Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.3. Affaires du Tessin
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 193
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1217* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 514 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 6 (1853–1853) |
dodis.ch/41192
Ich bin zu meiner innigsten Befriedigung heute im Stande, eine Note des Grafen Buol mitzutheilen, welche, ich zweifle keinen Augenblik, auch Ihnen, hochgeachteter Herr, eine höchst willkommene sein wird, da dieses unerwartete Entgegenkommen der kaiserlichen Regierung die Brücke zu einer Verständigung bietet, und für beide Seiten einen ehrenvollen Ausgleich möglich macht. Die Note des Grafen Buol, welche ich gestern Abend spät erhalten habe, und vom gestrigen Datum ist, lautet wie folgt:
«Mittelst der geehrten Note vom 30. August d. J.2 ist es Seiner des interimistischen Geschäftsträgers der Schweizerischen Eidgenossenschaft Herrn Steiger Wohlgeboren gefällig gewesen, die Verwendung des endesgefertigten Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des Kaiserlichen Hauses zu dem Ende in Anspruch zu nehmen, damit ungeachtet des im lombardisch-venetianischen Königreiche erlassenen allgemeinen Verbotes der Getreideausfuhr die den Cantonen Tessin und Graubünden vertragsmässig3 zugesicherte auf ein bestimmtes Mass beschränkte Ausfuhr gestattet werde.
Nachdem der Endesgefertigte über diesen Gegenstand mit den betreffenden Behörden des Innern das Einvernehmen gepflogen hat, ist er in der Lage, dem interimistischen Herrn Geschäftsträger Folgendes zu erwiedern:
Was zuvörderst den Canton Graubünden betrifft, so waltet kein Anstand dagegen ob, dass derselbe das ihm vertragsmässig zugesicherte Quantum von 5000 Moggia Getreide aus dem lombardisch-venetianischen Königreiche alljährlich bezieht. Der Endesgefertigte kann nur bedauern, rüksichtlich des Cantons Tessin eine ebenso befriedigende Auskunft nicht ertheilen zu können. Die kaiserliche Regierung ist zwar bereit, auch gegen diesen Nachbarkanton alle ihr obliegenden Vertrags Verbindlichkeiten gewissenhaft zu erfüllen, selbstverständlich jedoch, ohne auf das in der Pflicht der Selbsterhaltung gegründete Recht zu verzichten, gegen feindliche oder Gefahr drohende, auf dem jenseitigen Gebiete begünstigte oder geduldete Unternehmungen jede geeignete und nöthige Abwehr zu treffen.
Sr. Wohlgeboren sind sowohl die Beschwerdepunkte, welche die Gränzsperre gegen den Canton Tessin herbeigeführt haben, als auch die Bedingungen bekannt, unter welchen diese Massregel wieder aufgehoben werden würde.
Die kaiserliche Regierung beansprucht moralische Garantien für die genaue Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten von Seite der benachbarten Regierung und insbesondere eine bestimmte Zusicherung darüber, dass im Canton Tessin sowie überhaupt in den Gränzcantonen politische Flüchtlinge fernerhin nicht geduldet werden sollen, es sei denn ausnahmsweise nach vorhergegangener Verständigung mit ihr. Sie hat ferner sich bereit erklärt, mit dem Schweizerischen Bundesrath in nähere Besprechung über die Modalitäten eines Mittels der Controlle zu treten, welches die genaue Einhaltung des ebenerwähnten Grundsatzes zu verbürgen geeignet wäre,
Nachdem die Kaiserliche Regierung fortwährend von derselben Bereitwilligkeit beseelt ist, so wird es nur von dem Bundesrath abhängen, ihr auf diesem Wege entgegenzukommen, welcher, wie der Endesgefertigte zuversichtlich hofft, zu einem allseitig befriedigenden Ausgang zu führen nicht verfehlen würde.
In diesem Falle würde dem aufrichtigen Wunsche der Kaiserlichen Regierung, die Gränzverhältnisse dem Canton Tessin gegenüber auf den früheren normalen Fuss zurückführen zu können, kein Hindernis mehr im Wege stehen, und somit auch die einstweilen noch suspendirte Getreide-Ausfuhr zu seinen Gunsten ohne Weiteres Platz greifen können.
Indem der Endesgefertigte den Herrn Geschäftsträger ergebenst ersucht, diese Sachlage der Schweizerischen Bundesregierung darlegen zu wollen, ergreift er diese Gelegenheit, Sr. Wohlgeboren den Ausdruck seiner vollkommensten Achtung zu erneuern.
Wien, am 24. October 1853
(sig.) Graf Buol»
Sie ersehen, hochgeachteter Herr, aus dem Wortlaute dieser Note, dass man von österreichischer Seite die Hand zur Versöhnung bietet. Ich habe keine Nachrichten über diejenigen Versicherungen, welche der hohe Bundesrath den Abgeordneten Tessins gegeben hat, was ich unendlich bedaure, allein nach den Schweizer Zeitungen zu urtheilen, ist auch der hohe Bundesrath gesonnen, die Verhandlungen mit der kaiserlichen Regierung wieder aufzunehmen. Ich gestehe Ihnen offen, hochgeachteter Herr, dass ich durch den versöhnenden Ton dieser Note, welche mit der Sprache des Grafen Karnicki in so grellem Widerspruche steht, auf das angenehmste überrascht war. Sie selbst, hochgeachteter Herr, werden diese Empfindung theilen und ich bin überzeugt, dass man dieses freundliche Entgegenkommen Österreichs gerne ergreifen wird, um dem gegenwärtigen traurigen Zustande im Canton Tessin ein Ende zu machen. Möge die Regierung des Cantons Tessin in diesem Schritte, welchen Österreich aus freiem Antriebe thut, nicht wie sie so häufig gewohnt ist zu denken, eine Schwäche Österreichs sehen, nicht allenfalls den Gedanken hegen, dass die Verwicklung der orientalischen Frage daran Schuld trage, gelindere Saiten gegen die Schweiz aufzuspannen. Ich kann es dem Canton Tessin nicht verargen, wenn er bei Lösung dieser Frage die erlittene Unbill von Seite Österreichs in die Wagschale wirft, das Blut jedes Patrioten wird bei diesem Gedanken in Wallung gerathen; allein j etzt ist nicht der Zeitpunkt, das Gefühl zu Rathe zu ziehen, hier muss die Politik, die Klugheit gefragt werden. Jetzt, gerade jetzt, wo die allgemeine Aufmerksamkeit dem Osten zugewendet ist, ist der günstige Moment, diesen Streitpunkt auf ehrenvolle Art zu schlichten. Österreich will nicht eine Demüthigung der Schweiz, da es nur zu spät eingesehen hat, wie beharrlich die Schweiz auf ihrem Rechte besteht. Die Note des Grafen Buol spricht allerdings neuerlich von einer moralischen Garantie für die genaue Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten, modificirt jedoch seine Forderung, dass die Gränzcantone auf die Beherbergung der Flüchtlinge verzichten, dahin, dass eine Verständigung mit den österreichischen Behörden stattfinden kann. Da zu gleicher Zeit die kaiserliche Regierung sich mit Vergnügen bereit erklärt, in nähere Besprechung über die Modalitäten eines Mittels der Controlle mit dem hohen Bundesrathe treten zu wollen, so glaube ich nicht, dass dieser angeführte Grund ein Hindernis zu einer gegenseitig ehrenvollen Ausgleichung bieten dürfte. Als ich die Depesche erhalten hatte, stieg in mir, wie es vielleicht auch bei Ihnen, hochgeachteter Herr, der Fall sein wird, der Gedanke auf, dass irgend ein Grund vorhanden sei, welcher für Österreich eine Nachgiebigkeit nothwendig machen dürfte. Allein bei meinen heute deshalb gemachten Besuchen konnte ich wahrnehmen, dass alle die ausgestreuten Besorgnisse wegen einer Vermehrung der Truppen in Italien, wegen Nichtausführung der Reduction der Armee, oder wegen einer misslichen Position der österreichischen Regierung in der orientalischen Frage mehr oder minder aus der Luft gegriffen sind. Ich zweifle nicht, dass der hohe Bundesrath jedenfalls mit Vernügen bereit sein wird, erneuerte Verhandlungen, welche nach der heutigen Note einer weit friedlicheren Stimmung begegnen dürften, einzuleiten. Es steht mir nicht zu, deshalb eine Richtschnur anzugeben, ich glaube jedoch, dass eine directe Verhandlung des hohen Bundesrathes mit der kaiserlichen Regierung ohne Vermittler in der Schweiz oder hier in Wien weniger erspriesslich sein dürfte, als wenn dieselbe entweder durch einen ausserordentlichen Abgeordneten der Schweiz hieher oder durch meine Vermittlung geleitet würde. Jedenfalls bitte ich Sie, hochgeachteter Herr, um Ihre gefällige Mittheilung, welchen Eindruk die Note des Grafen Buol bei dem hohen Bundesrathe gemacht hat, und welche Entschliessungen deshalb von Hochdemselben getroffen werden dürften.
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