Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 147
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#2466* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 383 | |
Dossier title | Von Oetingen, Hans (1964–1966) | |
File reference archive | B.11.43 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/31180 Zusammenfassende Notiz über die Freilassung des ostdeutschen Agenten Hans von Oettingen
Am 17. November 1964 wurden der Ostdeutsche Hans von Oettingen und der Schweizer Richard Beeli wegen Spionagetätigkeit zu Gunsten der DDR verhaftet2. Am 25. Februar 1966 verurteilte das Bezirksgericht Zürich von Oettingen zu 27 Monaten Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Beeli wurde dagegen freigesprochen.
Ende März 1966 gelangte der Ostberliner Rechtsanwalt Dr. Vogel, der die Gunst der ostdeutschen Regierung geniesst und oft für diese inoffiziell die Fühler auszustrecken hat, mit folgendem Vorschlag an unsere Delegation in Berlin: Vorzeitige Haftentlassung von Hans von Oettingen gegen eine positive Erledigung aller zur Zeit hängigen Rückwanderungsgesuche von schweizerisch-deutschen Doppelbürgern in der DDR3.
Rechtsanwalt Vogel glaubte, dass auch die Pro-Juventute-Aktion betreffend Ferien der Schweizerkinder in der DDR4 in diese Regelung einbezogen werden könnte. (Letztes Jahr sind nämlich die Kinder von nur-schweizerischen Vätern und schweizerisch-deutschen Müttern von der Liste der Teilnehmer gestrichen worden).
[Ergänzungshalber sei noch erwähnt, dass ein ähnlicher Vorschlag auch Österreich gegenüber gemacht worden ist, dem die österreichischen Behörden Mitte April zustimmten. Danach erhielten 15 Österreicher die seit langem erwartete Ausreisegenehmigung, gegen Freilassung von 2 ostdeutschen Spionen5.]
Unsere erste Reaktion war, auf diesen ostdeutschen Vorschlag nicht einzutreten. Wir würden uns damit auf einen gefährlichen Weg begeben, und auf Grund unserer Erfahrung wissen wir, dass die ostzonalen Behörden kein Mittel scheuen und auch keine Gelegenheit unbenützt vorübergehen lassen, um mit uns in Kontakt zu kommen6. Es besteht die Gefahr, dass es nicht bei diesem einen Vorschlag bleibt. Andererseits handelt es sich doch um ca. 20 Schweizer, die, nach Meldung unserer Delegation, nach der Schweiz zurückzukehren wünschen. Auch diese Leute verdienen unsere Unterstützung.
Bei dieser Situation war zu erwägen, ob wir nicht den Spiess umdrehen und unsere Delegation in Berlin beauftragen sollten, von Herrn Böhm, Chef der Konsularabteilung im DDR-Aussenministerium und Verbindungsmann zu unserer Delegation und vice versa, zu verlangen, dass unsern Landsleuten (es handelt sich vor allem um schweizerisch-deutsche Doppelbürger) die Ausreise innert nützlicher Frist gestattet wird. Falls die ostzonalen Behörden diesem Ersuchen nicht stattgeben würden, müssten wir erneut ins Auge fassen, für die ostdeutschen Besucher die Visaschraube7 wieder anzuziehen. Diese Massnahme wäre indessen mit recht erheblichen Umtrieben, aber auch mit einem gewissen Risiko verbunden gewesen. Sie hätte bedingt, dass von Oettingen nur im Einvernehmen mit unserem Departement freigelassen worden wäre.
Wir liessen deshalb zunächst bewusst eine gewisse Zeit verstreichen, auch um den ostdeutschen Behörden zu verstehen zu geben, dass wir nicht auf ihren Vorschlag gewartet hätten. Anfangs Mai ergab sich eine neue Situation, indem sich der Gesundheitszustand von Oettingens so verschlechterte, dass seine Hafterstehungsfähigkeit in Frage gestellt wurde (vonOettingen war Mitte April an einem Auge wegen einer Netzhautablösung operiert worden und war seither hospitalisiert. Dazu kam ein organisches Herzleiden, das sich im Laufe der Haft verschlimmerte). Der Verteidiger, Dr. Münch, übergab der Staatsanwaltschaft in der Folge ein ärztliches Attest, das von Oettingen als nicht hafterstehungsfähig deklarierte. Nach den zürcherischen Strafvollzugsbestimmungen musste, falls der Amtsarzt dieses Attest bestätigte, von Oettingen auf freien Fuss gesetzt werden, was seine sofortige Ausschaffung aus der Schweiz (er wurde bekanntlich auch zu 10 Jahren Landesverweisung verurteilt) zur Folge gehabt hätte.
Unter diesen Umständen galt es rasch zu handeln, d. h. zu versuchen, die Zusicherung für die Ausreise von schweizerisch-deutschen Doppelbürgern zu erreichen, bevor die DDR-Behörden davon erführen, dass von Oettingen ohnehin frei würde. In der Zeit vom 9.–18. Mai führte der Unterzeichnete intensive Besprechungen mit Staatsanwalt Dr. Lohner, der sehr viel Verständnis für unser Anliegen zeigte und im Rahmen seiner Kompetenzen uns sehr behilflich war. Es gelang, einige Tage Zeit zu gewinnen und den Verteidiger von Oettingens im Zweifel zu lassen, ob Hafterstehungsfähigkeit bestünde oder nicht. (Wohlverstanden, es blieb noch ein letzter Zweifel, und den galt es auszunützen). Der Unterzeichnete verhandelte auch mit Herrn Dr. Münch, der, um die Ausreise der Schweizerbürger zu erleichtern, bei Frau von Oettingen8 intervenierte, damit Rechtsanwalt Vogel die von uns gewünschte Zusicherung seitens der zuständigen Behörde erteilt werde9. Es zeigte sich, dass die DDR in hohem Masse daran interessiert war, von Oettingen herauszubekommen, denn innert wenigen Tagen hatte Rechtsanwalt Vogel besagte Zusicherung in Händen. Es wurde daher vereinbart, dass Vogel am 18. Mai in die Schweiz kommen und am 20. Mai frühmorgens mit von Oettingen nach Prag fliegen sollte. Dabei würde ihm von Oettingen von der Kantonspolizei gegen Aushändigung des Originals der ostdeutschen Zusicherung übergeben. Die Operation hat tadellos geklappt, und es ist zu hoffen, dass gemäss Zusicherung mindestens 15 Familien in die Schweiz zurückkehren können, die Pro Juventute-Ferienaktion unbehindert erfolgen kann und 5 ostdeutsche Bräute von Schweizerbürgern die Ausreisegenehmigung erhalten. Sollten sich Schwierigkeiten ergeben, werden wir in Ostberlin Fraktur reden müssen, d. h. mit einer Visasperre10 drohen.
Am 24. Mai haben wir den Justizdirektor des Kantons Zürich11 schriftlich gebeten, die Entlassung von Oettingens nicht mit Nicht-Hafterstehungsfähigkeit zu begründen, sondern mit der Verbüssung von ⅔ der Strafe (16. Mai 1966)12.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 383 (B.11.43). Kopien an W. Spühler und die schweizerische Delegation in Berlin.↩
- 2
- Vgl. den Schlussbericht der Bundesanwaltschaft über das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren gegen H. von Oettingen und R. Beeli vom 8. März 1965, Doss. wie Anm. 1. Vgl. auch Doss. E 4001(D) 1976/136 Bd. 31 (006.18).↩
- 3
- Vgl. das Schreiben von M. Corti an P. Micheli vom 29. März 1966, Doss. wie Anm. 1. Zur Ausreise von Schweizerinnen und Schweizern aus der Deutschen Demokratischen Republik vgl. Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 405 (B.51.33.20) und E 2001(E) 1978/84 Bd. 407 (B.51.33.21.71).↩
- 4
- Vgl. dazu Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 399 (B.36.41.11).↩
- 5
- E. Hanns und H. Neubert. Vgl. das Telegramm Nr. 40 der schweizerischen Delegation in Berlin an A. Janner vom 12. April 1966, Doss. wie Anm. 1.↩
- 6
- Vgl. dazu auch DDS, Bd. 23, Dok. 82, dodis.ch/31183.↩
- 7
- Zur verschärften Visapraxis gegenüber der DDR vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 83, dodis.ch/31170.↩
- 9
- Telegramm Nr. 41 der schweizerischen Delegation in Berlin an das Politische Departement vom 17. Mai 1966, Doss. wie Anm. 1.↩
- 10
- Vgl. Anm. 7.↩
- 11
- E. Brugger.↩
- 12
- Vgl. das Schreiben von A. Janner an E. Brugger vom 24. Mai 1966, Doss. wie Anm. 1.↩
Tags
German Democratic Republic (Politics)