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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 25, doc. 54
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E-01#1982/58#6326* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)-01/1982/58 477 | |
Titolo dossier | Judenfragen (1971–1972) | |
Riferimento archivio | B.34.94.10 • Componente aggiuntiva: Russland |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E-01#1982/58#3159* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)-01/1982/58 348 | |
Titolo dossier | Politische Bewegungen und Zustände (1971–1972) | |
Riferimento archivio | B.73.0 • Componente aggiuntiva: Spanien |
dodis.ch/35679 Die Aktion für Menschenrechte – Schweiz an den Chef des Departements des Innern, H.-P. Tschudi1
Nach den Todesurteilen von Leningrad und Burgos2 haben Sie als Bundespräsident in einer Verlautbarung in Radio, Fernsehen und Presse die Stellungnahme des Bundesrates bekanntgegeben3. Darin hiess es, dass der Bundesrat zwar die Gefühle des Volkes4 teile und hoffe, dass die Appelle zur Milde ihre Wirkung nicht verfehlten, dass es aber nicht Aufgabe der Regierung eines neutralen Landes sei, zu Prozessen im Ausland Stellung zu nehmen5.
Wir haben von dieser restriktiven Auslegung unserer Neutralität mit Bedauern Kenntnis genommen und stellen fest, dass sie weitherum Enttäuschung ausgelöst hat. Zwar sind die Todesurteile inzwischen in Gefängnis- bzw. Arbeitslagerstrafen umgewandelt worden, doch bleibt das grundsätzliche Problem bestehen.
Da es sich weder um kriegerische Konflikte noch um Interessenkonflikte von Drittstaaten handelte, stand die Neutralität der Schweiz gar nicht zur Diskussion. Ebensowenig hätte ein Appell des Bundesrates zur Begnadigung der Angeklagten als Einmischung in die Gerichtsbarkeit der betreffenden Länder ausgelegt werden können: Die Urteile waren bereits gefällt! Wenn sich daher der Bundesrat eines solchen Schrittes enthalten hat, so kommt dies praktisch einer Gesinnungsneutralität gleich, zu der ihn kein Verfassungsartikel und kein internationales Abkommen verpflichtet.
Der Bundesrat hat bezüglich eines möglichen Beitrittes der Schweiz zu den Vereinten Nationen eine positive Haltung bekundet6. Erfolgt ein solcher Beitritt, so müsste unser Land einen Vorbehalt bezüglich der Beteiligung an militärischen Sanktionen anbringen. Was die wirtschaftlichen Sanktionen an belangt, die von den Vereinten Nationen beschlossen werden, so hat der Bundesrat anerkannt, dass die Schweiz bereits heute an solchen Beschlüssen nicht achtlos vorbeigehen kann, wie z. B. im Falle Rhodesiens7. Was schliesslich die Ziele und Satzungen der Vereinten Nationen sowie die Menschenrechts erklärungen vom 10. Dezember 19488 anbelangt, so ist jeder Neutralitätsvor behalt undenkbar. Zwar sind die Menschenrechte auf internationaler Ebene, mit wenigen Ausnahmen, heute noch kein positives Recht, sondern nur moralische Verpflichtung. Um so mehr müsste aber von unserem Land erwartet werden, dass es sein moralisches Gewicht zugunsten dieser Rechte in die Waagschale wirft, ansonsten unsere Rolle in der UNO von vorneherein unglaubwürdig wäre. Gerade weil wir uns als neutrales Land in keine Abhängigkeit von Machtblöcken begeben wollen, fehlt uns für eine passive Haltung gegenüber eindeutigen Verletzungen der Menschenrechte jede Entschuldigung.
Eine neutrale Haltung des Bundesrates erscheint uns aber auch innenpolitisch verfehlt. Der Bundesrat hat selber festgestellt, dass das gesamte Schweizervolk die Urteile von Leningrad und Burgos abgelehnt und darüber Trauer und Bestürzung empfunden hat. Daraus ergibt sich aber für die mit der Führung der Aussenpolitik betraute, oberste Landesbehörde ein klarer Auftrag. Es kann nicht Aufgabe des Volkes sein, bei schweren Verletzungen der Menschenrechte die Aussenpolitik der Schweiz mit Demonstrationen und Protesttelegrammen im Alleingang zu führen. Mit Recht erwartet es vom Bundesrat, der dazu mit den nötigen Befugnissen und Mitteln ausgerüstet ist, entsprechende Schritte. Jedes Abseitsstehen der obersten Landesbehörde ruft in solchen Fällen tiefe Enttäuschung hervor und leistet einer Entfremdung zwischen Volk und Behörden Vorschub. Vor allem bei der Jugend entsteht ein Gefühl der Führungslosigkeit und Verlassenheit, das die bestehende Autoritätskrise noch verstärkt. Eine profiliertere Haltung des Bundesrates gegenüber Verletzungen der Menschenrechte würde in der Öffentlichkeit gewiss Zustimmung auslösen und auch dem Ansehen unseres Landes dienen.
Wir bitten Sie, sehr verehrter Herr Bundesrat, diese Erwägungen als Ausdruck unserer aufrichtigen Sorge zu betrachten und den Gesamtbundesrat darüber zu informieren. Gerade weil uns an einem vertrauensvollen und ungetrübten Verhältnis zwischen Volk und Behörden gelegen ist, fühlen wir uns im vorliegenden Falle gedrängt, grundsätzliche Bedenken anzubringen. Es scheint uns nötig, dass der Neutralitätsbegriff in einem offenen Dialog zwischen Volk und Behörden geklärt und in Übereinstimmung mit den Anforderungen unserer Zeit und dem Geist der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen neu definiert wird9.
- 1
- Schreiben: CH-BAR#E2001E-01#1982/58#6326* (B.34.94.10). Unterzeichnet von J. Heggli und E. Bernhard. Handschriftliche Marginalie von H.- P. Tschudi vom 10. Januar 1971: An Bundeskanzlei. 1. Bitte Empfang bestätigen. 2. An Eidg [enössisches]Polit [isches]Dep [artement]. Erste beigelegte handschriftiche Notiz von M. Gelzer an F. Châtelain vom 10. Januar 1971: Bezüglich der Begründung der Nichtstellungnahme gingen die Meinungen innerhalb des Departements auseinander. Die einen waren in der Tat der Meinung, wir sollten uns dabei nicht auf die Neutralität berufen, sondern lediglich die Begründung «Nichteinmischung» anbieten. (Vgl. beiliegende Kopie) Der Dep [artements-]Chef anderseits verfügte, dass auf die Neutralität verwiesen werde. Vgl. Antwort auf die kleine Anfrage Hofer betr. Prozess Burgos. In unserer Antwort auf die «Aktion», die kurz sein könnte, müsste diesem letzteren Umstand wohl Rechnung getragen werden. Zweite beigelegte handschriftliche Notiz von F. Pictet an E. Diez: M. Châtelain nous a passé cette affaire puisqu’on en parle aussi à l’ONU. À mon avis la question posée est de savoir si la neutralité peut être invoquée, comme l’a fait le Conseil fédéral. Dans un cas de ce genre, je pense donc que c’est plutôt votre division qui serait compétente pour répondre à «l’Action». Handschriftliche Marginalie von B. Dumont vom 2. Februar 1971: Herrn Moser bitte besprechen. Für die Antwort vgl. das Schreiben von E. Diez an J. Heggli vom 19. Februar 1971, dodis.ch/36545.↩
- 2
- Vgl. dazu Doss. CH-BAR#E2001E#1980/83#3930* (B.34.94.10) und CH-BAR#E2001E#1980/83#2176* (B.73.0).↩
- 3
- Vgl. dazu das Schreiben von H.- P. Tschudi an P. Graber vom 29. Dezember 1970, do dis.ch/35666.↩
- 4
- Zu Reaktionen der Schweizer Bevölkerung vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 82, dodis.ch/35535, Punkt 1 sowie die Notiz von P. Micheli vom 2. November 1970, dodis.ch/36539.↩
- 5
- Zu einer ähnlichen Argumentation gegen die Einmischung in inneren Angelegenheiten fremder Staaten vgl. das Schreiben von P. Dietschi an P. Imhasly vom 26. Mai 1970, dodis.ch/35978.↩
- 6
- Zu den Beziehungen der Schweiz zur UNO vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 69, dodis.ch/34284.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 8, dodis.ch/33239; Dok. 160, dodis.ch/33642 und Dok. 171, dodis.ch/30859; DDS, Bd. 25, Dok. 9, dodis.ch/35688, und Dok. 24, dodis.ch/35685.↩
- 8
- Vgl. dazu DDS, Bd. 17, Dok. 96, dodis.ch/2708.↩
- 9
- Für weitere Reaktionen in der Schweiz zu den Todesurteilen von Leningrad und Burgos vgl. das Schreiben von U. C. Reinhardt an den Bundesrat vom 29. Dezember 1970, dodis.ch/36541 und die Notiz von W. Altenburger vom 7. Januar 1971, dodis.ch/36963.↩
Collegamenti ad altri documenti
http://dodis.ch/35679 | è la risposta al | http://dodis.ch/36545 |
Tags
Spagna (Politica) Russia (Politica) Politica di neutralità