Abschiedsbesuch des schweizerischen Gesandten bei Tito und seinen Mitarbeitern Bebler und Kardelij. Sie denken, dass von sowjetischer Seite das Schlimmste vorüber ist. Moskau würde keinen UNO-Mitgliedsstaat angreifen. Gute Beziehungen zur Schweiz.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 11
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#74* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 42 | |
Dossier title | Belgrad, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 7 (1947–1949) |
dodis.ch/8738 Der schweizerische Gesandte in Belgrad, E. Zellweger, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Die Unterhaltungen, die ich anlässlich meiner Abschiedsbesuche2 mit Marschall Tito, Aussenminister Kardelj und den stellvertretenden Aussenministern Bebler, Topovic und Mates hatte, vermittelten mir einen, wie ich glaube, zuverlässigen Einblick in die Auffassungen der jugoslawischen Staatsführung über den Konflikt mit dem Ostblock3.
Ich möchte einen für die bisherige wie künftige Entwicklung sicher bedeutsamen psychologischen Faktor vorweg erwähnen: Marschall Tito befindet sich in einer ausgezeichneten physischen und psychischen Verfassung. Seine Ruhe und Ausgeglichenheit, seine innere Sicherheit und unbeirrbare Zuversicht beeindrucken seine Besucher nachhaltig. Es scheint für ihn kennzeichnend zu sein, dass seine Ruhe, seine Fähigkeit zur Analyse einer politischen Situation, seine Entschlusskraft umso grösser sind, je schwieriger die Lage ist, die er zu meistern hat. Der konservative englische Unterhausabgeordnete und General MacLean, der während des Krieges Chef der britischen Militärmission bei Tito war, hat mir schon vor geraumer Zeit gesagt, Tito sei immer in den schwierigsten Situationen «at his best». Bezeichnenderweise war er es, der Samstag, den 20. August, die Nervosität seiner Mitarbeiter abbremste, als sie unter dem Eindruck einer bedrohlichen Note der Sowjetregierung die Vertreter Frankreichs, Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten durch einen telefonischen Anruf Beblers auf das Aussenministerium hatten bitten lassen4. Auf Titos Weisung ist, wie mir der stellvertretende Aussenminister Bebler mitteilte, dieses Aufgebot widerrufen worden. Bebler sagte wörtlich: «Wir haben an jenem Tage den Marschall mit Alarmtelegrammen bombardiert. Er aber spazierte in Badehosen am Strande von Brioni, liess sich durch unsere Aufregung nicht anstecken und gab gelassen seine Anweisungen, die richtig waren. Er besitzt ein unglaubliches Flair für die Würdigung einer politischen Situation». Es lässt sich auf jeden Fall nicht bestreiten, dass die jugoslawische Regierung in ihrem Konflikt mit dem Koloss im Osten eine Politik getrieben hat, die in jeder Hinsicht das Prädikat staatsmännisch verdient.
Die Zuversicht Titos zieht einen erheblichen Teil ihrer Stärke aus einer ideologischen Wurzel. Dies wurde mir klar, als Tito mir sagte: «Wir konnten als Revolutionäre nicht anders handeln». Es ist seine und seiner Mitarbeiter Meinung, dass die Sowjetunion durch Unterjochung und Ausbeutung der Volksdemokratien Lenins Grundsätze über das Verhältnis unter sozialistischen Staaten (Zusammenarbeit auf dem Fusse der Gleichberechtigung) krass missachtet und daher diese Staaten zur Trennung von Moskau zwingt und auf den Weg einer nationalkommunistischen Entwicklung treibt, wenn sie ihre revolutionären Ziele nicht preisgeben wollen. Da es nach marxistischer Überzeugung Gesetze der Geschichte sind, welche die Entwicklung diesen revolutionären Zielen entgegentreiben, ist die Loslösung von Moskau eine historische Notwendigkeit, der sich auch die andern Volksdemokratien nicht entziehen können. Diese Überzeugung hat auch Aussenminister Kardelj, der mir sagte: «Wir werden nichts tun, um in den andern kommunistischen Parteien Gruppen von Sympathisanten zu gründen. Die Geschichte wird dies ohne unser Dazutun besorgen». Die Behauptung Kardeljs, dass Jugoslawien der Entstehung titoistischer Bewegungen in den andern Volksdemokratien nicht nachhelfe, ist nicht unglaubhaft, indem die russische Politik gegenüber den Volksdemokratien solche Bewegungen in der Tat automatisch auslöst. Vor 14 Tagen berichteten mir ungarische mit den Verhältnissen vertraute Arbeiterführer in Budapest, dass die Mehrheit der ungarischen Überzeugungskommunisten pro Tito sei. Die Stärke der separatistischen Gefahr in den Volksdemokratien lässt sich übrigens an der Heftigkeit der gegen sie gerichteten Reaktion ablesen (Erhebung und Begründung der Anklage gegen Rajk und Konsorten in Ungarn, Massenversammlungen gegen Tito in Polen).
Ich fragte Marschall Tito, ob er glaube, dass eine Verselbständigung der andern Volksdemokratien gegenüber der Sowjetunion zu einer Art von cordon neutre längs der russischen Westgrenze führen würde. Tito antwortete, dies sei wahrscheinlich und wäre ein Beitrag zur Sicherung des Friedens.
Sowohl Marschall Tito wie Aussenminister Kardelj glauben auch heute nicht an eine militärische Aktion aus dem Ostblock gegen Jugoslawien. (Andere Aktionen vermögen, wie die Erfahrung von 15 Monaten zeigt, das Regime in Jugoslawien nicht ernstlich zu gefährden). Kardelj erklärte, eine militärische Aktion wäre ein offensichtlicher Angriffsakt, den sich Russland als Mitglied der UNO gegen ein anderes UNO-Mitglied nicht gestatten könne, auch nicht mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Dieses Wilson’sche Argument im Munde eines Kommunisten ist einigermassen überraschend und offenbart eine wohl unbewusste Annäherung an eine westliche Denkweise.
Sowohl Marschall Tito als auch Kardelj sind der Meinung, dass die schwierigsten Momente hinter ihnen liegen. «Allerdings kennen wir die Zukunft nicht», hat der Aussenminister beigefügt. Die Regierung Tito hat nun während 15 Monaten den Beweis erbracht, dass sie fähig ist, jeden Angriff auf das Regime (ausser dem militärischen) abzuwehren, was ihre Position nicht nur in den Augen der westlichen Grossmächte gefestigt hat.
Was das Verhältnis zur Schweiz betrifft, so haben meine sämtlichen Gesprächspartner ebenso spontan wie übereinstimmend erklärt, die jugoslawische Regierung werde alles tun, um die jetzigen guten Beziehungen zur Schweiz auch in Zukunft zu erhalten und zu festigen. Es erregte, weil es bisher noch nie geschehen war, im diplomatischen Korps geradezu Aufsehen, dass Aussenminister Kardelj meine Frau und mich zu einem intimen Abschiedsdéjeuner in seiner Villa eingeladen hat (weitere Teilnehmer: stellvertretender Aussenminister Mates mit Frau, stellvertretender Aussenhandelsminister Pavlic mit Frau und ein Legationsrat vom Protokoll).
- 1
- E 2300 Belgrad/7. M. Petitpierre setzte den politischen Bericht am 14. September bei den Bundesräten in Zirkulation.↩
- 2
- E. Zellweger demissionierte auf Ende September 1949 vom diplomatischen Dienst, vgl. BR-Prot. Nr. 1732 vom 6. September 1949, E 1004.1(-)-/1/509.↩
- 3
- Die im Kominform zusammengeschlossenen moskautreuen kommunistischen Parteien Osteuropas schlossen die kommunistische Partei Jugoslawiens am 27. Juni 1948 aus dem Kominform aus und starteten eine Wirtschaftsblockade gegen Jugoslawien.↩
- 4
- Zu den sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen vgl. auch den politischen Bericht Nr. 12 von H. Zurlinden an M. Petitpierre vom 27. Oktober 1949, E 2300Moskau/9 (dodis.ch/7709).↩
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