Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 1, Dok. 41
volume linkBern 1990
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E27#1000/721#13273* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 27(-)1000/721 2698 | |
Dossiertitel | Truppeneinsatz an der Nordgrenze (1849–1849) | |
Aktenzeichen Archiv | 06.H.2.b |
dodis.ch/41040
Als ich am 7ten dieses Monats, morgens, vernahm, dass sich die badischen Truppen und Freischaaren von der hiesigen Grenze entfernten und Rheinaufwärts zogen, ertheilte ich alsogleich den Vorposten-Commandanten den Befehl, zwei Compagnien disponibel zu machen. Mittags erschienen Abgeordnete von Blenker, dem Commandanten der Pfälzer, um eine Capitulation in Betreff des Übertritts des Corps auf schweizerisches Gebiet abzuschliessen. Herr Commissär Hanauer und ich waren sogleich entschlossen, uns nach Rheinfelden zu begeben. Wir reisten dorthin, ohne den Abgeordneten irgendwelchen Bescheid zu geben, sobald meine dringendsten Geschäfte abgethan waren.
In Rheinfelden angelangt, hielten wir mit Blenker und seinen Offizieren eine Unterredung, an welcher, ohne dass ich es wusste, ein gewisser Herr Fries gewesenes Mitglied der provisorischen Regierung von der Pfalz, Antheil nahm. Blenker machte mündlich ungefähr die nämlichen Capitulations-Vorschläge, wie Sigel ohnlängst schriftlich gemacht hat.2 Herr Commissar Hanauer ergriff das Wort und fragte Blenker und seine Leute: ob sie das schweizerische Asyl ansprechen? Die Antwort war ja. Ob sie für ihr Leben oder ihre Freiheit Gefahr laufen, wenn ihnen der Übertritt nicht gestattet werde? Die Antwort war wieder ja. Darauf erklärte ihnen der Herr Commissär: wer das schweizerische Asylrecht anspreche, könne keine Bedingungen stellen; er müsse sich unbedingt den Anordnungen der schweizerischen Behörden unterwerfen. Wie sich von selbst versteht, erklärte ich mich auf die gleiche Weise. Blenker und seine Offiziere richteten nun mehrere Fragen an mich:
1. Ob den Offizieren ihre Pferde und ihre Waffen gelassen würden? Was die Waffen anbelangt, so erklärte ich geradezu: nein, indem der Bundesbeschluss keine Ausnahme mache. Was die Pferde anbelangt, so erklärte ich, auch diese müssen abgenommen werden, den schweizerischen Behörden überlassend, ob man den einen oder den ändern dieselben wieder zustellen werde.
2. Ob die Schweiz die bessern Corps, wie die Artillerie und die Cavallerie, nicht beisammen lassen und etwa in den Dienst nehmen wolle, indem sie derselben wohl bedürfen könnte? Ich antwortete mit einem bestimmten Nein und bemerkte: die Herren täuschten sich sowohl in Bezug auf die Stellung als die Gesinnung der Schweiz. Ich träte nicht darauf ein, ob der Schweiz irgendeine Gefahr bevorstehe; sei dieses aber der Fall, so werde die Schweiz ihre Sache einzig ausfechten.
Das ist klar gesprochen, bemerkte einer bitter, und die Herren entfernten sich. Vor der Thüre äusserte sich noch der eine und der andere auf bittere Weise. Da Blenker schon bevor er zur Unterredung ins Zimmer getreten war, sich drohend geäussert hatte, da er in der Unterredung eingestanden, dass seine Truppen indisciplinirt und demoralisirt seien, da ich ferner wusste, dass er schon genöthigt gewesen war, seine Kanonen gegen einen Theil seiner Leute aufführen zu lassen, so sandte ich mit Genehmigung des eidgenössischen Commissärs sogleich nach Basel, um militärische Hülfe zu holen.
Unterdessen traf ich die nöthigen Anordnungen zu einem allfälligen Widerstande. Ich liess Zimmerleute zusammenberufen, um im Falle der Noth die Brücke abzudecken. Schon früher hatte ich die in Möhlin liegende Compagnie des 42ten Bataillons holen lassen. Wie ich durch die Strasse gieng, erblickte ich einen Reiter in fremder Uniform, der Stein zu sprengen wollte. Ich hielt ihn an. Da sagte mir Blenker, welcher sich noch zu Rheinfelden befand, er habe denselben seiner Chaise nachjagen lassen wollen, welche sich ohne seinen Willen aus Rheinfelden entfernt habe. Verdacht schöpfend, sandte ich sogleich den Wachtmeister Frischknecht und den Reiter Forcard vom Stadtbaselschen Cavalerie Detachement der Chaise nach. Die wakern Männer holten sie ein und brachten sie zurück. Sie enthielt die Cassa, etwa 2400 fl.
Nach einiger Zeit liess mir Blenker sagen, er wünsche etwa 300 Mann noch denselben Abend auf schweizerischen Boden zu schaffen, unter den von uns gemachten Bedingungen. Da der Herr Commissär diesem Corps das schweizerische Asylrecht zugesichert hatte, so erlaubte ich, 200 Mann herüber zu führen. Ich würde es zwar an diesem Tage noch nicht gestattet haben, da es spät abends war, wenn nicht Gefahr vorhanden gewesen wäre, dass auf badischem Gebiet gesengt und geraubt würde. Selbst Oberst Doll begab sich nach Rheinfelden, um mich zu bitten, dass ich doch noch diese Leute hinüber lasse, um sie entwaffnen zu können und auf diese Weise Unglück zu verhüten: – Er, der sein Möglichstes gethan hatte, das zuchtlose pfälzische Corps von Ausschweifungen abzuhalten und ihm deswegen mit seiner Colonne gefolgt war. Ein ferneres Motiv war, dass der Herr Bierbrauer Dietschi von Rheinfelden sich zu mir begeben und sich beklagt hatte: man wolle ihm sein auf badischem Gebiet befindliches Weinlager plündern, worauf ich dem Herrn Blenker sagen liess: die Schweiz würde keinen Mann vom pfälzischen Corps auf Schweizerboden lassen, wenn das Eigenthum des H. Dietschi im geringsten verlezt würde.
Die 200 Mann langten noch in der Nacht auf schweizerischem Gebiet an und wurden entwaffnet. Anfangs wollten die Offiziere ihre Pferde nicht abgeben. Da befahl ich mit lauter Stimme, das Brückenthor zu schliessen und die Mannschaft fertig zu machen. Das fruchtete und alles lief mit der grössten Ruhe ab, obschon es bereits nahe an 11 Uhr war.
Am ändern Morgen liess mir Blenker sagen, die ganze Colonne trete unter den von uns gemachten Bedingungen auf Schweizerboden über. Es geschah. Die Entwaffnung fand in der möglichsten Ordnung und in vollständiger Ruhe statt. Zu diesem Resultat hatte viel beigetragen, dass in der Nacht noch die Verstärkung von Basel, eine Batterie 12 Pfund und die Standestruppe, in Rheinfelden angelangt war und sichtbare, geeignete Positionen genommen hatte. Als am frühen Morgen von einem meiner Offiziere Blenker auf die in der Sonne glänzenden Geschüze aufmerksam gemacht wurde, war er sichtbar überrascht und eilte schnell zu seinen Truppen zurück. Er hatte sich überzeugen müssen, dass wir zum entschiedensten Ernste bereit sind, dass wir zwar das Asyl gestatten, aber nicht mit uns spielen lassen wollen. Die Geschüze waren die ganze Zeit während des Einmarsches des Corps gegen den Eingang der Brücke gerichtet, und ich würde, das versichere ich bei meiner Ehre, beim geringsten Widerstande haben feuern lassen. Sobald aber unbedingte Unterwerfung stattfand, war ich so mild, als die Humanität erforderte, ja noch mehr.
Etwa 1400 Mann mit 11 Kanonen, einer Menge von Pferden und Wagen kamen auf schweizerischen Boden. Ich musste diese Masse allsogleich ins Innere der Schweiz instradiren; ich hatte zur Überlegung nicht viel Zeit. Ich glaube nicht, unrichtige Bestimmungen getroffen zu haben; sollte man aber finden, es hätte das eine oder andere besser geschehen können, so bitte ich den Umständen Rechnung zu tragen. Die betreffenden cantonalen Behörden wurden alle avisirt, was ich selbst that. Waffen und Pferde wurden alle nach Basel geschafft.
Gestern trat nun auch das Doll’sche Corps bei Stein auf Schweizerboden. Kanonen, Waffen und Pferde wurden ebenfalls nach Basel geschafft. Herr Commandant Billo., welcher für seine Person schon bei der Entwaffnung bei Rheinfelden die grösste Thätigkeit und Einsicht bewiesen hat, leitete auch die Entwaffnung dieses Corps bei Stein mit ebenderselben Einsicht und Thätigkeit.
Über die Angelegenheit mit den Waffen und den Pferden werde ich sobald als möglich Bericht abstatten und Anträge stellen.3
Ich glaube schliesslich darauf aufmerksam machen zu dürfen, dass bei allfälligen diplomatischen Verhandlungen darauf Gewicht gelegt werden dürfte, dass das Blenkersche Corps hauptsächlich im Interesse von Baden selbst auf den schweizerischen Boden gelassen wurde: ein Corps, dem Blenker selbst ein sehr ungünstiges Zeugnis gab (einige ausgewählte Truppen ausgenommen). Das Compliment Blenkers: dass die Schweizer stolze Leute seien, macht mich stolz.