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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 25, doc. 116
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E6802#1985/126#74* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 6802(-)1985/126 38 | |
Titolo dossier | Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (1972–1972) | |
Riferimento archivio | 07 |
dodis.ch/35282 Der Präsident der Generaldirektion der Schweizerischen Kreditanstalt, E. Reinhardt, an den Bundespräsidenten, N. Celio1
Ich möchte Ihnen für Ihr Schreiben vom 21. Januar 19722, das das neue deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen3 aus der Sicht des Bundesrates und der Eidgenössischen Steuerverwaltung klar und umfassend beleuchtet, verbindlich danken. Die Zwangslage, in welcher sich der Bundesrat und die schweizerische Verhandlungsdelegation befanden, ist mir durchaus bewusst. Ebenso sehe ich ohne weiteres, dass ein durch eine deutsche Kündigung des bestehenden Abkommens4 herbeigeführter vertragsloser Zustand für die schweizerische Wirtschaft und die schweizerischen Kapitalanleger namhafte Ausfälle bringen würde. Das ist übrigens auch von seiten der Banken trotz aller berechtigten Vorbehalte und Bedenken während der langen Verhandlungszeit stets anerkannt worden. Mit meinem Brief vom 13. Januar 19725 an die «Wirtschaftsförderung» ging es mir denn auch nicht darum, für die Nicht-Ratifizierung des neuen Abkommens zu plädieren. Es lag mir vielmehr daran, die diesem Vertragswerk innewohnende Problematik, die von den befürwortenden Stimmen bedauerlicherweise viel zu wenig beachtet wird, genauer unter die Lupe zu nehmen, und die möglichen Ausstrahlungen von einer etwas höheren Warte aus zu beleuchten.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es denn auch sehr zu begrüssen, dass die vorberatende Kommission des Ständerates6 die Vorlage am letzten Donnerstag nicht einfach verabschiedet hat, sondern noch verschiedene Abklärungen7 verlangt und zudem einige Vertreter der Wirtschaft anhören will. Ich hoffe sehr, dass in diesen Beratungen vor allem zwei Aspekte nicht übersehen werden, welche auch jene Kreise, die das Abkommen aus einer, wie mir scheint, viel zu einseitigen Betrachtungsweise vorbehaltlos befürworten, berühren können. Es betrifft dies einmal den Austausch von steuerlichen Auskünften. Der neue Vertrag enthält zwar «nur» eine sog. milde Amtshilfeklausel8, d. h. die zuständigen Behörden der beiden Vertragsstaaten können auf Verlangen Auskünfte austauschen, die für die richtige Durchführung des Abkommens notwendig sind. Die von der Schweiz damit übernommenen Verpflichtungen gehen an sich nicht über das hinaus, was sie nach Praxis und Rechtssprechung auch ohne ausdrückliche Klausel zu diesen Zwecken an Auskünften zu liefern hätte. Trotzdem besteht Anlass zu Bedenken und Unsicherheit, denn insbesondere bei einem so komplizierten und schwer verständlichen Vertrag, dessen Tragweise in mancher Beziehung noch nicht abgeschätzt werden kann, darf nicht übersehen werden, dass Vorschriften und Begriffe später einmal anders ausgelegt werden könnten als es ursprünglich die Meinung hatte. Insbesondere besteht keinerlei Garantie, dass der deutsche Fiskus von den schweizerischen Meldepflichten für alle Zukunft nur gegenüber den sog. Steuerflüchtlingen9 und den auslandbeherrschten Basisgesellschaften Gebrauch machen wird. Zur richtigen Durchführung des Abkommens können auch Angaben aus schweizerischen Steuerdossiers gehören, wenn Streit um die Anwendung von Abkommensnormen auf die deutsche Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft eines schweizerischen Unternehmens entsteht. Ob die in Frage kommenden Kreise auch diese mögliche Konsequenz des Abkommens uneingeschränkt befürworten würden, mag hier dahingestellt bleiben. Man hält zwar solchen Bedenken meist entgegen, dass auch die entsprechenden Amtshilfeklauseln in den Vereinbarungen mit Frankreich10 und Grossbritannien11 bisher zu keinen besonderen Klagen Anlass gegeben hätten. Frankreich und Grossbritannien sind jedoch nicht Deutschland. Nach meiner Kenntnis der deutschen Finanzämter muss befürchtet werden, dass diese, anders als die französischen und britischen Behörden, von den ihnen eingeräumten Kompetenzen ausgiebig und nachhaltig Gebrauch machen werden.
Sodann kann die präjudizielle Bedeutung nicht genügend hervorgehoben werden. Der Einfluss des Abkommens mit Frankreich ist unverkennbar. Was den Franzosen gewährt wurde, musste auch den Deutschen konzediert werden, trotz aller Versicherungen des Bundesrates, der neue Vertrag mit Frankreich dürfe für andere Staaten nicht als Präjudiz gelten (NZZ vom 8. Juni 1967, Blatt 4, Nr. 2500 über die Beratungen im Nationalrat12). Es ist ein offenes Geheimnis, dass die deutschen Forderungen ursprünglich viel weiter gingen und nur in einem langwierigen Ringen reduziert werden konnten. Nach aller Erfahrung muss in Rechnung gestellt werden, dass die «neuen Spezialitäten» mit Deutschland in der einen oder anderen Form auch einmal weiteren Staaten zugestanden werden müssen, z. B. Italien13 und den Vereinigten Staaten14, eine konkrete Aussicht, die alles andere als erfreulich ist.
Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Preis, der mit diesem neuen Abkommen für die Wahrung der sog. angestammten schweizerischen Interessen bezahlt werden muss, an der oberen Grenze des Tragbaren liegt. Sie werden sicher verstehen, dass ich mich daher nicht in der Lage sehe, das Geschäft zu unterstützen, dem m. E. schon im Interesse der schweizerischen Behörden und der Verhandlungsdelegation ein starker Widerstand entgegengestellt werden sollte, ohne es gerade zu Fall zu bringen. Nur so könnte weiteren ganz gefährlichen ausländischen Begehrlichkeiten von vornherein der Riegel gestossen und die künftige Position der Verhandlungsdelegation und der das Abkommen künftig handhabenden Behörden auf diesem abschüssigen Gebiet einigermassen gefestigt und widerstandsfähig gemacht werden. Man darf schliesslich nicht leichthin ein Steuersubstrat aufgeben, wenn die allgemeinen Aufgaben des Staates zur Erschwerung der Steuerlast drängen. In diesem Sinne möchte ich Sie meiner Hilfe und Neutralität versichern.
Ich danke Ihnen sehr, dass ich Ihnen noch einige Gedanken zu diesem «Schicksalabkommen» unterbreiten durfte.
- 1
- Schreiben: CH-BAR#E6802#1985/126#74* (07).↩
- 2
- Schreiben von N. Celio an E. Reinhardt [vom 21. Januar 1972], Doss. wie Anm. 1.↩
- 3
- Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Ein kommen und vom Vermögen vom 11. August 1971, AS, 1972, S. 3075–3099. Zu den Verhand lungen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 92, dodis.ch/31443, und Dok. 177, dodis.ch/31445; das Schrei ben von K. Locher an H. Lacher vom 2. November 1970, dodis.ch/35293; die Notiz von P. A. Nussbaumer an P. Graber vom 1. März 1971, dodis.ch/35295; das BR-Prot. Nr. 439 vom 8. März 1971, dodis.ch/35294 sowie die Notiz von K. Locher an P. Graber vom 24. Mai 1971, dodis.ch/35297.↩
- 4
- Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der direkten Steuern und der Erbschaftssteuern vom 15. Juli 1931, BS, 12, S. 601–628 und Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 15. Juli 1931 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftssteuern vom 20. März 1959, AS, 1959, S. 797 f.↩
- 5
- Schreiben von E. Reinhardt an den Dokumentations- und Pressedienst der Gesellschaft zur Förderung der Schweizerischen Wirtschaft vom 13. Januar 1972, Doss. wie Anm. 1. Zur Kritik der Auslandschweizer am neuen Abkommen vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 107, dodis.ch/35240.↩
- 6
- Protokoll der Sitzung der ständerätlichen Kommission vom 21. Januar 1972, CH-BAR#E2001E-01#1982/58#1074* (B.34.12.0). Vgl. dazu auch das Schreiben von N. Celio an H. G. Emde vom 17. Mai 1972, dodis.ch/35290. Zur Behandlung des Abkommens im Parlament vgl. das Schreiben von N. Celio an P. Graber, E. Brugger und P. R. Jolles vom 21. Juni 1972, dodis.ch/35291; das Schreiben von H. Zoelly an K. Locher vom 18. September 1972, dodis.ch/35288 und das BR-Prot. Nr. 1765 vom 26. September 1972, dodis.ch/35289.↩
- 7
- Vgl. dazu den Bericht von K. Locher vom 13. Mai 1972, Doss. wie Anm. 6.↩
- 8
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 1190 vom 7. Juli 1971, dodis.ch/35296 und das BR-Prot. Nr. 1196 vom 5. Juli 1972, dodis.ch/35232.↩
- 9
- Vgl. dazu z. B. die Notiz von P. A. Nussbaumer an P. Graber vom 26. Februar 1971 über den Fall H. Horten, dodis.ch/35292.↩
- 10
- Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 9. September 1966, AS, 1967, S. 1079–1100. Vgl. dazu ferner DDS, Bd. 23, Dok. 125, dodis.ch/31831.↩
- 11
- Protokoll zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland zur Änderung des am 30. September 1954 in London unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 14. Juni 1966, AS, 1966, S. 1619–1628. Vgl. dazu ferner DDS, Bd. 23, Dok. 177, dodis.ch/31445, und die Notiz von S. Arioli an P. R. Jolles vom 30. September 1971, dodis.ch/35298.↩
- 12
- Zur Behandlung im Nationalrat vgl. Amtl. Bull. NR, 1967, S. 136–149.↩
- 13
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 107, dodis.ch/35240, Anm. 11.↩
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