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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 1, Dok. 148
volume linkBern 1990
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2#1000/44#353* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2(-)1000/44 42 | |
Dossiertitel | Säkularisation im Kanton Tessin (1852–1853) | |
Aktenzeichen Archiv | B.252.2.1 |
dodis.ch/41147
Im Lauf des verflossenen Monats Junius hat der Unterzeichnete k.k. Geschäftsträger im Aufträge seiner hohen Regierung die Ehre gehabt, die von dem Geschäftsträger des Heiligen Stuhles gegen die von der Regierung des Cantons Tessin verfügte Aufhebung verschiedener geistlicher Institute eingelegte feierliche Protestation2 nachdrücklichst bei dem Herrn Bundes-Präsidenten und dem hohen schweizerischen Bundesrathe, Excellenz, zu unterstützen.
Ungeachtet der von Hochdemselben gegebenen Versicherung, dass der Bundesrath sich mit dieser Angelegenheit beschäftigen werde, ist jedoch bisher den in ihrem Recht Verlezten keinerlei Abhülfe zu Theil geworden.
Unter den durch die Beschlüsse des grossen Raths von Tessin aufgehobenen Instituten befinden sich, wie Sr. Excellenz dem Herrn Bundespräsidenten und hohen schweizerischen Bundesrath bekannt ist, auch das unter der geistlichen Jurisdiktion des Bischofs von Como stehende Collegium von Ascona, sowie das zum Erzbisthum Mailand gehörige Seminarium von Pollegio.
Was insbesondere das leztere betrifft, so war es ursprünglich eine Probstei des lombardischen Ordens der Humilirten.
Nach Aufhebung dieses Ordens ertheilte Pabst Pius V. den Erzbischöfen von Mailand die volle Ermächtigung, über die Güter derselben zu geistlichen Zwekken zu verfügen. In der That schloss Cardinal Friedrich Borromeo am 6ten Junius 1622 mit der Regierung von Uri, unter deren Landeshoheit damals das Gebiet von Tessin stand, einen Vertrag ab, vermittelst dessen der Cardinal-Erzbischof auf die Bitte des Cantons Uri in der Probstei von Pollegio ein Seminar errichtete, in welchem die Kleriker nach den Vorschriften des Conciliums von Trient erzogen wurden, und welches mit allen seinen Gütern und Einkünften für immerwährende Zeiten dem Seminarium von Mailand einverleibt sein sollte.
Das Seminarium in Mailand machte in der Folge für seine Filiale in Pollegio verschiedene Erwerbungen, und durch die am 9ten Juli 1682 zwischen den Herrn von Uri und dem Cardinal Friedrich Visconti, Erzbischof von Mailand, sowie am 27. April 1796 zwischen der Regierung von Uri und dem Erzbischof von Mailand, Philipp Visconti, geschlossenen Verträge wurde von Neuem feierlich bestätigt, dass der Stiftungs-Akt genau beobachtet und demnach das Seminar von Pollegio dem grossen erzbischöflichen Seminarium von Mailand einverleibt und von demselben abhängig bleiben sollte, wie es vom Augenblick seiner Errichtung an gewesen war.
Da jedoch die Einkünfte des Seminars von Pollegio zu seiner Erhaltung bei weitem nicht hinreichend waren, so musste das Seminar von Mailand zu diesem Ende fortwährend bedeutende Zuschüsse machen, welche allein vom Jahr 1814 bis zum 31. October 1851 sich auf die Gesammtsumme von 124773 Lire austriache belaufen. Ausserdem hatte das Seminarium von Mailand für die Anschaffung und Erhaltung des Archivs, der Bücher und der Geräthschaften aller Art, welche das Seminarium von Pollegio im Gebrauche hatte, ausschliesslich aus eigenen Mitteln Sorge getragen.
Der Erzbischof von Mailand und der Bischof von Como haben alle Mittel der Bitten, der Vorstellungen, der Ausgleichungsversuche und der Proteste erschöpft, um die Behörden von Tessin zu bewegen, von ihrem willkührlichen Verfahren abzustehen. Alle Schritte dieser Kirchenfürsten konnten indessen die Aufhebung der ihnen unterstehenden religiösen Institute nicht abwenden. Ja noch mehr: als der Erzbischof von Mailand zu den gewöhnlichen Gerichten seine Zuflucht nahm, um seine mit Füssen getretenen Eigenthumsrechte zu wahren, verschloss ihm der grosse Rath von Tessin nicht nur den Rechtsweg, indem er am 12. Mai l.Js. die Tribunale in dieser Frage des Mein und Dein für inkompetent erklärte, sondern bemächtigte sich auch aller der Rechtstitel, welche der Erzbischof dem betreffenden Gericht hatte vorlegen lassen.
Diese gedrängte Darstellung, welche die Bischöfe, sobald ihnen der Rechtsweg offen stände, durch unwiderlegliche Dokumente zu erhärten und zu begründen bereit und im Stande sind, dürfte hinreichen, um den hohen Bundesrath zu überzeugen, dass die beklagten Aufhebungsbeschlüsse des grossen Raths von Tessin ohne alle Rücksicht auf bestehende Verträge, sowie auf die geistlichen Jurisdiction- und Eigenthums-Rechte der Bischöfe gefasst worden sind, ja sogar, dass leztere eine förmliche Rechtsverweigerung haben erfahren müssen.
In dieser bedrängten Lage haben sich der Erzbischof von Mailand und der Bischof von Como an S. Majestät den Kaiser, als ihren Landesherrn, gewendet, damit durch die Dazwischenkunft Sr. Majestät Allerhöchster Regierung ihnen der Rechtsschutz gewährt werde, welchen die Tessiner Behörden ihnen leider beharrlich versagen.
Bei diesem Sachverhalt fühlt sich die kaiserliche Regierung ebenso berechtigt als verpflichtet, den erwähnten Bischöfen den von ihnen angerufenen Beistand zu gewähren.
Der Unterzeichnete k.k. Geschäftsträger ist demnach beauftragt worden, unverzüglich eine diesfällige Mittheilung an S. Excellenz den Herrn Bundespräsidenten und den hohen schweizerischen Bundesrath zu richten und Hochdieselben dringend zu ersuchen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln darauf hinwirken zu wollen, dass dem rechts- und vertragswidrigen Vorgehen der Tessiner Behörden schleunigst ein Ziel gesetzt, der Erzbischof von Mailand und der Bischof von Como in alle ihnen rücksichtlich der Seminarien von Pollegio und Ascona zustehenden Rechte wieder eingesezt, jedenfalls aber ihnen der ordentliche Rechtsweg eröffnet werde, damit sie ihre Ansprüche auf Restitution oder im äussersten Falle doch auf vollkommene Entschädigung geltend zu machen in der Lage seien.3
- 1
- Note: E 2/353.↩
- 2
- Note du Chargé d’affaires du Saint-Siège en Suisse à Lucerne, J. Bovieri, au Conseil fédéral du 7 juin 1852 (E 22/1587)↩
- 3
- Par décision du 20 août 1852 (E 1004 1/11, no 2911), le Conseil fédéral transmet copie de cette note au canton du Tessin. Le 4 mai 1853, dans sa réponse à la Légation d’Autriche (E 2/354), il portek\a connaissance du Gouvernement impérial les faits et les motifs que le canton du Tessin allègue pour justifier sa conduite et conclut que dans ces deux affaires de Pollegio et d’Ascona, il n’existe pas de motif suffisant pour former des réclamations ultérieures envers le canton du Tessin. Publiée dans FF 1853, II, p. 162–170.↩
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