Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 20
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#1078* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 172 | |
Dossier title | Südtirolfrage zwischen Österreich und Italien (1964–1967) | |
File reference archive | B.75.06 |
dodis.ch/31057 Der Militär- und Luftattaché in Wien, Ch. Schaefer, an die Nachrichtensektion des Militärdepartements1 Tätigkeit der Südtiroler2 -Terroristen
In einem vertraulichen Gespräch orientierte mich ein Chefbeamter des Innenministeriums (Gendarmerie-Oberstleutnant) über die durch den österreichischen Sicherheitsdienst bis heute festgestellte Tätigkeit der Südtiroler-Terroristen.
Nach den durch die Organe des österreichischen Sicherheitsdienstes gemachten Feststellungen ist nicht damit zu rechnen, dass die Veröffentlichung der Beschlüsse der Südtiroler-Kommission (Neunzehnerkommission3) und des Mailänder Prozesses4 genügen werden, um der Terrortätigkeit der Südtiroler Untergrundbewegung endgültig Einhalt zu gebieten. Es scheinen vielmehr Anhaltspunkte vorzuliegen, dass gerade das Urteil des Mailänder Prozesses Anlass zu neuen Sabotage- und Terrorakten geben könnte, die bereits heute auf lange Sicht vorbereitet sind.
Bei den zum Einsatz gelangenden Terroristen dürfte es sich um Angehörige einer Untergrundbewegung handeln, die ihre Zellen in Deutschland und Österreich hat. Die Spitzen der Organisation konnten bis jetzt jedoch nicht identifiziert werden. Festzustehen scheint nur, dass keine der bekannten patriotischen und politischen Organisationen die Bewegung direkt unterstützen und dafür verantwortlich gemacht werden können. Offenbar handelt es sich um nationalistisch inspirierte Fanatiker, die beiderseits der Grenze die Unzufriedenheit der Bevölkerung dokumentieren, das Vertrauen in die Behörden untergraben und die Beziehungen zwischen Italien und Österreich durch eine Verschärfung des Südtirolkonfliktes5 bewusst zu stören versuchen. Der gelenkte Terrorismus ist das Mittel, um die Angehörigen der Regierung einzuschüchtern und die Bevölkerung von der Ungerechtigkeit und den Schwächen der Behörden zu überzeugen. Das durch den Terror erzwungene so oder so «ungerechte» Vorgehen der Wiener- und Römer-Behörden soll die Terroristen zu lokalen Freiheitshelden stempeln und die Masse zum Aufruhr bewegen.
Das österreichische Innenministerium hat Grund zu befürchten, dass die Angehörigen dieser Untergrundbewegung eine richtige Partisanenschulung erfahren haben, über Waffen, Munition und Lebensmittel verfügen und dadurch befähigt sind, in vollständig isolierten und selbständig operierenden Gruppen, ohne jegliche verräterische Verbindung zur Zentrale, ihre Tätigkeit auszuüben. Nach den kürzlich in Graz erfolgten Festnahmen zu schliessen, scheint sich das Operationsgebiet der Terroristen nicht nur auf das Land Tirol und die Brenner-Achse zu beschränken. Die in Graz festgenommene Gruppe sollte von dort aus über die Grenze und von Süden her nach Südtirol gelangen.
Es wäre deshalb gar nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft auch schweizerisches Hoheitsgebiet zur Durchfahrt oder als Ausgangspunkt von deutschen oder österreichischen Terroristen benützt würde6. Somit dürfte es ratsam sein, dass auch die schweizerischen Grenz- und Sicherheitsorgane speziell im Osten des Landes zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Urteils im Mailänder Prozess und der Beschlüsse der Neunzehnerkommission auf allfällige legale oder illegale Grenzübertritte der Südtiroler Terroristen ein wachsames Auge haben.
Der österreichische Sicherheitsdienst hat einen umfassenden Plan für das Vorgehen auf österreichischem Hoheitsgebiet vorbereitet, und der mir bekannte Polizeibeamte scheint im Bedarfsfall mit der Ausführung dieses Planes beauftragt zu sein. Es steht fest, dass die österreichische Regierung gewillt ist, mit allen Mitteln der Tätigkeit der Untergrundbewegung ent gegenzutreten. Ungeachtet der Herkunft der Urheber wird rücksichtslos alles daran gesetzt werden, um die Geheimzellen der Organisation aufzudecken. Das Unangenehmste für den österreichischen Sicherheitsdienst wäre dabei, wenn sich herausstellen sollte, dass die Bewegung von der eigenen Armee oder von Angehörigen der Exekutive unterstützt würde.
Diese Angaben wurden mir offensichtlich in der Absicht gemacht, weil man befürchtet, die Untergrundbewegung könnte sich auch auf die Schweiz ausdehnen, ohne dass die schweizerischen Behörden Gegenmassnahmen getroffen haben.
- 1
- Militärbericht Nr. 9 (Kopie): E 2001(E) 1978/84 Bd. 172 (B.75). Diese Kopie ging an P. Micheli.↩
- 2
- Zur Problematik des Südtirols vgl. die Notiz Voyage à Vienne avec M. A. Janner 20–21 octobre 1966 von P. Micheli vom 24. Oktober 1966, dodis.ch/31108. Vgl. ferner Doss. E 2200.53(-) 1977/144 Bd. 3 (B.6.e).↩
- 3
- Vgl. dazu das Schreiben von A. Escher an P. Micheli vom 14. Mai 1964, E 2300(-) 1000/716 Bd. 527 (188).↩
- 4
- Vgl. dazu das Schreiben von Ph. Zutter an P. Micheli vom 18. Dezember 1963, E 2300(-) 1000/716 Bd. 412 (147).↩
- 5
- Vgl. dazu das Schreiben von A. Hurni an P. Micheli vom 10. September 1964, dodis.ch/31259.↩
- 6
- Vgl. dazu das Rundschreiben von A. Amstein an die Polizeikommandanten der Kantone vom 25. März 1964, dodis.ch/31256; das BR-Prot. Nr. 936 vom 15. Mai 1964, dodis.ch/31257; das Schreiben von A. Hurni an P. Micheli vom 10. September 1964, dodis.ch/31259 und die Notiz Georg Klotz von R. Probst vom 15. September 1964, dodis.ch/31258.↩
Tags
Austria (General) Security policy Terrorism