Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 198
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#117* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 33 (1932–1932) |
dodis.ch/45740
Die Manöver3 waren so angelegt, dass sich ein Vergleich mit den mutmasslichen Ereignissen in einem Kriege mit Polen ergeben musste, und zwar in dem Abschnitt zwischen Oder und Warthe, wo die polnische Grenze bis zu 130 km an die Reichshauptstadt heranreicht. Es scheint, dass durch die Manöver auch der Armee und dem deutschen Volke die Gefahr vor Augen geführt werden sollte, die mit der jetzigen Grenzziehung und mit der infolge des Friedensvertrages ungenügenden Landesverteidigung verbunden ist.
Auch in der Organisierung der Manöverparteien scheint der Kriegsfall mit Polen berücksichtigt worden zu sein. Die feindliche rote Partei wurde stärker und beweglicher gemacht als Blau; insbesondere wurden ihr Truppen-Formen und Waffen beigegeben, über die die Reichswehr nach den Bestimmungen des Friedensvertrages nicht verfügen darf: so motorisierte Aufklärungs-Detachemente, Panzerwagen, Kraftradschützen und Radfahrer, Flieger und schwere Artillerie wurden supponiert. Die Panzerwagen bestanden allerdings aus gewöhnlichen Personenwagen mit Karton-Attrappen, die Krafträder und Fahrräder waren angeblich Privatbesitz der betreffenden Reichswehrsoldaten, die aus den verschiedensten Regimentern stammten. So wurde bei Rot eine Truppe gezeigt, wie sie nach dem Friedens vertrage nicht vorhanden sein darf, mit der aber im Ernstfälle die Reichswehr beim Gegner zu rechnen haben wird.
Auffallend war es aber auch, dass die Organisation bei Blau nicht mit derjenigen übereinstimmte, die im Friedens vertrage Deutschland eingeräumt wurde. Jedem Stab eines Truppenkörpers war eine Nachrichtenabteilung beigegeben. Jedes Bataillon und die Aufklärungsabteilung verfügten über eine Tankabwehr-Formation. Diejenige der Aufklärungsabteilung war motorisiert. Die Tankabwehrgeschütze waren allerdings mit einem Rohr aus Holz versehen. Im übrigen hatte das Geschützmodell normale Zieleinrichtung, teilbare Lafette und Stahlschutzschild. Bei der Artillerie war dem Divisionsartillerieregiment eine supponierte vierte Abteilung beigegeben mit drei schweren Feldbatterien. Blau verfügte ebenfalls, allerdings in geringerem Umfange als Rot, über Panzerwagen. Man wird sich fragen, weshalb bei Blau mit Formationen geübt wurde, die verboten sind. Es hätte wohl keinen Sinn, bei beiden Manöverparteien mit Truppen und Waffen zu üben, die nur auf dem Papiere stehen und auch in absehbarer Zukunft nicht zur Verfügung stehen werden. Die Antwort liegt nahe, dass entweder die Heeresleitung bereits für die nächste Zeit mit einer Lockerung der wehrpolitischen Bestimmungen des Friedensvertrages rechnet oder dass sie nötigenfalls gewillt ist, unter Umgehung der wehrpolitischen Bestimmungen des Friedensvertrages die Reichswehr umzuorganisieren. Von den Militâr-Attachés konnte man die Auffassung hören, dass diese Umorganisierung im geheimen schon weit fortgeschritten sei.
Die autonome Lösung, die der Reichswehrminister4 anlässlich der ostpreussischen Manöver ankündigte, dürfte wohl dahin verstanden werden, dass Deutschland beim Scheitern der eingeleiteten diplomatischen Schritte im geheimen seine Landesverteidigung den heutigen Verhältnissen anpassen werde. Vielleicht hätte man in dieser Hinsicht aus dem Munde des Reichswehrministers selbst etwas erfahren können, da bei der Schlussbesprechung der Reichswehrminister Ausführungen über die wehrpolitischen Fragen gemacht hat. Bevor jedoch der Reichswehrminister seine Ausführungen begann, wurden sämtliche an der Schlussbesprechung Anwesenden, die nicht aktive Reichswehroffiziere waren, gebeten, der Vertreter des Auswärtigen Amtes eingeschlossen, das Lokal zu verlassen.
Bekanntlich gehört zu den Programmpunkten der deutschen Umrüstung die Schaffung einer Miliz. In meinem letzten politischen Berichte5 wies ich darauf hin, dass das grosse Interesse Deutschlands an unseren Heereseinrichtungen auf diese Pläne zurückzuführen sei. Auch bei den Manövern in Ostpreussen, die in der zweiten Hälfte August stattfanden, hat der Reichswehrminister die Schaffung einer Miliz öffentlich angekündigt und schon damals auf das schweizerische Vorbild hingewiesen. Dabei muss aber betont werden, dass nicht etwa beabsichtigt ist, das Berufsheer durch eine Miliz zu ersetzen, sondern neben der Reichswehr sollen Milizformationen aufgestellt werden. Die Miliz soll im Rahmen der Landesverteidigung rein defensive Aufgaben übernehmen, zu deren Erfüllung sie mit Rücksicht auf ihre Ausbildung und Organisation befähigt erscheint. In erster Linie ist an eine Verwendung der Miliz in den Grenzgebieten, insbesondere im abgetrennten Ostpreussen, gedacht. Ein Anfang mit der Durchführung dieses Programmpunktes ist wohl damit gemacht worden, dass Mitte September ein Reichskommissariat für Jugendertüchtigung gebildet wurde, das die Aufgabe hat, die sog. Sportverbände mit der Zeit in den Dienst der Landesverteidigung zu stellen und zunächst damit anzufangen, Instruktoren für den Geländesport auszubilden und den Verbänden zuzuweisen.
In diesem Zusammenhange sind die Äusserungen von Interesse, die der Reichswehrminister Herrn Oberst Combe6 anlässlich der Vorstellung der ausländischen Offiziere getan hat. Er führte ungefähr folgendes aus: Die deutsche Heeresleitung würde den schweizerischen Heereseinrichtungen besonderes Interesse entgegenbringen, weil die Absicht bestände, auch in Deutschland etwas Ähnliches zu schaffen. Dies sei ein Plan, für den er sich besonders interessiere. Es müsse neben der Reichswehr eine Miliz geschaffen werden, in der jeder Deutsche berechtigt sei, dem Lande zu dienen. Die Aufstellung einer solchen Organisation sei auch deshalb erwünscht, weil dann das für die Staatsautorität abträgliche Soldatenspielen der Parteiarmeen aufhören würde. Allerdings würden Deutschland jetzt Schwierigkeiten gemacht, diese Pläne zur Ausführung zu bringen, aber diese Widerstände seien sachlich nicht gerechtfertigt: «Was für die Schweiz recht sei, das sei auch für Deutschland billig.» Zu letzterer Bemerkung ist beizufügen, dass sie wörtlich der Formulierung entspricht, die der Reichswehrminister in seiner Besprechung an den ostpreussischen Manövern laut Zeitungsberichten gebrauchte. Es mag fraglich sein, ob es erwünscht ist, wenn von deutscher Seite auf das schweizerische Beispiel in dieser Form verwiesen wird. Jedenfalls ist die Begründung kaum überzeugend, denn der Reichswehrminister übersieht, dass die Schweiz neben der Miliz kein Berufsheer hat und dass unserer Armee ihre Aufgabe durch die Neutralitätspolitik vorgeschrieben ist, während Deutschland nicht beabsichtigt, sich auf eine Neutralitätspolitik zu verpflichten.
Wenn ich von den Manövern den Eindruck erhalten habe, dass die deutsche Umrüstung im geheimen bereits begonnen hat und dass die Heeresleitung entschlossen ist, bei dem Misserfolg der diplomatischen Aktion in der Wehrfrage auf dem bisherigen Wege fortzuschreiten, so wird man sich auch die Frage stellen, ob bei der Gegenseite die Möglichkeit besteht, Deutschland gegebenenfalls an diesem Vorgehen zu hindern. Um letzteres zu erreichen, müsste die französische Sanktionspolitik wieder aufgenommen werden. Dagegen bestehen aber in der jetzigen Zeit, wo die Krisenbekämpfung das Gebot der Stunde ist, die grössten Bedenken. Diese würden wohl zurückgestellt, wenn die eingeleitete und in Aussicht genommene Umrüstung, worüber die französische Regierung bekanntlich Belege besitzen soll, eine ernstliche Gefahr für den Frieden bedeuten könnte. Das ist aber nicht der Fall. Der Rüstungsstand, den Deutschland heute anstrebt und bei seiner finanziellen Lage anstreben kann, ist derjenige, der erlaubt, die Landesverteidigung wenigstens einigermassen zu sichern. An eine Stärkung des Heeres in einem Masse, dass es für die Erreichung machtpolitischer Ziele eingesetzt werden könnte, ist ernstlich nicht zu denken. Was Deutschland heute anstrebt und aus finanziellen Gründen auch nur erreichen kann, ist die Rückgewinnung der Landesverteidigung. Das Recht der Landesverteidigung wurde bekanntlich Deutschland durch den Friedensvertrag entzogen, der in Art. 160 Abs. 2 bestimmt, dass das Heer nur für die Erhaltung der Ordnung innerhalb des deutschen Gebietes und zur Grenzpolizei bestimmt sei. Ein solcher Eingriff in die Rechte eines souveränen Volkes Hesse sich auf die Dauer nur aufrechterhalten, wenn als erwiesen angenommen werden könnte, dass Deutschland nach Erreichung des Rechtes auf Landesverteidigung trotz aller freiwillig eingegangenen Rüstungsverpflichtungen zu einer friedensgefährdenden Aufrüstung übergehen würde.
- 1
- La lettre est signée par H. Frölicher, Chargé d’affaires a.i.↩
- 2
- Lettre: CH-BAR#E2300#1000/716#117*.↩
- 3
- H.Frölicher a été invité à assister aux manœuvres de la Reichswehr, du 18 au 22 septembre.↩
- 4
- K.v. Schleicher.↩
- 6
- Ier Chef de section du Service de l’Etat-major général du Département militaire.↩
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