Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.3. Réfugiés
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 1, doc. 128
volume linkBern 1990
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#1216* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 514 | |
Titolo dossier | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 5 (1852–1852) |
dodis.ch/41127
In dem Augenblicke, als ich Ihr confidentielles Schreiben vom 5ten dieses Monats2 erhielt, war ich im Begriffe, Ihnen Mittheilungen zu machen, welche sich auf denselben Gegenstand beziehen. Schon vor mehreren Tagen brachten die Wiener Journale Correspondenz-Artikel aus Paris, welche die Politik Louis Napoléons als der Schweiz nicht freundlich gestimmt bezeichneten; diesen Artikeln war ferner die Bemerkung beigefügt, dass der Zeitpunkt nicht mehr ferne sein dürfte, wo sowohl gegen Piemont als gegen die Schweiz energische Schritte unternommen werden dürften. Ich war am Anfang über diese Gerüchte wenig beunruhigt, da während meiner Amts-Carriere die Erfahrung mich lehrte, dass solche Gerüchte meistens aus der Luft gegriffen waren und sich nur höchst selten bestätigten. Mehrere Andeutungen, welche ich von sonst gut unterrichteter Quelle vernommen, machten mich jedoch überzeugt, dass diesen Äusserungen der Presse ein grösseres Gewicht beizulegen sei, als sie bisher verdienten. Ich suchte daher so viel als möglich mir Gewissheit zu verschaffen. Im Allgemeinen begegnete ich einer sehr zurückhaltenden Stimmung und man wollte von diesen Gerüchten nichts wissen. Ein Etiquette-Besuch gab mir Veranlassung, die Ansicht des französischen Gesandten3 hierüber zu vernehmen und solche stimmt im Wesentlichen mit der Äusserung des französischen Ministers in Paris4 überein. Er sagte mir unverholen, dass er die Überzeugung habe, es dürften in kurzer Zeit sehr dringende Forderungen an die Schweiz gestellt werden, ja er wiederholte diese Behauptung mit den Worten: «Ne doutez pas et je vous le répète, on fera des réclamations très impérieuses au Gouvernement fédéral». Als ich ihm meine Verwunderung hierüber bezeugte und ihm bemerkte, dass ich nicht begreifen könne, in welcher Beziehung so dringende Forderungen an die eidgenössische Regierung gestellt werden könnten, da man den Wünschen der nachbarlich-freundlichen Staaten in jeder Beziehung zuvorgekommen sei, erwiederte er mir ungefähr folgendes: Die Frage der Flüchtlinge ist eine für die Ruhe Europas gefährlichste Frage, und nicht allein an die Schweiz, sondern an Piemont, Belgien und England werden die gleichen Forderungen gestellt werden. Man wird von der Schweiz verlangen, dass sie sämmtliche Flüchtlinge von ihrem Territoire entferne, und Frankreich wird gerne die Hand dazu bieten, sie nach Amerika zu befördern. Die Revolution ist in letzteren Jahren zu einer Art von Industrie geworden und man muss daher alles entfernen, was die Ruhe Europas gefährden kann; man wird deshalb Garantien fordern, welche für die Zukunft Gewähr leisten und eine Beschränkung des Asylrechtes verlangen. Dies sind in gedrängter Kürze die Ansichten des französischen Gesandten; übrigens darf ich nach seinen Äusserungen annehmen, dass man in Betreff der zu stellenden Forderungen noch keinen definitiven Beschluss gefasst hat, dieselben jedoch keines Falles ausbleiben werden. Das Résumé der gesammelten Ansichten dürfte sich darauf beschränken, dass man die Flüchtlingsfrage binnen einiger Zeit in den Vordergrund drängt und Ostreich sowohl als die übrigen deutschen Staaten Hand in Hand in dieser Frage gehen dürften; nach den Äusserungen des französischen Ministers am österreichischen Hofe dürfte anzunehmen sein, dass Louis Napoléon mit diesen Ansichten übereinstimmt und keinen Einspruch deshalb geltend machen wird. Ich berufe mich in dieser Beziehung auf meine Depeschen vom vorigen Jahre, welche über die Flüchtlingsfrage handelten, und Ew. Excellenz werden daraus ersehen, dass damals schon die französische Regierung sich geneigt zeigte, den Ansichten des österreichischen Kabinettes in Betreff der Flüchtlingsfrage beizustimmen, um wie viel mehr wird dies nicht jetzt der Fall sein, wo Louis Napoléon als Retter der socialen Ordnung von ganz Europa begrüsst wird.
Ich erlaube mir, Ew. Excellenz in dieser Beziehung noch meine persönlichen Ansichten zu äussern, selbst auf die Gefahr hin, als solche mit den kommenden Ereignissen in einigem Widerspruche sich befinden sollten. Der Staatsstreich Louis Napoléons hat zu Gunsten der Réaction einen entscheidenden Einfluss ausgeübt, welcher durch die Entfernung Lord Palmerstons aus dem englischen Ministerium um ein bedeutendes erhöht wurde. Will man nicht falschen Vorspiegelungen Raum geben, so muss man die Wahrheit anerkennen, dass in ganz Europa das monarchische Princip den entschiedensten Sieg seit einer langen Reihe von Jahren errungen hat. Dieser Sieg, errungen durch die Einheit der Regenten, durch die Apathie der Völker und durch den unbezweifeiten Einflussreichen Russland, Ostreich und Preussen auf die innern Verhältnisse der französischen Republik ausgeübt, hat zur Grundlage, alles auszurotten, was an die Zeiten der Revolution erinnert. Wir stehen in Ostreich weit hinter der Periode vor dem Jahr 1848 zurück und sind noch nicht an dem Grenzsteige angekommen, welchen die Réaction sich vorgeschrieben. Die Flüchtlingsfrage, sowohl in der Schweiz, als in den ändern benachbarten Staaten Ostreichs und Frankreichs, ist eine jener so vielfältig ausgebeuteten und tagtäglich wiederbesprochenen Fragen, die gleich einem Schwerte des Damokles über unserem Vaterlande schwebt. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge, wo der Absolutismus sich fest fühlt, wird nicht berücksichtigt werden, ob und in wie ferne die Vertreter desselben ein Recht haben, diejenigen Elemente, welche ihren Interessen gefährlich scheinen, unschädlich zu machen. Wenn auch, wie Ew. Excellenz mit vollem Rechte bemerken, die Schweiz alles gethan, was Ostreich zufriedenstellen kann, und den internationalen Pflichten mehr als Genüge geleistet wurde, so bleibt die Flüchtlingsfrage doch immer ein plausibler Grund zu irgend einer feindlichen Demonstration. Man geht vor allem von dem Grundsaze aus, diejenigen unschädlich zu machen, welche sich gegen das gegenwärtige Regiment vergangen. Soll diese Absicht sich erfüllen können, so muss das Asylrecht Beschränkungen erleiden, und dahin wird die absolute Gewalt zielen. Ich denke mir vorerst die Gefahr noch nicht so nahe, allein dass die Reclamationen nicht ausbleiben werden, glaube ich nicht länger bezweifeln zu können. Ohne Einverständnis der französischen Regierung wird man nichts unternehmen, ich zweifle jedoch, dass Frankreich den Ansichten der übrigen Kabinette in dieser Beziehung entgegentreten wird. Es handelt sich jetzt nicht mehr um die Frage, ob viel, ob wenig Flüchtlinge in der Schweiz sind, sondern um das Prinzip, denn man geht von der Ansicht aus, solange den revolutionären Elementen des Kontinents eine Zufluchtsstätte offen bleibt, solange ist keine Garantie für die Ruhe Europas geboten.
Ich bitte zu entschuldigen, Ew. Excellenz, dass ich so sehr ins Detail gegangen bin, allein, da Sie mir erlaubten, mich confidentiell gegen Sie auszusprechen, so glaubte ich, unumwunden meine persönliche Ansicht Ihnen mittheilen zu können, was ich in einem offiziellen Berichte nicht gewagt haben würde. Ihre gütige Zuschrift werde ich, Ihrem Auftrag entsprechend, ebenso wenig als diese meine Antwort den offiziellen Akten beilegen.
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