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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 25, doc. 35
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2004B#1982/69#36* | |
| Old classification | CH-BAR E 2004(B)1982/69 13 | |
| Dossier title | Botschaftskonferenzen 1967-1972 (1967–1972) | |
| File reference archive | a.133.4 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2004B#1990/219#65* | |
| Old classification | CH-BAR E 2004(B)1990/219 22 | |
| Dossier title | Protokolle (1966–1975) | |
| File reference archive | a.133.41 |
dodis.ch/34536Notiz für die Botschafterkonferenz1
HANDHABUNG DES DIPLOMATISCHEN SCHUTZES BEI VERHAFTUNG VON SCHWEIZERBÜRGERN
I. Im Zusammenhang mit der Verhaftung des brasilianisch-schweizerischen Doppelbürgers von der Weid2, der wegen seiner politischen Aktivität in Brasilien immer noch inhaftiert ist und im September 1969 schwere Misshandlungen erdulden musste, hat es sich gezeigt, dass eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Gewährung des diplomatischen Schutzes im Falle von Doppelbürgern herrscht3. Auch in Verhaftungsfällen von Personen, die nur die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzen, wird immer wieder die Frage aufgeworfen, welche konkreten Massnahmen unsere Vertretungen im Ausland im Falle der Verhaftung von Schweizerbürgern zu ergreifen haben. Wir betrachten es deshalb als zweckmässig, Ihnen anlässlich der Botschafterkonferenz4 zu diesen beiden Fragen unsere Auffassung darzulegen.
II. Bei der Geltendmachung des diplomatischen Schutzes macht der Staat sein eigenes Recht geltend. Er hat sich deshalb an die geltenden Regeln des Völkerrechts zu halten. Der diplomatische Schutz in diesem formellen Sinne kann nur für eigene Staatsangehörige geltend gemacht werden und nur in Fällen, in denen der andere Staat eine Völkerrechtsnorm verletzt hat. Ist ein Gerichtsverfahren nach internem Recht hängig, so ist grundsätzlich die Erschöpfung des Instanzenzuges abzuwarten. Der schützende Staat kann die Geltendmachung des diplomatischen Schutzes verweigern, wenn der Geschützte dieses Schutzes nicht würdig ist (Prinzip der clean hands), oder wenn die Geltendmachung den höheren Landesinteressen zuwiderläuft. Ein Rechtsanspruch des einzelnen Bürgers auf die Gewährung des diplomatischen Schutzes besteht nicht.
Beim diplomatischen Schutz von Doppelbürgern ist zu beachten, dass dieser grundsätzlich dem zweiten Heimatstaat gegenüber nicht geltend gemacht werden kann, da der Betreffende dort als eigener Staatsangehöriger betrachtet wird. Gegenüber Drittstaaten können die Rechte von Doppelbürgern dann geltend gemacht werden, wenn das schweizerische Bürgerrecht in seiner Bedeutung überwiegt, wenn also das schweizerische Bürgerrecht die nationalité effective darstellt.
Diese völkerrechtlichen Grundsätze sind immer dann streng zu beachten, wenn es sich um formelle Demarchen, vor allem auch vor internationalen Schieds- oder Gerichtsinstanzen handelt. Sind die erwähnten Voraussetzungen für die Geltendmachung des diplomatischen Schutzes nicht gegeben, so kann der andere Staat zu Recht die Einrede der Unzuständigkeit erheben.
III. Die dargelegten formellen Regeln in Bezug auf die Geltendmachung des diplomatischen Schutzes schliessen nun aber weitere Schutzmassnahmen des Heimatstaates keineswegs aus. Dies gilt namentlich dann, wenn Leben oder Gesundheit eines Schweizerbürgers in Gefahr sind oder im Falle einer Rechtsverweigerung (déni de justice). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass mit dem Ausbau der völkerrechtlichen Anerkennung der Menschenrechte und Grundfreiheiten das Völkerrecht eine Weiterentwicklung erfahren hat. So sieht zum Beispiel die europäische Menschenrechtskonvention sogar vor, dass ein Privater bei der europäischen Menschenrechtskommission gegen seinen eigenen Heimatstaat Individualbeschwerde einreichen kann.
IV. In Anbetracht des Gesagten ergeben sich für das Verhalten unserer Aussenposten im Falle der Verhaftungen von Schweizerbürgern folgende Richtlinien (s[iehe] Art. 17 des Reglements des schweizerischen diplomatischen und konsularischen Dienstes5):
1. Sobald eine Vertretung erfährt, dass ein Schweizer, auch ein Doppelbürger, verhaftet wurde, soll sie sich grundsätzlich um diesen Fall kümmern. Wichtig ist zunächst, dass die Identität des Verhafteten genau abgeklärt wird; nötigenfalls sind seine Angehörigen zu benachrichtigen. Ist der Verhaftete der Vertretung nicht bekannt, so ist auch sein Vorleben abzuklären, da es wichtige Hinweise in Bezug auf die Interventionswürdigkeit verschaffen kann.
2. Vor allem dort, wo eine lange Haft in Aussicht steht und wo der Verdacht besteht, dass die Haftbedingungen nicht dem internationalen Minimum-Standard entsprechen oder dass der Inhaftierte sonst des besonderen Schutzes seiner Heimatbehörden bedarf, muss auf der Geltendmachung des konsularischen Besuchsrechtes bestanden werden. Auch wenn erste Versuche, das Besuchsrecht zu erlangen, scheitern sollten, muss immer wieder neu angesetzt werden. In wichtigen Fällen sollte sich der Missions- oder Postenchef persönlich um den Verhafteten kümmern.
3. Abzuklären ist sodann, welche Gründe zur Verhaftung geführt haben. Han delt es sich um Delikte des gemeinen Rechts, so wird, sofern nicht andere Besonderheiten vorliegen, eine Intervention unserer Aussenvertretung in der Regel nicht in Betracht kommen. Wichtig ist allerdings zu wissen, wessen der Verhaftete angeklagt wird und dass diese Anklageerhebung nicht allzulange auf sich warten lässt. Ferner muss die Verbeiständung des Beschuldigten durch einen Anwalt, allenfalls durch einen offiziellen Verteidiger, sichergestellt sein. Oft wird hier auch der Vertrauensanwalt der Vertretung nützliche Hilfe leisten können.
4. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Fälle von Verhaftungen, in denen nicht mit einem geregelten Gerichtsverfahren gerechnet werden kann. Dies gilt vor allem für Staaten mit wenig gesicherten politischen Verhältnissen und solchen, die den Erfordernissen eines Rechtsstaats nicht genügen. Hier kann es leicht zu einer Rechtsverweigerung kommen, die auch nach den völkerrechtlichen Regeln für sich allein schon eine formelle diplomatische Intervention rechtfertigt.
5. Besonders heikel ist die Situation bei politischen Verbrechen, oft auch bei Devisenvergehen6, indem sehr oft die Verteidigungsrechte der Angeklagten nicht oder nicht genügend gewahrt werden. Gerade in solchen Fällen kommen Rechtsverweigerungen und monatelange Verzögerungen der Anklageerhebung häufig vor. Oft ist es schon nützlich zu erreichen, dass der Beschuldigte möglichst bald dem Richter zugeführt wird. Wo Möglichkeiten bestehen, dahin zu wirken, dass ein Verfahren niedergeschlagen oder eingestellt wird, sollte davon Gebrauch gemacht werden. Die Begnadigung wird in der Regel erst nach rechtskräftiger Verurteilung zu erreichen sein.
6. Sodann sollten die Aussenposten vor allem dort, wo bekannt ist, dass mit schlechten Haftbedingungen zu rechnen ist, darüber wachen, dass gegen menschenunwürdige Haftbedingungen eingeschritten wird. Dies gilt in ganz besonderem Masse im Falle von Folterungen oder körperlichen Strafen und Quälereien. Da hier der humanitäre Aspekt im Vordergrund steht, ist auch dann zu intervenieren, wenn der Angeklagte schwerer Verbrechen überführt worden ist.
7. Wie eingangs erwähnt wurde, sind den Interventionsmöglichkeiten in Bezug auf Doppelbürger Grenzen gesetzt. Nichts hindert aber unsere Vertretungen, sich im Sinne unserer obigen Richtlinien die erforderlichen Auskünfte zu verschaffen zu suchen. Formelle Interventionen sind auch bei Doppelbürgern dann gegeben, wenn es sich um Folterungen oder um eine menschenunwürdige Haft handelt oder wenn eine eindeutige Rechtsverweigerung vorliegt.
8. In Verhaftungsfällen, bei denen irgendwelche Unregelmässigkeiten vorkommen, ist es auch wichtig, dass die Aussenvertretung das Departement umgehend orientiert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine durch die Massenmedien stark sensibilisierte öffentliche Meinung manchmal auch dort scharf reagiert, wo keine Unregelmässigkeiten vorgekommen sind. Es ist deshalb unerlässlich, dass bei der Möglichkeiten öffentlicher Angriffe in Presse, Radio und Fernsehen das Departement vor allem auch über die tatbeständliche Seite auf raschestem Wege orientiert wird, damit es Falschmeldungen sofort entgegentreten kann. Es macht einen ausgesprochen schlechten Eindruck, wenn zugegeben werden muss, dass Bern von einem solchen Fall überhaupt nichts weiss. Die Aussenposten haben deshalb in vermehrtem Masse die Zentrale über Vorkommnisse, die zu öffentlichen Polemiken führen können, umgehend zu orientieren und nötigenfalls auch ergänzende Instruktionen einzuholen.
9. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass vor allem bei Verhaftungsfällen, in denen Leben oder Gesundheit unserer Landsleute, und zwar auch von Doppelbürgern, in Gefahr steht, die Aussenposten alles zum Schutze unserer Landsleute zu unternehmen haben, was ihnen möglich ist. Es zeigt sich immer wieder, dass sogar dort, wo kein formeller Anspruch auf diplomatischen Schutz besteht, eine geschickt und diskret vorgenommene Schutztätigkeit unserer Aussenvertretungen zu oft erstaunlich positiven Resultaten führen kann.
- 1
- Notiz: CH-BAR#E2004B#1982/69#36* (a.133.4). Diskussionsgrundlage für den 4. September 1970.↩
- 2
- Zur Inhaftierung von J.-M. von der Weid vgl. das Schreiben von W. Roch an A. Natural vom 21. Mai 1970, dodis.ch/36005; das Telegramm Nr. 32 der schweizerischen Botschaft in Rio de Janeiro an das Politische Departement vom 3. Juni 1970, dodis.ch/36006; das Telegramm Nr. 51 des Politischen Departements an G. E. Bucher vom 1. März 1971, dodis.ch/36024 und die Notiz von J.-M. Boillat vom 3. Februar 1972, dodis.ch/36025.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 27, dodis.ch/35849.↩
- 4
- Zur Botschafterkonferenz vom 2. bis 4. September 1970 vgl. das Protokoll des Politischen Departements vom 30. September 1970, dodis.ch/34530.↩
- 5
- Reglement des schweizerischen diplomatischen und konsularischen Dienstes vom 24. November 1967, AS, 1967, S. 1994–2003. Zum Verhalten bei Verhaftungen von Schweizerbürgern vgl. auch das Referat vom 14. November 1970, dodis.ch/36984.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 2, dodis.ch/35594, Anm. 3.↩
Relations to other documents
| http://dodis.ch/34530 | is the supplement to | http://dodis.ch/34536 |
Tags
Conference of the Ambassadors Swiss citizens from abroad


