dodis.ch/47484
Notice du Secrétaire de Légation de la Division des Affaires étrangères du Département politique, F. de
Diesbach1
Die Erörterung der Frage der Weiterreise und Aufnahme durch andere Länder der in die Schweiz eingereisten Flüchtlinge, die das Justiz- und Polizeidepartement seit langem beschäftigt, führte in den letzten Monaten des vorigen Jahres zwischen dem Chef der Polizeiabteilung und der Schweizerischen Gesandtschaft in London zu einem Telegramm- und Briefwechsel2, bei dem die Abteilung für Auswärtiges Übermittlungsdienste besorgte.
Zuletzt erhielt die Abteilung den Durchschlag eines achtseitigen Berichtes der Gesandtschaft an Herrn Dr. Rothmund vom 30. Dezember, ein Telegramm aus London vom 5. Januar3 und den Durchschlag eines Briefes vom 28. Januar von Herrn Rothmund an Herrn Minister Thurnheer4.
Aus diesen Schriftstücken ist ersichtlich, dass Herr Minister Thurnheer am 9. Dezember gestützt auf ein durch uns übermitteltes Telegramm von Dr. Rothmund vom 28. Nov. 1942, die Flüchtlingsfrage mit Sir Herbert Emerson, dem Hochkommissär für Flüchtlinge5, besprochen und von ihm vernommen hat, es bestehe in verschiedenen Ländern die Bereitschaft, eine grössere Zahl von Flüchtlingskindern6 aufzunehmen. Hinsichtlich der Erwachsenen müsse zwischen denjenigen unterschieden werden, die sich bereits in der Schweiz befinden, und jenen, die in Zukunft bei uns Einlass erhalten. Für die ersteren sei nicht viel zu erhoffen, wogegen für die zweite Gruppe etwas zu erreichen sein sollte. Eine Zusicherung der in Frage kommenden Regierungen über die Aufnahme von erwachsenen Flüchtlingen sei indessen kaum zu erwarten. Es wurde zwischen den Herren Thurnheer und Emerson immerhin verabredet, dass dennoch jeder von seiner Seite her den Versuch machen werde, eine direkte Zusicherung der Abnahme erwachsener Flüchtlinge zwischen den Regierungen zu erlangen. Sollte dies nicht möglich sein, so werde Sir Herbert Emerson versuchen, die Regierungen zu veranlassen, eine solche Zusicherung dem Hochkommissariat zu erteilen oder wenigstens einem Gentlemen’s Agreement über diesen Gegenstand zuzustimmen. Dabei ist es die Absicht des Hochkommissärs, die Bedürfnisse der Schweiz neben denjenigen von Spanien ganz besonders zu berücksichtigen.
Das Hochkommissariat scheint in der Folge tatsächlich eine vertrauliche Note an die britische Regierung gerichtet zu haben, um sie für unsere Anliegen zu gewinnen, und es habe im Anschluss daran eine Konferenz auf dem Aussenministerium stattgefunden, anlässlich welcher britischerseits dem Hochkommissariat definitiv eine eingehende Prüfung des Problems versprochen wurde. Ausserdem hat sich Sir Herbert Emerson beim amerikanischen Botschafter in London in gleichem Sinne verwendet. Die Aussichten seien hinsichtlich der Vereinigten Staaten freilich nicht besonders günstig. Immerhin wolle nun auch die britische Regierung bei den USA einen Versuch unternehmen, und Botschafter Winant, der der Angelegenheit sympathisch gegenüberstehe, werde in den Vereinigten Staaten sondieren.
Es scheint die Möglichkeit zu bestehen, dass die Vereinigten Nationen sich zu einer Erklärung bereit finden, wonach sie gewillt sind, die Schweiz am Ende des Krieges von denjenigen Einwanderern zu befreien, die von einem bestimmten Zeitpunkt an bis zum 1. Januar 1943 in unser Land gekommen sind.
Mit einer solchen Zusicherung will sich Herr Dr. Rothmund indessen nicht abfinden, da er es für wichtig hält, zu vermeiden, dass durch die Annahme einer solchen Regelung schweizerischerseits dokumentiert werde, man sei bereit, die Flüchtlinge, die von diesem Verfahren nicht erfasst werden, zu behalten. Jedenfalls lehnt es Herr Dr. Rothmund ab, Herrn Minister Bruggmann, der Anregung von Herrn Minister Thurnheer entsprechend, mit einer Demarche zur Unterstützung der Sondierungen von Botschafter Winant zu beauftragen. Er gedenkt vorläufig nichts zu unternehmen und abzuwarten, was Herr Winant in Washington zustandebringt und was uns der Hochkommissär nachher vorschlägt.
In der Zwischenzeit wird versucht werden, den Transit durch Frankreich, der seit der Besetzung des ganzen Landes7 unterbunden ist, wieder zu öffnen. Das Resultat dieser Bemühungen wird von der Entwicklung der allgemeinen Lage und insbesondere unseres wirtschaftlichen und politischen Verhältnisses zu Deutschland beeinflusst werden.