Classement thématique série 1848–1945:
VI. LE RAVITAILLEMENT DE LA SUISSE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 410
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#105* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 58 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 21, Teil 2 (1920–1920) |
dodis.ch/44621
Le Ministre de Suisse à Berlin, A. von Planta, au Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess1
Ich schrieb Ihnen gestern2, dass ich beim Minister des Auswärtigen um eine Audienz nachgesucht habe zwecks Bekanntgabe des Auftrages, den Sie mir durch Ihr Schreiben vom 4. Oktober a.c.3 erteilt hatten. Der Besuch war auf gestern abend 4 Uhr angesetzt, konnte aber leider nicht ausgeführt werden, weil der Minister in dem Augenblick, in welchem wir die Aussprache beginnen wollten, dringlich zu einer Kabinettssitzung berufen worden ist. So wurde ich denn an Herrn Staatssekretär Boyégewiesen und habe dort im Sinne des bundesrätlichen Beschlusses mit grösstmöglichstem Nachdruck gesprochen.
Herr Boyé erklärte mir gleich, dass er meine Mitteilungen nur ad referendum entgegennehmen könne und solle und dass er sich aus diesem Grunde auch jeder eigenen Meinungsäusserung zu enthalten habe. Immerhin leitete er seine Ausführungen mit der sehr bestimmt gehaltenen Erklärung ein, dass die deutsche Regierung unter allen Umständen Verpflichtungen, die einmal – gleichgültig ob mit Recht oder Unrecht – übernommen worden seien, erfüllen oder dann eine Lösung zu finden suchen werde, mit welcher sich auch die Schweiz einverstanden erklären könne. Und am Schlüsse unserer längeren Aussprache betonte er nachdrücklich, wie grosses Gewicht die deutsche Regierung darauf lege, die Beziehungen zur Schweiz nicht zu trüben und gerade diesem Lande gegenüber nicht in den Verdacht der mangelnden Vertragstreue zu geraten.
Aus den vorsichtigen Äusserungen des Staatssekretärs habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass er persönlich den vorgeschlagenen Weg der Kürzung der Vertragsdauer für gangbar halte und zwar namentlich deshalb nicht, weil dadurch die grosse Gefahr des Präjudizes gegenüber der Entente nicht beseitigt werde. Herr Boyé machte nämlich darauf aufmerksam, dass neuestens die Franzosen die Meistbegünstigungsklausel des Friedensvertrages dahin auslegen, dass jeder Vorteil, der den Angehörigen eines ändern Landes gewährt werde, auch den Franzosen zugutekommen müsse, die sich in ähnlicher Lage befinden. So leite Frankreich aus dem bekannten Kreditabkommen mit Holland, das bekanntlich noch nicht ratifiziert ist, den Anspruch ab, dass Franzosen, die auf deutschem Gebiete Kohlenwerke besitzen, diese Kohle unter gleichen Bedingungen ausführen dürfen, wie solche den holländischen Besitzern einer Grube in Deutschland durch das geplante Kreditabkommen zugestanden worden seien. Dieser Standpunkt sei natürlich für Deutschland völlig unannehmbar und werde voraussichtlich dazu führen, dass das Abkommen mit Holland ins Wasser falle. Alle Bemühungen der Holländer, in Paris Entgegenkommen zu finden, seien bisher vergeblich gewesen. Nun fürchtet die deutsche Regierung, dass die Franzosen, die ja bekanntlich das Recht beanspruchen, den Friedensvertrag einseitig nach ihrem Gutdünken auszulegen, aus der Fortsetzung der privilegierten Lieferungen an die Schweiz die gleichen Rechte für Frankreich, d.h. für die Werke von Franzosen in Deutschland, ableiten werden, wie sie durch den Präsidentvertrag der Contag eingeräumt sind. Diese Befürchtung ist durch die Meldung verstärkt worden, dass die Stahlwerke Becker im Begriff seien, französisches Kapital in ihr Unternehmen einzufügen. Dass Deutschland dieses Bestreben nicht gerne sieht, ist selbstverständlich, und dass durch diese Haltung der Becker die ohnehin schon bestehende starke Animosität der Behörden und Konkurrenten gegen Becker verschärft wird, kann nicht wundern. Man wirft den Becker vor, die deutschen Interessen ihren Privatinteressen geopfert zu haben und ist überzeugt davon, dass die Kapitalbeschaffung aus der Schweiz und die Gründung der Continentalen Handelsgesellschaft nur erfolgt sei, um in der Schweiz das Geld zu verdienen, auf welches man scheinbar bei der Abgabe ab Werk zum Selbstkostenpreis verzichtet hatte. Kurzum, die Stimmung gegenüber Becker ist nicht gut, und es scheint mir deshalb wahrscheinlich, dass eine Lösung in der Richtung gesucht werden wird, dass man Becker belastet, ohne die schweizerischen Interessen zu beeinträchtigen. Wie das erreicht werden soll, ist freilich noch nicht klar. Boyé sagte mir auch, dass die Beckersche Mähr, nach welcher seinerzeit das Kapital für die Rekonstruktion des Unternehmens in Deutschland nicht hätte gefunden werden können, durchaus unzutreffend sei – ganz im Gegenteil wären zahlreiche Leute am Rhein gerne bereit gewesen, das Geld zu beschaffen. Ich antwortete darauf: Gewiss, die Herren Stinnes und Consorten, aber dabei hätte Becker seine Selbständigkeit opfern müssen.
Aus den Bemerkungen des Staatssekretärs habe ich weiter geschlossen, dass doch die Frage der Kohlenausfuhr-Abgaben den hauptsächlichen Stein des Anstosses bildet. Er rechnete mir nochmals vor, dass der Verzicht auf die Abgaben in jetziger Höhe jährlich einen Verlust von über 60 Millionen Mark für den Fiscus bedeute, ohne Berücksichtigung der entgehenden Mehrsteuer infolge Herabsetzung des Gewinnes der Stahlwerke Becker. Dieser Jahresverlust würde sogar bei der verkürzten Dauer des Vertrages von 20 Jahren mit Zinsen einen Gesamtbetrag von mindestens zwei Milliarden Mark ausmachen. Ziehe man weiter in Betracht, dass die Abgabe aller Voraussicht nach mit der Zeit erhöht werden müsse, so vermehre sich der Verlust des Fiscus weiter. Ich entgegnete natürlich, dass ich nicht nur eine Erhöhung der Abgabe für völlig ausgeschlossen halte, sondern überzeugt sei, dass der Weltmarktpreis in Bälde sinken werde, was automatisch zu einer Herabsetzung der Ausfuhrabgabe führen müsse. Den ganz gleichen Effekt müsste auch das Steigen der deutschen Valuta haben.
Im übrigen bestätigte mir Boyé, dass die Frage, ob durch die Genehmigung des Becker Vertrages ein Verzicht auf die Erhebung von Ausfuhrabgaben ausgesprochen werden wollte, den Gegenstand eingehender und «durchaus objektiver» Prüfung bilde. Diese Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, und er könne mir deshalb gar nichts sagen über das voraussichtliche Ergebnis. Ich habe neuerdings darauf hingewiesen, dass die Schweiz in guten Treuen dem Vertrage zugestimmt und ihre ganze Kohlenversorgung darauf eingestellt habe. Und ganz besondere habe ich hervorgehoben, dass es sich keineswegs um Privatinteressen der Continentalen Handelsgesellschaft in Zürich (die man hier nur als eine Filiale der Becker ansieht), sondern um ein grosses Interesse der ganzen schweizerischen Kohlenwirtschaft handle.
Ich glaube doch, bei diesem Anlass darauf hinweisen zu sollen, dass es meines Erachtens nicht gerechtfertigt wäre, wenn man der deutschen Regierung Illoyalität oder Wortbrüchigkeit vorwerfen wollte, weil sie Zweifel darüber hegt, ob durch jene Genehmigung des Beckervertrages auf die Erhebung der Ausfuhrabgabe für quasi ewige Zeiten verzichtet werden wollte und konnte. Selbstverständlich werde ich diesen Zweifel den deutschen Behörden gegenüber niemals durchblicken lassen, aber ich halte es für meine Pflicht, Ihnen gegenüber diese Ansicht offen zum Ausdruck zu bringen.
Man ist hier an massgebender Stelle durchaus der Ansicht, die ja auch der Gesandte Müller in Bern vertritt, dass der einmal genehmigte Vertrag loyal ausgeführt werden oder dann durch eine Abmachung ersetzt werden müsse, mit welcher die schweizerische Regierung sich einverstanden erklären könne. Dasjenige, was in dem Konventikel gesprochen worden sein soll, über welches die Stahlwerke Becker Herrn Stucki Aufzeichnungen eines Unverantwortlichen zugestellt haben, ist nicht die Auffassung der Regierung und entspricht überhaupt wahrscheinlich nicht den Tatsachen. Dagegen bedeutet doch die Anerkennung der Pflicht zu loyaler Erfüllung noch nicht die weitere Pflicht, dem Vertrage eine Auslegung zu geben, welche zwar der Ansicht der Gegenpartei entspricht, die aber nicht mit Sicherheit aus dem Wortlaut des Vertrages gefolgert werden muss. Ich bin der Meinung, dass die heutigen Vertreter der Regierung, die an den Verhandlungen über Abschluss des Vertrages nicht teilgenommen haben und denen nur der Wortlaut des Vertrages und des Genehmigungsbeschlusses vorliegt, in guten Treuen die Meinung haben können, dass ein Verzicht auf die Erhebung der Abgaben nicht ausgesprochen werden wollte und tatsächlich auch nicht ausgesprochen worden ist.
Nach allgemeinen Rechtsregeln muss doch ein Verzicht, um als rechtsverbindlich anerkannt zu werden, ausdrücklich ausgesprochen sein. Im Vertrage und im Genehmigungsbeschlusse findet sich aber nicht nur kein Wort von einem solchen Verzichte, sondern es ist im Gegenteil im Genehmigungsbeschluss der Vorbehalt gemacht, dass «gesetzliche Bestimmungen dadurch nicht berührt werden sollen», und in § 3 des Vertrages ist gesagt, dass zu den Selbstkosten zu rechnen seien: «Die Steuern und ändern öffentlichen Abgaben».
Ist es nun wirklich so ganz aus der Luft gegriffen, wenn aus diesem Wortlaut des massgebenden Vertrages und angesichts des Fehlens eines ausdrücklichen Verzichtes, der Leser des Vertrages zu dem Schlüsse kommt, dass die Ausfuhrabgaben zu entrichten seien? Ich weiss wohl, dass unsere Unterhändler, d.h. die Vertreter der A.G. Stahlwerk Becker, mit welchen ich mich durchaus nicht solidarisieren möchte, der festen Überzeugung sind, dass die stillschweigende Meinung beider Teile bei Abschluss der Verhandlungen dahin gegangen sei, dass keine Ausfuhrabgaben erhoben werden dürfen. Und ich halte auch dafür, dass aus der Tatsache des bisherigen tatsächlichen Verzichtes auf die Erhebung der Abgaben ein starkes Argument für die Annahme abgeleitet werden könne, dass die damaligen Unterhändler der deutschen Regierung auch der Meinung waren, es solle auf die Erhebung der Abgaben verzichtet werden. Diese Punkte sollen nun durch die Untersuchung geklärt werden. Ich fürchte aber sehr, dass es schwer halten wird, den Nachweis zu leisten, dass der Genehmigungsbeschluss, der von den Ministerien selbst ausgegangen ist, im vollen Bewusstsein des Willens gefasst worden sei, auf die Erhebung von Ausfuhrabgaben auf alle Zeit zu verzichten.
Das alles sage ich Ihnen nur, weil es meine Pflicht als Hüter der guten Beziehungen zwischen beiden Ländern ist, alles zu tun, was in meinem Können liegt, um Missstimmungen zu vermeiden. Im übrigen werde ich selbstverständlich unentwegt an dem Standpunkte festhalten, welcher bisher der unsrige war, und ich werde mir alle Mühe geben, demselben zum Siege zu verhelfen. Ich hoffe aber anderseits, dass gegebenenfalls die vorstehenden Überlegungen den Bundesrat dazu führen werden, die Haltung der deutschen Regierung zu verstehen und allfälligen Vorschlägen zu einer Lösung auf anderer Grundlage mit Wohlwollen zu begegnen. Ich habe die bestimmte Überzeugung, dass die Regierung das Mögliche tun wird, um den berechtigten Wünschen der schweizerischen Behörden entgegenzukommen4.
Vorderhand kann ich nun in der Sache keine Schritte mehr tun, sondern muss zuwarten bis man mir das Ergebnis der Prüfung eröffnen wird.
Die Herren des Stahlwerkes Becker haben sich auf morgen bei mir angesagt.
Durchschlag dieses Berichtes geht gleichzeitig an das politische Departement.
- 1
- Lettre (Copie): E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 21/2.↩
- 2
- Non reproduite, cf. EVD KW Zentrale 1914–1918/21–22.↩
- 3
- Non retrouvée.↩
- 4
- Pour la réponse de Schulthess, cf. no 414, voir aussi no 412.↩