Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 280
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1243* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 520 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 32 (1917–1917) | |
File reference archive | 188 |
dodis.ch/43555
Im Nachgange zu meinem gestrigen Telegramm muss ich über meine Audienz beim Kaiser noch einiges beifügen, was ich Ihnen aber nur in persönlicher Form und nicht in einem bei allen Gesandtschaften zirkulierenden politischen Berichte mitteilen möchte.
Zunächst ist ganz allgemein hervorzuheben, dass der junge Monarch, obgleich es sich um einen ganz offiziellen Akt, wie die Überbringung eines Beglaubigungsschreibens handelte, sofort von der durch den alten Kaiser beobachteten Etiquette abwich, indem er die Audienz nicht stehend abhielt und das Gespräch nicht auf allgemeine Liebenswürdigkeiten beschränkte, sondern mich neben sich Platz nehmen liess und sofort die politische Lage zu besprechen begann.
Wie ich Ihnen schon drahtete, konnte der Kaiser die Haltung der schweizerischen Regierung und die Art der Handhabung unserer Neutralität nicht genug rühmen, das Wort «entzückt» brauchte er immer wieder, und beim Abschied wiederholte er nochmals mit Nachdruck die Botschaft an den Herrn Bundespräsidenten, die ich Ihnen gleich nachher durch Telegramm mitteilte. Das Gespräch kam dann auf die politisch und wirtschaftlich missliche Lage der Schweiz, deren Schwierigkeiten Seine Majestät vollkommen anerkennt; wie schon berichtet, drückte er mir seine höchste Freude über den Inhalt der Antwort des Bundesrates an den Präsidenten Wilson aus, daneben erklärte er ausdrücklich, wir hätten den Protest gegen den Unterseebootkrieg gar nicht unterlassen können, das sehe er sehr wohl ein. Als ich daraufhinwies, dass der Bundesrat übrigens auf die vorausgegangenen beiden Kriegsparteien zur Last fallenden Verletzungen des Völkerrechts Verwahrung eingelegt habe, sagte der Kaiser: «Ja, das Völkerrecht, wer hat es in diesem Kriege nicht verletzt? Wenn Völker um ihre Existenz ringen, fallen auch die Rücksichten auf die internationalen Satzungen unter Umständen eben dahin!»
Dann entwickelte er die bekannte Rechtfertigung des Unterseebootkrieges als dem geeignetsten Mittel, die Ententemächte dem Friedensgedanken zugänglicher zu machen, und wies auf die von den Feinden aufgestellten Bedingungen hin, über die man ja gar nicht reden könne. Er wisse zwar wohl, dass kein Brei so heiss gegessen werde, als er gekocht wird, aber auch unter Berücksichtigung dieses Einwandes habe doch die Antwort der Entente an Präsident Wilson keinerlei Handhabe zur Anknüpfung von Verhandlungen geboten, so dass zur ultima ratio des Unterseebootkrieges habe gegriffen werden müssen.
«Was Österreich-Ungarn anbetrifft», sagte der Kaiser, «sollte bei der Bescheidenheit unserer Ansprüche ein Friede doch unschwer zustande kommen können. Wir verlangen gar nichts als die Integrität der Monarchie, höchstens kämen noch einige kleine Grenzregulierungen in Betracht; so sollten wir z.B. zur Sicherung von Cattaro den Lowcen-Berg haben (ich erwartete, dass auch Belgrad genannt würde, was aber - absichtlich oder unabsichtlich - nicht geschah). Mit Frankreich und mit England haben wir direkt eigentlich gar keinen Streit, und ich glaube, dass dementsprechend in diesen Ländern die Animosität gegen uns keine allzu grosse sein sollte, wie auch hier gegen dieselben keinerlei Übelwollen herrscht. Der Weg zum Frieden könnte vielleicht von diesen beiden Staaten aus und über Österreich-Ungarn gefunden werden, und einen Weg zum Frieden sollte es geben. Wir sind zwar auf die Fortsetzung des Krieges vorbereitet und werden durchhalten; dass aber eine grosse Friedenssehnsucht herrscht, ist nicht zu leugnen; indessen findet sie sich in gleichem Masse bei unsern Feinden auch. Abgesehen von mir, der ich, wie gesagt, nur die Wahrung der Integrität meines Reiches verfolge, sollte aber auch die Basis zu einer Verständigung mit meinen Verbündeten gefunden werden können. Sie können versichert sein, dass unsere Bedingungen nach jeder Richtung hin äusserst gemässigt und daher annehmbar wären. Belgien z. B. würde gar keine Schwierigkeiten machen, da dessen Wiederherstellung ohne weiteres zugestanden würde.» Hier liess ich die Bemerkung fallen, dass aus verschiedenen deutschen Äusserungen der Schluss erlaubt sei, dass in der Form sogenannter «Garantien» eine gewisse Einschränkung der belgischen Souveränität vielleicht doch beabsichtigt sein könnte, so z. B. in militärischer Beziehung und mit Rücksicht auf die Eisenbahnen; England sei es nun aber sicher weniger um die freie Entwicklung des belgischen Volkes zu tun als darum, dass kein anderer Grossstaat, und namentlich nicht Deutschland, militärischen und diplomatischen Einfluss in dem kleinen, aber der englischen Küste gegenüberliegenden Lande gewinne, darum sei zu befürchten, dass eine nicht vollkommene Wiederherstellung Belgiens in seine früheren, absoluten Souveränitätsrechte, die Entente, d.h. England, nicht zufriedenstellen würde. Der Kaiser erneuerte aber seine Versicherung, dass man sich über die belgische Frage ganz gewiss einigen könnte, und zwar mit einer Bestimmtheit, die mich vermuten lässt, dass eine förmliche «in integrum restitutio» beabsichtigt sei und dass vielleicht schon unter der Hand mit dem König von Belgien Fühlung genommen worden ist, was angesichts der vielfachen Familienbeziehungen zwischen den beiden Herrscherhäusern nicht allzu schwer sein sollte.
Der Kaiser fuhr dann fort: «Die schwierigste Frage, die beim Friedensschluss zu lösen sein wird, ist die elsass-lothringische Frage. Ich vermag noch keinen Ausweg zu finden, um über dieselbe hinwegzukommen. Für Frankreich wie für Deutschland handelt es sich dabei um das Prestige des Landes; einerseits ist Frankreich überhaupt wegen Elsass-Lothringen in den Krieg getreten, während andererseits das Deutsche Reich auf der Wiedergewinnung Elsass-Lothringens aufgebaut worden ist. Wäre da ein Kompromiss denkbar? Gewisse Teile des Landes sollen ja ganz germanisiert sein und deutsch fühlen, so namentlich Strassburg und der grösste Teil des Unter-Elsass, während im französischredenden Teile Lothringens und in einigen Gegenden des Ober-Elsass noch ein gewisser Irredentismus herrscht. Ob den Franzosen in diesen ihnen zugeneigten Landesteilen gewisse Konzessionen gemacht werden könnten, darüber kann ich mich nicht aussprechen. Eine Neutralisierung des Landes oder eine ähnliche Kombination würde zu einer Art von, Condominium6 führen, solche Condominien bieten aber erfahrungsgemäss immer Anlass zu Reibereien zwischen den betreffenden Schutzmächten, und der kommende Friede sollte aber gerade die Streitgelegenheiten vermindern und nicht eine neue Quelle zukünftiger Komplikationen eröffnen.»
Ich konnte dem Kaiser aus eigener Erfahrung einige bestätigende Angaben über die von ihm geschilderten Verhältnisse im Eisass machen, wobei ihm der Umstand, dass Mülhausen bis zum Jahre 1798 schweizerischer zugewandter Ort gewesen ist, neu war. Aufgefallen ist mir immerhin, dass der Monarch über Elsass-Lothringen so genau informiert war. Ich möchte den Schluss daraus ziehen, dass diese Frage wohl auch mit Kaiser Wilhelm, der vergangene Woche während zwei Tagen bei Kaiser Karl zu Besuch war, besprochen worden ist. Die kürzliche Anwesenheit des deutschen Kaisers in Wien darf überhaupt wohl zur Würdigung der Aussprüche seines hiesigen Verbündeten mit in Betracht gezogen werden.
Im Laufe des Gespräches hatte ich übrigens Gelegenheit gefunden, dem Kaiser zu sagen, der Schweizerische Bundesrat sei gewiss stets geneigt, sein möglichstes zu tun, um seinerseits der Sache des Friedens zu dienen, doch müsse er sehr vorsichtig sein, um nicht gerade die entgegengesetzte Wirkung als die gewollte herbeizuführen. Solange Friedensbemühungen von der einen Seite als ein beinahe unfreundlicher Akt betrachtet werden, sei nicht viel anzufangen.
Der Kaiser behielt mich eine volle halbe Stunde bei sich, was viel heissen will, wenn das ganze Vorzimmer voll wartender Leute, wie Graf Tisza und andere Minister, Gesandte und hohe Würdenträger, steht. Seien Sie aber versichert, Herr Bundesrat, dass ich diese Auszeichnung keineswegs auf meine Person beziehe und sie nur desshalb erwähne, weil ich daraus schliesse, der Kaiser habe damit bezeugen wollen, wieviel ihm daran gelegen sei, meine Regierung über sein Auffassung der Lage eingehend zu informieren.
Wenn Sie es für wünschbar halten, dem einen oder dem ändern meiner Kollegen vom Inhalte oder von Teilen dieses Berichtes Kenntnis zu geben, so habe ich nichst dagegen einzuwenden. Ich möchte Sie aber für diesen Fall bitten, in Ihren Mitteilungen an diese Herren daran zu erinnern, dass die einem Gesandten gegenüber gemachten Äusserungen eines Monarchen nur mit äusserster Vorsicht und jedenfalls ohne Nennung der Quelle zu verwenden sind.
- 1
- Lettre: E 2300 Wien, Archiv-Nr. 32.↩
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