung seiner Wünsche, so weit eine freie und selbständige Regierung dieselbe gewähren kann, um so mehr finden werde, als er sich ja selbst dahin gegen Sie aussprach, Österreich verlange keinen Vertrag, keine Verbindlichkeit, man wolle keinen Sieg über die Schweiz erringen, auch das Nationalgefühl der Schweiz nicht einen Augenblik verlezen. Man wolle nur für die eigene Sicherheit das Recht haben, über die Flüchtlinge ein Urtheil abzugeben und sich deshalb mit Ihnen verständigen können, ob der oder jener für Österreich gefährlich scheine. Aus den oben angeführten Erklärungen geht nun aber deutlich hervor, dass Österreich bei jedem vorkommenden Anlass ohne Anstand Kenntnis von den in der Schweiz anwesenden Flüchtlingen erhalten und dann nach dem Wunsch des Herrn Grafen Besprechungen mit den Bundesbehörden veranlassen kann, wobei ja auch alle Möglichkeit gegeben ist, Bemerkungen über Personen zu machen, die zwar nicht auf den Flüchtlingslisten stehen, deren Anwesenheit in der Schweiz, vielleicht unter falschem Namen, aber mit Grund vorausgesezt wird. Findet der Bundesrath solche Bemerkungen und Beschwerden begründet, so wird er, j e nach Umständen, die Internirung oder die Ausweisung aus der Schweiz verfügen.
Wir wollen gerne erwarten, dass es Ihnen gelingen werde, dem Herrn Minister diesen Stand der Sache noch recht deutlich zu machen, und ihm besonders auch die Thatsache vorzuführen, dass seit längerer Zeit alle Anstände mit den Nachbarstaaten über die Fremdenpolizei erledigt seien und gar keine derartigen Konflikte mehr obwalten, obgleich diese Nachbarstaaten nicht minder aufmerksam und besorgt sind als Österreich. Jene Erklärungen haben wir in einer nicht minder freundlichen Absicht gegeben, als Graf Buol seine Vorschläge machte, und auf das loyalste gewillt, das Möglichste von unserer Seite zur Ausgleichung des Konflikts beizutragen, und wenn es Österreich daran gelegen ist wie uns, die so lange dauernden Anstände zu erledigen, so wird der Herr Minister, nach deutlicher Würdigung unseres Entgegenkommens, nicht mehr zögern, diese Sache zum Schlüsse zu bringen und den Blokus aufzuheben.
In eine Einsendung von Flüchtlingslisten an eine österreichische Behörde, von Zeit zu Zeit, und ohne jeweiliges spezielles Ansuchen, wird der Bundesrath nie und nimmermehr einwilligen; auch wird Österreich wol selbst einsehen, dass eine solche Berichtsgabe, die von einer untergeordneten gegen die höhere Behörde ganz an ihrem Plaz ist, von einer selbständigen Landesregierung gegen eine andere nicht eingegangen werden kann.
Freilich muss bei einer Erledigung, wie wir sie wünschen, ein gegenseitiges Vertrauen walten, und wir müssen daher das Misstrauen tief beklagen, welches Graf v. Buol in die Erklärung zu sezen scheint, dass sich ausser den Ihnen bekannten Flüchtlingen keine ändern mehr im Kt. Tessin befinden, soweit wenigstens die Behörden davon Kenntnis haben. Wenn der Herr Minister aber gar von Hunderten spricht, so ergibt sich daraus, dass er eine Menge von Leuten als politische Flüchtlinge ansieht, die keineswegs solche, sondern entweder Leute sind, die sich dem Eintritte in den Militärdienst entziehen wollen oder dann vorzüglich gewöhnliche Deserteure, die früher allerdings in ziemlicher Zahl in den Kanton Tessin kamen und dort Duldung fanden. Dergleichen Individuen sind aber keine politischen Flüchtlinge, und wenn man unter denselben später Personen entdekt, die sich dennoch als solche herausstellen, so werden sie von der Entdekung an auch wie Flüchtlinge behandelt und internirt oder ausgewiesen.
Aber auch gegen die Aufnahme der Deserteurs sind wir ernstlich eingeschritten und haben Anordnungen getroffen, nach welchen die aus Österreich kommenden sofort aufgegriffen und zur Rükkehr zu ihren Korps angehalten werden, wenn diese Rükkehr in einer Zeitfrist stattfinden kann, welche diese Leute nicht einer allzuharten Strafe aussezt. In diesem Verfahren sollte Österreich einen wesentlichen Grund zu einem freundlichen Entgegenkommen finden, und Sie wollen denselben auch gehörig geltend machen. Schon eine grosse Zahl solcher Deserteure wurde in dieser Weise zur Armee zurükgeschikt.
Dass aber auch im Allgemeinen die Fremdenpolizei im Tessin besser geordnet wird, beweist das neue Fremdengesez4, wovon wir Ihnen hier ein Exemplar beilegen und in wessen Folge gegenwärtig genaue Kontrolen eingeführt werden.
Ihre geschäzte Depesche vom 12. April, welche über Ihre lezte Zusammenkunft mit dem Herrn Grafen Buol berichtet, führt als Worte des Herrn Ministers, nachdem dieser sich über die politische Angelegenheit ausgesprochen hat, an: «...und in Bezug auf die Mönche verlangen wir nur eine billige Entschädigung».
Wir empfehlen Ihnen daher, Ihre amtlichen Schritte auf die wünschbaren Erläuterungen in der Blokusfrage und auf deren getrennte Behandlung von der Kapuzinerfrage zu beschränken.
Sollte in der Rheinkorrektionsfrage bald etwas geschehen können, so würden unsere daherigen Abgeordneten vielleicht auch in den politischen Angelegenheiten eine Erledigung fördern helfen können.5
Tags