dodis.ch/42845 Le Ministre de Suisse à Vienne, A. de Claparède, au Chef du Département du Commerce, de l’Industrie et de l’Agriculture, L. Forrer1
Ich beehre mich, Ihnen für Ihre sehr gefällige Depesche vom 20./21. ds. Mts.2 betreffend die Frage der Erneuerung unserer Handelsverträge den verbindlichsten Dank auszusprechen. Ihre Mitteilung, dass von einer Kündigung des Handelsvertrages mit Österreich-Ungarn dermalen nicht die Rede sein kann, war für mich von besonderem Werte, namentlich nachdem in der letzten Zeit wiederholte Drahtberichte an österreichische und ungarische Blätter die Absicht des hohen schweizerischen Bundesrates, den austro-ungarischen Vertrag zu kündigen, gemeldet hatten. Ich konnte erst gestern Abend dem Chef der Handelsabteilung im Ministerium des Äussern begegnen, und als ich ihm vom Inhalt Ihrer Depesche Kenntnis gab, versuchte er nicht, seine Befriedigung zu verhehlen. Namentlich die Mitteilung, dass der k.u.k. Regierung von unserer Seite keine Verlegenheiten drohen, schien auf ihn den angenehmsten Eindruck zu machen. Selbstverständlich habe ich mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass meine vertrauliche Mitteilung keineswegs den Charakter einer verbindlichen Erklärung habe, sondern lediglich der gegenwärtigen Sachlage entspreche.
Der Chef der Handelsabteilung dankte mir herzlich und sagte mir wiederholt, es sei für die k.u.k. Regierung eine Sorge weniger, sie habe deren schon genug, namentlich wegen des leider gekündigten Vertrages mit Italien; sie stehe da wie ein Mann, dem ein Arm fehlt und dessen anderer gelähmt ist; sie könne wegen der leidigen Szell’schen Formel weder unterhandeln, noch ein Provisorium abschliessen. Da stellte ich ihm direkt die Frage, ob Unterhandlungen mit Italien nicht geführt werden. Nicht ohne Mühe liess er sich herbei zu bekennen, dass unverbindliche Pourparlers stattgefunden, die aber unter der Herrschaft des unseligen ungarischen Ausgleichsgesetzes zu keinem Ziele führen können. Diese Zurückhaltung dieses mit mir sonst sehr befreundeten Beamten, beweist durchaus nicht, dass die k.u.k. Regierung nicht schon jetzt auf das Zustandekommen eines Provisoriums mit Italien bestimmt rechne. Sie benützt die Sackgasse, in welcher sie sich in Folge der Szell’schen Formel befindet, nun auf Ungarn und namentlich den besonnenen Teil der liberalen Partei zu drücken; sie muss ihre Absichten, bzw. ihre künftigen Abmachungen mit Italien bis zum Momente geheim halten, wo der künftige ungarische Ministerpräsident festen Fuss im Parlament gefasst und die parlamentarische Tätigkeit wieder hergestellt haben wird.
So sehr sich die Presse und die öffentliche Meinung in der abgelaufenen Woche wegen des Scheiterns der Mission des ungarischen Ministers Lukacs aufgeregt haben, so begegne ich dennoch bei besonnenen Politikern und Diplomaten der übereinstimmenden Ansicht, dass ein Ausweg zur Beseitigung der ungarischen Krisis schliesslich doch gefunden werden wird, und dass vor Jahresschluss ein Handelsprovisorium mit Italien (vielleicht auf Grund der Contingentierung der vom Auslande – nicht von Italien allein – nach Österreich einzuführenden Verschnittweine) zu Stande kommen werde.