Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.5. Confédération germanique
I.5.3. Réfugiés
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 1, Dok. 44
volume linkBern 1990
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#J1.67#1000/1363#220* | |
Alte Signatur | CH-BAR J 1.67(-)1000/1363 12 | |
Dossiertitel | Furrer, Jonas (1847–1861) | |
Aktenzeichen Archiv | 8 |
dodis.ch/41043
Lieber Freund!
Gleichzeitig mit diesem Briefe wirst Du ein neues Kreisschreiben2 erhalten, veranlasst durch Eure amtliche Zuschrift3 und eine gleichlautende Aargauische.4 Dieses Kreisschreiben enthält das Wesentliche, was wir zu erwiedern haben und würde mich eines weiteren Briefes ganz entheben. Allein da Du mir nebst dem amtlichen noch einen Privatbutzer hast zukommen lassen, so antworte ich noch privatim, nur damit Du nicht glaubest, ich habe Deinen Brief übel aufgenommen, was durchaus nicht der Fall ist. Denn eine offene und gerade Critik, die nicht auf unedlen Nebenabsichten beruht, nehme ich nicht einmal einem Feinde übel, geschweige einem Freunde.
Man hat in neuerer Zeit mit dem Asyl immer mehr und mehr eine wahre Abgötterey getrieben. Ein Asylrecht der Fremden, das bereits förmlich postulirt wird, anerkennen wir in keiner Weise, wohl aber das Asylrecht jedes selbständigen Staates gegenüber ändern Staaten; verbunden mit einer moralischen Pflicht soweit die Humanität es verlangt und das höchste Interesse des Staates es zulässt.
Dass dieses Interesse es nicht zulässt, die Führer zu behalten, ist unser aller tiefste Überzeugung. Schon seit Jahren war die Schweiz ein Herd der Agitation und der Beunruhigung der Nachbarstaaten, trotz aller Maassregeln, die freylich meistens schlecht vollzogen wurden, und bey allen drey Aufständen war die Schweiz mehr oder minder compromittirt. Dass dieses in erhöhtem Maasse eintreten wird, wenn man alle unverbesserlichen Führer hier lässt, ist ausser allem Zweifel. Wir halten aber dafür, dass die Nachbarstaaten das vollste Recht haben, dieses nicht zu leiden, so wenig wir ähnliches leiden würden. Würden aber diese Zustände fortdauern, so sind die Folgen unzweifelhaft; siebestehen mindestens darin, dass wir eine lange dauernde Grenzbesetzung haben müssen und dass wir beständig Streit und Chicanen hätten. Am Ende, wenn’s in solchen Sachen aufs äusserste kam, hat die Schweiz immer schmählich nachgegeben; wie es kommen würde, weiss ich nicht, aber das weiss ich, dass bey der Masse des Volkes die Asyl- und Flüchtlingssache nichts weniger als populär ist und an Impopularität sehr zunehmen wird.
Die Pflicht der Humanität halten wir in keiner Weise für verletzt, wenn wir die Massen aufnehmen und einstweilen behalten und für die Führer ein anderes Asyl suchen, weil ihre Gegenwart für unsere Ordnung und Sicherheit gefährlich ist. Als Tessinischer Commissär5 wirst Du wissen, dass nach dem Beschluss der Bundesversammlung alle weggewiesen wurden6, ohne Untersuchung, ob die einzelnen ihr Asyl verwirkt haben oder nicht, weil schon ihre blosse Gegenwart gefährlich war, wie es hier auch der Fall ist. Man wird einwenden, sie seyen nur aus zwey Cantonen weggewiesen worden; hierauf erwiedere ich, dass für die Lombarden eine Verweisung über die Alpen und in die deutsche Schweiz noch drükender war als eine Entfernung der deutschen Flüchtlinge nach Frankreich oder Belgien oder England. Die Wegweisung kann übrigens auch noch den Nutzen haben, Auslieferungsbegehren zuvorzukommen, welche auf Grundlage gemeiner Verbrechen werden gestellt werden, denen wir freylich keine Folge gäben, weil sie mit politischen Zusammenhängen.
Neben meiner eigenen Überzeugung, die ich glüklicher Weise von jeher declarirt habe in Bezug auf das Verhalten der Schweiz zum Ausland, beruhigt mich sehr die energische und tiefe Überzeugung aller meiner Collegen. Am entschiedensten war Druey, dessen Radicalismus, Muth und Empfänglichkeit für Nationalehre jedenfalls immer so hoch gestanden sind, als diese Eigenschaften derjenigen Regierungen, welche uns jetzt ihr Missfallen bezeugt haben oder noch bezeugen werden. Es beruhigt mich ferner, dass sehr viele jetzt gern radicaler und grossherziger seyn wollen als der Bundesrath, während sie im Stillen mit dem Beschluss einverstanden sind. Unter diese zähle ich natürlich Dich nicht, aber mehrere Mitglieder der Regierung von Zürich. Und das erklärt mir auch Euer Schreiben.
Wenn ein Kanton, was leicht möglich ist, die Vollziehung verweigert, so werden wir sogleich die Bundesversammlung einberufen; Du kannst vorläufig satteln lassen. Wird dann die Maassregel verworfen oder missbilligt, so zweifle ich nicht, dass der Bundesrath in corpore seine Demission nehmen wird und muss. Mehrere haben dies schon bestimmt ausgesprochen. Dass Druey und ich vor allem gehen werden, versteht sich von selbst.
Dieser Brief ist natürlich nur für Dich und Rüttimann bestimmt. Ich fühle mich gedrungen, ihm dasselbe zu schreiben und bitte Dich um Mittheilung desselben nebst meinem Gruss, weil ich nicht Zeit finde, einen zweyten zu versenden.
Wegen enormer Geschäfte konnte ich leider Bollier noch nie besuchen, was mir sehr wehe thut. Wie soll es kommen mit den gesetzgeberischen Arbeiten? Wir haben täglich Sitzung und kommen wegen dieser politischen Geschichten keinen Schritt vorwärts.
Herzlich grüssend Dein F.