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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 1
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1976/17#1493* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1976/17 316 | |
Dossier title | Niederlassung amerikanischer Firmen in der Schweiz (1961–1963) | |
File reference archive | B.41.31.21.3.0 • Additional component: Vereinigte Staaten von Amerika |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.36-09#1976/154#1083* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.36-09(-)1976/154 154 | |
Dossier title | Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-USA (1961–1962) | |
File reference archive | O.27.2.U |
dodis.ch/18879
Sie haben mir heute einen Bericht2 des Business International mit Auszügen über «Hearings» des «Ways and Means Committee» in Washington3 mit der Bitte zugestellt, Ihnen gelegentlich meine Ansicht zu der in diesen «Hearings»4 angezogenen Frage bekanntzugeben. Ich komme Ihrem Wunsche gerne nach und beehre mich, Ihnen zusammenfassend folgendes mitzuteilen:
1. Amerikanische Gesellschaften unterliegen für ihr ganzes Einkommen aus amerikanischen und ausländischen Quellen der amerikanischen Bundeseinkommenssteuer. Diese Steuer zerfällt in eine «normal tax» von 30% und eine «surtax» von 22% des 25’000 $ übersteigenden steuerbaren Reineinkommens. Gesellschaftsgewinne von über 25’000 $ unterliegen mithin stets einer Steuer von 52%. Diese hohe steuerliche Belastung der Gesellschaftsgewinne einerseits und die Tatsache anderseits, dass sich die amerikanische Industrie genötigt sieht, ihre Investitionen im Auslande selbst zu finanzieren, haben zahlreiche amerikanische Unternehmungen veranlasst, ausserhalb Amerikas Tochtergesellschaften zu gründen. Allein in der Schweiz sind in den letzten 3–4 Jahren ca. 400 solcher amerikanischer «base companies» errichtet worden, wovon etwa die Hälfte in Genf. Diese Gesellschaften befassen sich hauptsächlich mit der Vereinnahmung von Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren, Beratungshonoraren, Verkaufsgewinnen u. dgl. von anderen ausseramerikanischen Tochtergesellschaften des Konzerns, speichern diese Gewinne auf oder benützen sie zur Reinvestierung ausserhalb Amerikas. Da die schweizerische «base company» aller Regel nach keine Dividenden an ihre amerikanische Muttergesellschaft ausrichtet, fliesst dieser kein Einkommen zu; mit anderen Worten, die in der schweizerischen Gesellschaft aufgespeicherten Gewinne sind der amerikanischen Bundeseinkommenssteuer nicht unterworfen. Eine Besteuerung tritt erst in dem Zeitpunkt ein, wo einmal eine Dividende ausgerichtet wird (das kann im Zeitpunkt der Liquidation der schweizerischen Gesellschaft der Fall sein).
Die in der Schweiz errichteten Tochtergesellschaften amerikanischer Konzerne unterliegen hier auf ihren Gesellschaftsgewinnen der eidgenössischen Wehrsteuer (mit einem Maximalsatz von 8%). Sie unterlägen ferner den ordentlichen Kantons- und Gemeindesteuern, die aller Regel nach ein Mehrfaches der Wehrsteuerbelastung ausmachen würden. Dem Beispiel des Kantons Genf folgend hat nun die Mehrzahl der schweizerischen Kantone für sog. Sitz-, Domizil-, Hilfs- und Verwaltungsgesellschaften, die in der Schweiz keine produktive sondern eine vornehmlich administrative Tätigkeit entfalten, massive Steuerprivilegien eingeführt, wodurch die erwähnten Gesellschaften anstelle der normalen Kantons- und Gemeindesteuern vom Einkommen und vom Vermögen nur eine Kapitalsteuer von 0,4–1‰ zu entrichten haben.
2. In seiner Botschaft vom 20. April 1961 an den Kongress, betitelt «Message relative to our Federal Tax System»5, hat Präsident Kennedy vorgesehen, dass die unverteilten Gewinne von ausseramerikanischen, in entwickelten Ländern errichteten Tochtergesellschaften dem jährlichen Gewinn der amerikanischen Muttergesellschaft hinzugerechnet und mit der amerikanischen Bundeseinkommenssteuer von 52% belastet würden. Ich lege eine Photokopie6 der Seiten 6 und 7 der Steuerbotschaft des Präsidenten Kennedy zu ihrer Orientierung bei. In dieser Botschaft wird die Schweiz als einziges «tax haven»-Land mit Namen ausdrücklich erwähnt.
3. Würde Präsident Kennedys Vorschlag im Kongress durchgehen und zum Gesetz erhoben, so würde das bedeuten, dass die unverteilten Gewinne der in der Schweiz errichteten «base companies» einmal den vorerwähnten reduzierten schweizerischen Steuern unterliegen und überdies im Rahmen der Gewinnsbesteuerung der amerikanischen Muttergesellschaft auch von der amerikanischen Bundeseinkommenssteuer zum Satze 52% getroffen würden. An diese amerikanische Steuer könnte immerhin die in der Schweiz erhobene Steuer angerechnet werden. Daraus erhellt, dass die bisher solchen amerikanischen «base companies» von Kantonen und Gemeinden eingeräumten Steuerprivilegien inskünftig nicht mehr den amerikanischen Gesellschaften zugute kommen, sondern vom amerikanischen Fiskus zu seinen Gunsten aufgefangen würden.
Im Rahmen des schweizerisch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommens von 19517 könnte gegen eine derartige amerikanische Massnahme nicht eingeschritten werden, indem durch die Anrechnung der auf den Gewinnen der schweizerischen Tochtergesellschaften erhobenen schweizerischen Steuern die Doppelbesteuerung vermieden wird. Dass auf diesen Gewinnen die höhere amerikanische Bundeseinkommenssteuer zu zahlen ist, verbietet das Doppelbesteuerungsabkommen grundsätzlich nicht.
4. Die Apostrophierung der Schweiz in der erwähnten Kennedy-Botschaft ist vom Eidgenössischen Politischen Departement über die Botschaft in Washington unverzüglich gerügt worden8. Weitere Interventionen sind m. W. bisher nicht erfolgt und vorläufig auch nicht beabsichtigt. Derzeit liegt die Steuerbotschaft Präsident Kennedys vor dem «Ways and Means Committee», das «Hearings» mit Steuerfachleuten und Vertretern der interessierten Wirtschaftskreise abgehalten hat, worüber der Bericht der Business International, den Sie mir zugestellt haben, Aufschluss gibt. Aus diesen «Hearings», aber auch aus einem sehr eingehenden Referat des Sekretärs des Schatzamtes, Douglas Dillon, vom 3. Mai 1961, geht hervor, dass der amerikanische Fiskus die ganze Frage sehr ernsthaft studiert; die Meinungen der interessierten Kreise über die Zweckmässigkeit der Massnahme sind jedoch noch geteilt.
5. Der Wettstreit, der mit Bezug auf die Einräumung von Steuerprivilegien an ausländisch beherrschte Gesellschaften zwischen den Kantonen begonnen hat, ist m. E. zu bedauern. Die kantonale Souveränität auf diesem Gebiet verbietet jedoch dem Bund einzugreifen. Vielleicht könnte der amerikanische Vorstoss jedoch in dem Sinne eine heilsame Wirkung auf die Kantone ausüben, dass sie einsehen lernen, dass derartig weitgehende steuerliche Privilegierungen ja nur den ausländischen Fiskus alimentieren; denn auch ohne derartige Privilegierungen wäre die Schweiz mit ihrer gegenüber dem Ausland wesentlich reduzierten steuerlichen Gesamtbelastung auch dann noch konkurrenzfähig, wenn die in Rede stehenden amerikanischen Tochtergesellschaften wie bei der eidgenössischen Wehrsteuer auch den ordentlichen Kantons- und Gemeindesteuern unterworfen würden.
6. Mit Bezug auf in der Schweiz errichtete und vom Ausland beherrschte Gesellschaften stellt sich im übrigen für unsere Verwaltung derzeit noch ein neues Problem. Die Tatsache, dass wir mit 12 Staaten Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen haben, die in der Schweiz wohnhaften Empfängern von aus den Vertragsstaaten fliessenden Dividenden, Zinsen und Lizenz gebühren gestatten, die ausländischen Quellensteuern auf diesen ausländischen Einkünften teilweise oder ganz zu vermeiden, bildet neben den steuerlichen Privilegierungen in den Sitzkantonen einen weiteren Anreiz für die Errichtung von Gesellschaften in der Schweiz. Die Kumulierung der beiden Vorteile (Inanspruchnahme der Abkommensvorteile, reduzierte Steuerbelastung qua kantonale Steuerprivilegien) hat uns von unseren ausländischen Vertragspartnern den Vorwurf eingetragen, ausländisch beherrschte Kreise beanspruchten über eine schweizerische Fassade missbräuchlich unsere Doppelbesteuerungsabkommen. Diese Vorwürfe sind ernst zu nehmen und sind derzeit Gegenstand eingehender Prüfung. Ich darf, um nicht länger zu werden, Sie auf den letzten Abschnitt des beiliegenden Vortrages9 verweisen, den ich am 30. Juni 1961 vor der Schweizer Gruppe der International Law Association gehalten habe.
Den mir überlassenen Bericht der Business International lege ich zu meiner Entlassung wieder bei. Sollten Sie den Bericht entbehren können, so wäre ich für dessen Überlassung zur Ergänzung unserer Dokumentation sehr dankbar.
Zu allfälligen weiteren ergänzenden Auskünften stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001(E)1976/17/316.↩
- 2
- Nicht ermittelt.↩
- 3
- Siehe dazu das Schreiben von A. R. Lindt an R. Kohli und an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 8. Mai 1961, E 7110(-)1972/32/133.Die Beilagen dieses Schreibens wurden wahrscheinlich von H. Schaffner an K. Locher weitergeleitet.↩
- 4
- Zum kompletten veröffentlichten Text der Hearings conducted by Committee on Ways and Means vom 3. Mai 1961 vgl. E 2200.36(-)1976/154/154.↩
- 5
- Zu dieser Botschaft vgl. E 2200.36(-)1976/154/154.Siehe auch die Beilage zum Schreiben von Lindt an Kohli und an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 21. April 1961, E 7110(-)1972/32/133.↩
- 6
- Nicht ermittelt.↩
- 7
- Vgl. das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 24. Mai 1951, BBl, 1951, II, S. 285–295.↩
- 8
- Vgl. E 2200.36(-)1976/154/87.↩
- 9
- Nicht ermittelt.↩
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