Darin: Notiz von E. Messmer an F.T. Wahlen vom 17.5.1962 (Beilage).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 80
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003-03#1976/44#32* | |
Old classification | CH-BAR E 2003-03(-)1976/44 11 | |
Dossier title | Allgemeines und Prinzipielles (1960–1963) | |
File reference archive | t.910 |
dodis.ch/30148 Interne Notiz des Politischen Departements1 Technische Zusammenarbeit in schweizerischer Sicht
Die Technische Zusammenarbeit der Schweiz mit den Entwicklungsländern ist in starkem Ausbau begriffen. Dabei sind die Motive, die unserer Hilfe zugrunde liegen, verschiedener Art. Zunächst wäre das humanitäre Moment zu nennen, die Verantwortung für die vom Schicksal weniger begünstigten Mitmenschen. Dazu kommt ein allgemein politisches Motiv. Die Bedeutung der unabhängig gewordenen unterentwickelten Länder hat in der letzten Zeit gewaltig zugenommen. Die reichen Nationen, ob sie nun Kolonialmächte waren oder nicht, stehen heute den armen Nationen gegenüber, ein Zustand, der zu Spannungen führen muss, wenn nicht die reichen Nationen, zu denen wir gehören, das Nötige tun, die Entwicklungsländer auf jenen Stand zu heben, den sie erstreben. Die Schweiz als weltoffenes Land ist auf die Freundschaft der Entwicklungsländer angewiesen. Es gilt, diese Freundschaft zu erhalten und damit auch einen Beitrag an die Friedenssicherung zu leisten.
Nicht weniger wichtig sind die neutralitätspolitischen Beweggründe. Sie sind ein spezifisch schweizerisches Merkmal. Die Neutralität als Instrument unserer Unabhängigkeit bedarf der sich ständig erneuernden Anerkennung durch das Ausland. Durch Taten soll nicht nur gezeigt werden, dass uns die Neutralität nicht hindert, an Aktionen internationaler Solidarität teilzunehmen, sondern dass wir darüberhinaus gerade dank unserer Neutralität andern Völkern Dienste leisten, die nichtneutrale Staaten nicht oder nicht in diesem Masse erbringen können. Als Neutrale sind wir nicht verdächtig, die Technische Zusammenarbeit in den Dienst irgendwelcher Macht- oder Blockpolitik stellen zu wollen. Unsere Technische Zusammenarbeit begegnet deshalb weniger Hemmungen von Seite der empfangenden Staaten als jene vieler anderer Länder. Insoweit unsere erhöhten Wirkungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Technischen Zusammenarbeit ein Ausfluss unserer Neutralität sind, ergibt sich aus der Technischen Zusammenarbeit eine Aufwertung der Neutralität.
Ausgehend vom Grundsatz der Neutralität, ist unsere Technische Zusammenarbeit nicht-diskriminierend. Das heisst, sie kommt grundsätzlich allen Staaten zugut. In diesem Rahmen ist es uns anheimgestellt, gegenüber den einzelnen Ländern eine mehr aktive oder eine mehr passive Haltung einzunehmen, die Zusammenarbeit zu fördern oder sie mehr von der Initiative des Partnerstaates stimulieren zu lassen. Praktisch ist bis heute unsere Hilfe an Entwicklungsländer, die zum kommunistischen Block gehören, minim, und das dürfte auch in Zukunft kaum anders sein. Anderseits liegen konkrete Belege dafür vor, dass unsere Zusammenarbeit mit gewissen neutralistischen Ländern sich in verschiedener Richtung günstig ausgewirkt hat.
Allgemein lässt sich sagen, dass eine gleichmässige Verteilung unserer technischen Hilfe auf die verschiedenen Entwicklungsländer nicht unsere Absicht sein kann. Dass ein solches «Gleichgewicht» keine zwangsläufige Folge unserer neutralen Stellung ist, liegt auf der Hand. Eine solche Politik ist aber auch deshalb nicht möglich, weil der Wille und das Vermögen zur Zusammenarbeit nicht bei allen Ländern gleichermassen ausgeprägt ist. Und schliesslich ist zu beachten, dass jede grössere Aktion technischer Hilfe in einem bestimmten Land zwangsläufig zu gewissen Ungleichgewichten führen muss, positiv ausgedrückt zu gewissen Schwerpunktbildungen. Solche Schwerpunktbildungen sind – im Gegensatz zur eigentlichen «Adoption» eines Entwicklungslandes – durchaus günstig zu bewerten, haben sie doch gewisse längerfristige, positive Ausstrahlungen sowohl im Entwicklungsland selber wie auf unsere Bevölkerung.
Unsere Technische Zusammenarbeit ist uneigennützig, sie will den Entwick lungsländern helfen, sie verfolgt keine Nebenzwecke, seien sie nun handels politischer, weltanschaulicher oder religiöser Natur. Das hindert allerdings nicht, dass als Folge unserer Aktionen auf manchen Ebenen positive Wirkungen auf unsere Beziehungen mit den betreffenden Ländern eintreten. Die Uneigennützigkeit unserer Technischen Zusammenarbeit kann auch nicht bedeuten, dass wir von den jeweiligen politischen Beziehungen zu einem bestimmten Entwicklungsland abstrahieren müssten. Es genügt, in diesem Zusammenhang an die unfreundlichen Massnahmen der VAR zu erinnern2. In diesem Falle erschien es uns angezeigt, von neuen Aktionen technischer Hilfe vorübergehend abzusehen.
Was nun die Kanäle betrifft, durch die unsere Hilfe geleitet wird, so unterscheiden wir bekanntlich multilaterale und bilaterale Aktionen. Von den für 1962 für Technische Zusammenarbeit budgetierten Ausgaben in Höhe von 18 Mio. sind 11 Mio. für multilaterale Projekte vorgesehen, wovon 8 Mio. an das «Erweiterte Programm» und den «Sonderfonds» der UNO gehen3. Mit unserer multilateralen Hilfe fördern wir ein Werk der internationalen Solidarität. Wir stärken die UNO und zeigen damit, dass unsere Nichtmitgliedschaft bei dieser Organisation uns nicht daran hindert, an deren Bemühungen zur Sicherung eines besseren Gleichgewichts unter den Völkern mitzuwirken. Die UNO und ihre Spezialorganisationen (wie FAO, UNESCO, ILO, OMS) verfügen über ein weltweites Netz von erfahrenen Leuten, wie es von einem kleinen Staat kaum errichtet werden kann, und zugleich können die von einer Vielzahl von Staaten geäufneten Mittel systematisch eingesetzt werden.
Zwischen dem Dienst für Technische Zusammenarbeit und den internationalen Organisationen besteht im übrigen ein ständiger und intensiver Kontakt, woraus sich auf praktischer Ebene in mancher Beziehung eine recht enge und erspriessliche Zusammenarbeit ergeben hat.
Auf dem Gebiet der bilateralen Technischen Zusammenarbeit kommen dem Bund drei Aufgaben zu: Er unterstützt Aktionen privater und öffentlicher schweizerischer Institutionen, er führt selber Aktionen durch, und er bemüht sich um die Koordination aller von der Schweiz ausgehenden Technischen Zusammenarbeit. Hauptträger der bilateralen Technischen Zusammenarbeit waren bisher die privaten Organisationen, die über einen eingespielten Apparat und meist über grosse Erfahrungen verfügen. Deshalb ist der Bund in erster Linie darauf bedacht, Aktionen Dritter zu unterstützen. Immerhin erlaubt der nunmehr für bilaterale Aktionen zur Verfügung stehende Kredit von vorläufig etwa 7 Mio. Fr. im Jahr auch die Verwirklichung bundeseigener Projekte. Der Dienst für Technische Zusammenarbeit ist deshalb zurzeit mit der Abklärung einiger solcher Projekte beschäftigt; sie haben eine Verbesserung der Landwirtschaft zum Ziel, wobei die Hilfe an der Basis, bei der Bevölkerung selbst anzusetzen hätte. Gerade dies ist ein Merkmal schweizerischer Technischer Zusammenarbeit, dass nämlich die Mitwirkung der Bevölkerung, deren Aktivierung im Mittelpunkt steht.
Die Vielfalt und das Gewicht der privaten Hilfe ruft der Frage nach der Koordination unserer Technischen Zusammenarbeit. Es ist in der Tat eine wesentliche Aufgabe des Delegierten für Technische Zusammenarbeit4, diese Koordination herzustellen. Dass dies nicht von heute auf morgen möglich ist, liegt auf der Hand. Umso erfreulicher ist die Feststellung, dass praktisch alle grösseren privaten Organisationen loyal mit dem Delegierten zusammenarbeiten, wodurch es möglich ist, Doppelspurigkeiten und Fehlleitungen zu vermeiden.
- 1
- Feuille fédérale: E 2003-03(-)1976/44/11. Paraphe: FF. Diese Notiz wurde von E. Messmer zuhanden von F. T. Wahlen verfasst.↩
- 2
- Vgl. Nr. 40, Anm. 3, in diesem Band.↩
- 3
- Zu den Beiträgen der Schweiz an das erweiterte Programm der UNO und den UNO Sonderfonds für das Jahr 1962 vgl. das BR-Prot. Nr. 2110 Participation à la réunion du Comité de l’assistance technique (CAT), New York, 27–30 novembre 1961 vom 21. November 1961, E 1004.1(-)-/1/655.Zur generellen Budgetierung des Kredits für technische Zusammenarbeit für das Jahr 1962 vgl. das Schreiben Voranschlag 1962. Delegierter für technische Zusammenarbeit von Messmer an E. Stopper vom 26. September 1961, E 6100(B)1980/49/16.↩
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